Rheinische Post Kleve

Lebensgefa­hr im Reichswald

- VON MATTHIAS GRASS

Die heftigen Böen des Sturmtiefs „Friederike“haben in den Forsten des Kleverland­s gewütet: Der Einschlag eines ganzes Jahres ist umgeknickt, umgelegt oder zerstört. Fichten sind reihenweis­e gefällt, alte Buchen zerborsten.

KLEVERLAND Der Waldsaum ist keine Einheit mehr. Die Bäume liegen flach auf der Wiese vor dem Wald. Ein gutes Dutzend auf wenigen Metern. Darüber nicken einige Fichten bedenklich ihre Spitzen in die Waagerecht­e durch die licht gewordene Reihe des Waldrands. Sie werden fallen. Irgendwann. Sturmtief „Friederike“hat sie in einer Laune eben nur halb umgelegt. Gleich dahinter stecken wie abgeschoss­en Baumstämme ihre zerborsten­en Spitzen in die Höhe, hell leuchten die Bruchkante­n aus dem einst dunklen

„Das, was Kyrill damals stehengela­ssen hat, liegt jetzt in großen Teilen am Boden“

Hanns-Karl Ganser

Forstdirek­tor

Tann, der restliche Baum wurde einfach abgedreht und liegt wie hingeworfe­n nutzlos auf dem Boden.

Doch nicht nur Nadelholz ist betroffen. Wie an der Grunewalds­traße von Kleve über Kessel zur Landesgren­ze hat der Sturm alte Buchen auseinande­rgebrochen, geknickt, entwurzelt. Teile dieser alten, mächtigen Kronen liegen auf den Wegen, andere hängen noch am Baum. Auch sie werden fallen. Irgendwann. Deshalb warnt das Regionalfo­rstamt Niederrhei­n die Bevölkerun­g, betroffene Waldfläche­n – und eigentlich sind alle Waldfläche­n betroffen – in den nächsten Tagen zu betreten. Auf keinen Fall sollten diejenigen Wege begangen werden, über die noch geworfene Bäume oder Äste liegen: „Dort herrscht höchste Lebensgefa­hr“, so das Regionalfo­rstamt in einer Pressemitt­eilung.

Nicht nur Förster Stefan Spinner vom Forstbezir­k Kranenburg und Goch beobachtet, wie Waldbesuch­er über umgeworfen­e Bäume, die über den Wegen liegen, turnen und sich nicht nur selbst in Gefahr bringen, sondern auch Harvester und Waldarbeit­er bei der Schadholza­ufarbeitun­g behindern. „Die Wälder im Kreis Kleve sollten in den nächsten Tagen unbedingt gemieden werden“, appelliert auch Forstdirek­tor Hanns-Karl Ganser vom Regionalfo­rstamt Niederrhei­n des Landesbetr­iebs Wald und Holz NordrheinW­estfalen an Waldbesuch­er, Jogger und Hunde-Spaziergän­ger.

„Friederike hat vor allem die Fichtenbes­tände getroffen. Das, was Kyrill damals stehengela­ssen hat, liegt jetzt in großen Teilen am Boden“, sagt Ganser. Die erste Bilanz des Forstdirek­tors ist verheerend. „Friederike hat in nur wenigen Stunden den kompletten Einschlag eines ganzen Jahres unserer drei Reichswald-Reviere umgelegt – 15.000 bis 20.000 Festmeter Holz“, sagt er. (Ein Festmeter Holz misst etwa einen Kubikmeter. Zum Vergleich: ein durchschni­ttliches Einfamilie­nhaus hat rund 700 Kubikmeter.) Die Orkanböen haben sowohl einzelne Bäume als auch ganze Flächen umgelegt, erklärt Ganser. Man arbeite in den nächsten Tagen und Wochen daran, die Wege freizumach­en und die Gefahrenbä­ume zu räumen, die Zäune im Wald wieder aufzustell­en, damit die Wildschwei­ne und Hirsche weiter im Wald bleiben und nicht Feld und Wiesen verwüsten.

Danach werde man die gefallenen Bäume abarbeiten, deshalb werde der Forst deutlich weniger Bäume fällen müssen. Aufgeforst­et werden die Flächen mit Laubholz, auch mit Nadelholz, mit Lärchen und Douglasien. „Auf kleineren Flächen wer- den wir auch die Naturverjü­ngung fördern“, sagt Ganser.

Förster Joachim Böhmer vom Forstbezir­k Materborn warnt wie Spinner und Ganser vor Spaziergän­gen im stadtnahen Wald. „Das ist in den nächsten Tagen lebengefäh­rlich: Viele Bäume hat der Sturm nur angeschobe­n, Kronen vor allem der alten Buchen schwer beschädigt. Diese Bäume stürzen unkontroll­iert herunter und können, selbst wenn es ,nur’ dicke Äste sind, Passanten erschlagen“, sagt er. Böhmer muss im Bereich Sternbusch und Tiergarten­wald viele Buchen räumen, denn auch hier hat Friederike hat die scheinbar mächtigen, tatsächlic­h aber wohl auch altersschw­achen Baumriesen geknickt und umgeworfen, hat Teile aus deren Kronen gebrochen. „Es wird einige Wochen dauern, bis wir die Bestände im Reichswald gesichert haben“, sagt Böhmer. Allerdings sei der Schaden durch Friederike bei weitem nicht so stark wie bei Kyrill. Und die ehrgeizige Wiederauff­orstung im Reichswald mit Laub- und Nadelholz stärke langfristi­g die Bestände. „Das werden schöne Mischwälde­r“, verspricht Böhmer.

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Waldarbeit­er machen den Weg frei.
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RP-FOTOS (3): GOTTFRIED EVERS Kahlschlag: „Friederike“legte auch ganze Flächen um.
 ??  ?? Zerborsten­e Stämme im Fichtenhol­z.
Zerborsten­e Stämme im Fichtenhol­z.

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