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Fritz Joussen erzählt beim Redaktionsbesuch auch vom Winterurlaub mit Frau und Kindern in Südafrika. Die Vielfalt des Landes habe ihn beeindruckt, sagt er. Ihm falle als TuiChef immer mehr auf, wie sehr der Tourismus vielen Ländern helfe, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Herr Joussen, wie läuft die Saison? JOUSSEN Wir hatten bis Mitte Januar die stärkste Buchungswoche unserer Geschichte. Nach jetzigem Stand werden wir in der Saison 2018 so viele Reisen wie nie zuvor verkaufen. Wir wollen beim Umsatz um drei Prozent wachsen, hauptsächlich durch mehr und neue Kunden. Wir hatten in den letzten drei Jahren jeweils ein zweistelliges Ergebniswachstum. In den nächsten drei Jahren wollen wir das fortsetzen und jährlich im Schnitt weiter um mindestens zehn Prozent wachsen. Worauf führen Sie den Boom zurück? JOUSSEN Abgesehen vom Jahr der Finanzkrise 2009 stiegen in den letzten 17 Jahren global die Ausgaben für Tourismus immer stärker als die allgemeine Wirtschaftsleistung. Jetzt sinkt die Arbeitslosigkeit in Europa, die Löhne steigen, es sieht konjunkturell gut aus – das hilft besonders der Reiseindustrie: Den meisten Menschen ist der Urlaub heute wichtiger als ein großes Auto. Das gilt besonders für junge Menschen, die sehr international aufwachsen durch die Schule, das Studium, Facebook-Austausch. Bleibt die Türkei Sorgenkind? JOUSSEN Die Türkei kommt mit einem sehr deutlichen Plus zurück. Die Nachfrage zieht an und teilweise auch die Preise. Wir haben bewusst schon 2017 auslaufende LeasingVerträge für sieben Häuser verlängert, weil sich die Erholung für die Türkei abzeichnete. Die türkische Ägäis ist wunderschön, die Preise moderat, die Menschen freundlich. Mallorca ist im Sommer wieder proppenvoll? JOUSSEN Mallorca hat immer Konjunktur. Ich erwarte auch 2018 ein sehr gutes Jahr für Spanien und Mallorca und erneut wieder für Griechenland. Aber wir sehen auch großes Wachstum Richtung Karibik und bei den Kreuzfahrten: Unsere 16 Kreuzfahrtschiffe im Konzern sind größtenteils zu 100 Prozent ausgebucht. Hier wachsen wir und investieren weiter in neue Schiffe. Momentan erweitern wir unsere Flotte bei Hapag Lloyd Cruises und Tui Cruises in Deutschland jedes Jahr um ein bis zwei weitere Kreuzfahrtschiffe. Droht Ihnen, dass Wettbewerber bald mit vielen neuen Kähnen die Preise runterdrücken? JOUSSEN Nein. In Europa steht das Kreuzfahrtsegment erst am Anfang. Ich sehe hier für mindestens die nächsten fünf bis sieben Jahre einen Wachstumsmarkt. Es gibt nur zwei Werften mit vier Standorten für diese Kreuzfahrt-Schiffe. Und die sind mit Aufträgen von uns und anderen voll ausgelastet. Die Kreuzfahrtschiffe sind wie unsere Hotelgesellschaften der Kern der neuen Tui. Wir waren früher ein klassischer Reiseveranstalter, also ein Händler von Reisen. Heute sind wir Entwickler, Investor und Betreiber von Hotelund Kreuzfahrtgesellschaften. Das ist eine komplett andere Tui als vor fünf Jahren. Darum Ihre Karibik-Offensive mit rund 20 neuen Hotels? JOUSSEN Die Region ist sehr beliebt und die Nachfrage größer als das Angebot. Im Sommer kommen Gäste aus Europa, im Winter Kanadier und US-Amerikaner. Und weil wir eigene Jets einsetzen, sichern wir die ganzjährige Auslastung der Häuser und nutzen auch die Flugzeuge effizient. Maschinen der Tui aus England fliegen im Winter für unsere kanadische Konzern-Tochter. Tui hat 150 Jets, aber nur vier stehen in Düsseldorf als einem der größten Ferienflughäfen Europas. Müssen es nach der Insolvenz von Air Berlin und Niki nicht mehr werden? JOUSSEN Wir wollen in NRW mehr Präsenz zeigen. Die Tuifly fliegt von Köln und Düsseldorf. Und wir wollen in Düsseldorf ab dem Sommer mindestens sechs statt heute vier eigene Flugzeuge stationieren. Dafür brauchen wir aber auch neue Slots am Düsseldorfer Flughafen. Düsseldorf wäre dann der größte Flughafen-Standort für die deutsche Tui. Tui hat 15 spritsparende Dreamliner-Jets für die Langstrecke, aber keiner ist in Deutschland. Warum? JOUSSEN Die Dreamliner setzen wir bei der Tuifly in England, Schweden, den Niederlanden und Belgien ein. In Deutschland gab es starke Überkapazitäten, man konnte genug Flugkapazität für die Langstrecke am Markt einkaufen. Aber ich würde nicht ausschließen, dass wir auch Interkontinentalflüge ab Deutschland mit eigenen Jets anbieten. Das entscheidet aber alleine unser deutscher Veranstalter. Reicht es Ihnen, Betten und Flugzeuge gut auszulasten? JOUSSEN Nein, wir werden digitaler und bieten so mehr Service. Dank modernster IT und einheitlicher Systeme zur Kundenbetreuung machen wir viel passgenauere Angebote als früher. Ob das bevorzugte Eckzimmer, Extra-Gepäck oder den XLSitz, den Ausflug vor Ort oder die Spa-Reservierung, all das ist möglich. Über die moderne IT kennen wir unsere Kunden genau und machen maßgeschneiderte Angebote. Also keine Massenmails? JOUSSEN Nein, ich rede von sehr individuellen Angeboten, die für den jeweiligen Gast relevant sein müssen. Jedes fünfte solcher Angebote wird angenommen. Was bringt das der Tui? JOUSSEN Wir sollten es schaffen können, den Umsatz pro Kunde von aktuell durchschnittlich 900 Euro pro Reise auf beispielsweise 920 Euro zu erhöhen. Die Kunden werden gleichzeitig besser und aufmerksamer betreut: Schon jetzt bucht jeder zweite unserer Gäste erneut bei Tui – egal ob Hotel, Robinson-Clubs oder Kreuzfahrt. Kennen Sie Ihre Kunden besser als Facebook seine Nutzer? JOUSSEN Ich glaube, wir werden auf jeden Fall die beste digitale Plattform der Touristik. Wir machen realen Urlaub dank digitaler Unterstützung immer erlebnisreicher und vielfältiger. Wir betreuen den Kunden über die gesamte Wertschöpfungskette – vom Vertrieb, über die Airline, in der Destination und im Hotel. Wir kennen ihn also besser als jeder andere Anbieter. Und mit moderner IT und auch Artificial Intelligence (künstliche Intelligenz) können wir viele Wünsche unserer Gäste prognostizieren, bevor diese sich selbst über den Verlauf des Urlaubs konkret Gedanken machen. Ist es nicht so, dass junge Leute Flug und Unterkunft lieber getrennt buchen und Privatunterkünfte über die Plattform AirbnB bevorzugen? JOUSSEN Bei Städte-Reisen nach New York oder Barcelona mag das teilweise so sein. Da sind die Kapazitäten für Anreise und Unterkunft so groß, dass sich sehr viele Menschen ihre Reise selbst zusammenstellen. Aber beim Strandurlaub in Spanien, in der Karibik oder Südostasien sind die schönen Häuser nicht immer am freien Markt verfügbar. Und in den Ferien wollen viele reisen, sie benötigen Flüge und Zimmer für drei oder vier Personen. Ich denke, der Service, den wir dem Gast bieten, hat da großen Mehrwert. Warum managen Sie Tui-Hotels und viele Betten von Partnern über die neue Digitaltechnik „Blockchain“? JOUSSEN Wir brauchen ein transparentes einheitliches System, um unsere Hotel-Kapazitäten marktübergreifend und flexibler zu steuern, besser auszulasten und so auch die Erträge zu optimieren. Darum haben wir die angebotenen Kapazitäten komplett in die Blockchain verlagert und verwalten sie dort. Jede Ländergesellschaft erhält dann wie früher eigene Kontingente, die sie vermarkten kann. Und dann? JOUSSEN Wir sehen, wenn die Nachfrage in einem Markt niedriger als erwartet ist, oder wenn die Zahlungsbereitschaft in Frankreich höher als in Schweden ist. Dann können Hotelkontingente sehr schnell und einfach zwischen Märkten übertragen werden. Das ist deutlich übersichtlicher, effizienter und wirtschaftlicher. Wir können höhere Margen erzielen, indem wir Auslastung steigern und den Ertrag optimieren. Gleichzeitig senken wir die Transaktionskosten. Die ganze Industrie sollte die Blockchain nutzen? JOUSSEN Die Blockchain hat gewaltiges Potenzial. Das sollten sich alle Firmen genau anschauen. Jeder hat Zugang zu allen Informationen und kann Werte sicher übertragen. MICHAEL BRÖCKER UND REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.