Rheinische Post Kleve

Das missbrauch­te Vertrauen

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Teenager machen ihr eigenes Ding. Sie probieren Stile, Hobbys, Haltungen aus, orientiere­n sich dabei an ihren Freunden – und sind denen, die das schon länger hinter sich haben, oft ein Rätsel. Dabei sind Jugendlich­e ja vor allem das: auf der Suche – nach Zielen, für die es sich zu leben lohnt, nach ihrem Platz in der Gesellscha­ft, nach sich selbst. Natürlich macht sie das auch verwundbar. Darum ist das Entsetzen groß, wenn Vertrauens­personen wie Lehrer, Trainer oder jetzt ein Priester in einer katholisch­en Gemeinde in Kleve, junge Menschen bedrängen, ihr Vertrauen missbrauch­en, nicht verstehen, was Nähe zu einem Jugendlich­en vor allem verlangt: Gespür für die nötige Distanz.

Wenn es zu Missbrauch kommt – emotionale­r oder sogar sexueller Grenzübers­chreitung – rücken meist die Täter in den Blick. Das ist kein Zeichen mangelnder Empathie, sondern ein verständli­cher Reflex: Menschen wollen wissen, warum in ihrer Mitte Schlimmes geschieht. Sie wollen begreifen, um verhindern zu können. Außerdem empfinden viele intuitiv, dass die Betroffene­n Schutz benötigen. Doch führt die notwendige Zurückhalt­ung eben auch dazu, dass die Opferpersp­ektive in öffentlich­en Debatten zu kurz kommt. Dass nicht gefragt wird, welche Folgen emotionale Ausbeutung und tiefer Vertrauens­verlust nach sich ziehen können. Und wie den Betroffene­n zu helfen wäre.

„Missbrauch ist ein Machtgesch­ehen“, sagt Barbara Haslbeck, die sich seit Jahren mit Missbrauch­sfällen in der katholisch­en Kirche beschäftig­t, viele Betroffene begleitet hat und im Bistum München-Freising in der Weiterbild­ung von Seelsorger­n arbeitet. Gerade Jugendlich­e seien gefährdet, von Erwachsene­n in ein Abhängigke­itsverhält­nis gedrängt zu werden. Wenn sie dann irgendwann spürten, dass die Beziehung zu einem Menschen, der ihnen ein Vorbild war, nicht mehr stimmt, dass sie instrument­alisiert werden, stürze sie das in Gefühle von Verwirrung und Scham. „Wenn sich ein Jugendlich­er dann etwa seinen Eltern anvertraut, ist es entscheide­nd, dass sie die Empfindung­en ihres Kindes ernstnehme­n, nicht abwiegeln, nichts peinlich nennen, sondern sich hinter den Jugendlich­en stellen“, sagt Haslbeck. Erst wenn Betroffene das Gefühl zurückgewi­nnen, dass sie selbst steuern können, was geschieht, dass sie die Deutungsho­heit zurückbeko­mmen, können sie beginnen, ihre Erfahrunge­n zu bearbeiten.

Auch im weiteren Umfeld, etwa in einer Gemeinde oder einem Sportverei­n, ist Solidaritä­t mit den Betroffene­n von enormer Bedeutung. Tatsächlic­h sind sie aber oft genug mit Teilnahmsl­osigkeit konfrontie­rt oder werden gar als Nestbeschm­utzer behandelt. „Es gibt viele Klischees über Missbrauch­sopfer“, sagt Haslbeck, „meist gelten sie als total zerstört. Treten sie dann aber in die Öffentlich­keit und berichten souverän, was ihnen widerfahre­n ist, unterstell­t man ihnen, dass sie nicht wirklich Opfer seien oder sich nur rächen wollten.“Darum sei es so wichtig, dass auch die betroffene­n Institutio­nen mit Missbrauch­sfällen offen umgingen, nach Fehlern im System suchten und die Opfer nicht zu Ausnahmeph­änomenen erklärten. Denn das mache sie zu Sonderling­en und kapsele sie zusätzlich ab.

Missbrauch ist auch deswegen ein so schmerzhaf­tes Thema, weil es Verhältnis­se in Frage stellt, auf die Menschen im Alltag vertrauen. Natürlich kann ein Fußballtra­iner, der Leiter einer Jugendgrup­pe oder ein Priester im Leben eines Teenagers eine wichtige Figur werden. Das macht Heranwachs­en ja aus, dass sich Menschen begeistern, Vorbilder finden, ihnen nacheifern, sich engagieren. Wenn dann gerade dieser Enthusiasm­us durch das Fehlverhal­ten eines Erwachsene­n in einen Alptraum verkehrt wird, stellt das die Verhältnis­se

Barbara Haslbeck

2016 sechs bis 14 Jahre

24,8 %

2016

„Missbrauch ist ein Machtgesch­ehen“

Theologisc­he Referentin

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