Der Ausdruckstänzer
Freiburgs Trainer Christian Streich ist nicht nur an der Linie aktiv. Er ist auch ein sehr meinungsstarker Mann.
DORTMUND/FREIBURG Christian Streich hat die Hände tief in die Taschen seiner Jeans gesteckt. Es sieht nach einem richtigen Gewaltakt aus. Und es gelingt ihm auch nicht lange, die Hände zu bändigen. Es dauert keine Minute, da schießt der rechte Arm in die Höhe, der Zeigefinger weist in den Himmel über dem ehemaligen Westfalenstadion in Dortmund. Die Füße tanzen ein wildes Ballett an der Seitenlinie, und Streich ruft irgendetwas aufs Spielfeld. Der Ruf gilt seinem Torwart. Dass der offenbar nichts davon mitbekommt, macht Streich ganz wuschig. Der Tanz wird immer ausdrucksvoller, aber er endet auch sehr plötzlich. Streich setzt sich auf die Reservebank. Es dauert nicht lange, und er schießt wieder hervor. Erneut stößt er den Zeigefinger Richtung Stadiondach. Und wieder hört keiner zu.
So geht das 90 Minuten. Der Fußballtrainer Christian Streich ist ein Schwerarbeiter an der Linie. Wahrscheinlich läuft er an diesem Nachmittag deutlich mehr als der Dortmunder Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang. Auf jeden Fall gestikuliert er mehr. Als FußballDeutschland noch ergeben dem Kaiser lauschte, sagte Franz Beckenbauer über den Trainer-Derwisch aus Baden: „Ja gut, der Christian Streich, den kenne ich ja, das ist ein Verrückter, der ist ja wie das Rapunzel am Spielfeldrand.“Auch wenn Beckenbauer da Grimms Märchen ein bisschen durcheinander brachte und das Rapunzel („lass dein Haar herunter“) mit dem Rum-
Was mag wohl in einem Menschen vorgehen, der ein Verhalten an den Tag legt wie Pierre Emerick Aubameyang? Nach Wochen schäbigster Provokationen hat der nun ehemalige TorjägerdesFußball-Bundesligisten Borussia Dortmund sein Ziel erreicht. Der Wechsel zum FC Arsenal ist trotz eines noch bestehenden Vertrags beschlossene Sache, Bezüge von rund zehn Millionen Euro netto sind ihm für die kommenden dreieinhalb Jahre sicher.
Welchen Werten folgt ein solcher Zeitgenosse? Ist ihm überhaupt bewusst, dass es Werte gibt, die das auskömmliche Zusammenleben von Menschen erst möglich machen? Offensichtlich zählt bei dem jungen Mann aus Gabun, der bei seinem bisherigen Verein auch nicht pelstilzchen verwechselte, wusste jeder, was er meinte.
Streich ist ein Ereignis. Das gilt nicht nur für die Auftritte an der Linie, sondern auch für die Auftritte als Redner. Der dienstälteste Bundesliga-Trainer (seit 2011 Chef beim SC Freiburg) hat nicht nur eine sehr eigene Meinung zum Fußballzirkus und zur politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage, er äußert sie auch. Er betont: „Wir Bundesliga-Trainer werden gehört. Also muss ich reden.“Dass Fußball und Gesellschaft nie unabhängig voneinander betrachtet werden können, ist dabei sein Leitgedanke. „Fußball“, hat er anlässlich einer Veranstaltung der Freiburger Universität gesagt, „ist immer Ausdruck des gesellschaftlichen Status quo.“Deshalb hebt er den mahnenden Zeigefinger nicht nur beim Spiel. Er glaubt, „das Bewusstsein, dass Ausgleich und Solidarität dieses Land nach dem Krieg 60, 70 Jahre stark gemacht haben, dass es im Interesse aller ist, wenn der Starke dem Schwachen etwas abgibt, das wird gerade über Bord geworfen“. Auch im Fußball.
Das findet Streich verhängnisvoll. „Wenn diejenigen, die diesen Fußball wollen, so weitermachen, kriegen sie ausschließlich materiell erzogene Menschen“, erklärt er „Spiegel online“in der vergangenen Sommerpause. Er hält das Freiburger Modell dagegen. „Wir tun definitiv nichts, das wir nicht ethisch verantworten können“, versichert er, „wir haben noch nie vierstellige Gehälter für 15-Jährige gezahlt, obwohl wir uns das leisten können.“Streich weiß, dass solche Vorträge vor allem für jene, die an diesem Geschäft teil- gerade darben musste, in erster Linie der Kontostand – und dann mit großem Abstand vielleicht noch der Tabellenstand. Das war’s dann.
Am Dienstag wurde der Star von seinem neuen Arbeitgeber mit einem Privatjet am Dortmunder Flughafen abgeholt. Mit einem goldenen Geländewagen war er dort vorgefahren. Das passt zu ihm. Menschen schlichten Gemüts bemerken gar nicht, wie peinlich solch papageienhafte Extravaganzen sind. Und Aubameyang hat ein ausgeprägtes Faible für Extravaganzen. Er saß schon mal, als er verletzt war, im weißen Pelzmantel auf der Tribüne, er nennt vier sündhaft teure LuxusSportwagen sein eigen, er präsentiert sich gern auffällig. Welche Gefühle er durch sein geltungssüchtiges, einzig auf die eigenen Vorteile haben, schwer moralinsauer schmecken. Und es ist ihm bewusst, „dass wir im Glashaus sitzen, weil wir von dem profitieren, was erwirtschaftet wird. Es gibt da Situationen, da machst du mit, oder du musst aufhören“.
Trotzdem steht er für das Biotop im Breisgau, das sich mit der Nebenrolle im großen Geschäft bescheidet, das vor allem jugendliche Talente entwickeln will und das Risiko eines Abstiegs stets billigend in Kauf nimmt – in der belegbar sicheren Erwartung, dass es bald auch wieder nach oben geht.
Deshalb reagiert Streich im Sommer 2015 mit großen Augen und völligem Unverständnis auf die Frage, ob er nach dem Abstieg aus der Bundesliga nun darüber nachdenke, den Job aufzugeben. „Ich habe hier doch einen Vertrag“, entgegnet er. Und er verbindet damit eine Verantwortung für das Projekt.
Er hat es schließlich als langjähriger Jugendtrainer mit aufgebaut. Streich muss 2011 sehr lange überredet werden, die BundesligaMannschaft zu übernehmen. Nächtelange Diskussionen mit Freunden und Verwandten gehen dem Amtsantritt voraus. Man muss sich Streich dabei so leidenschaftlich vorstellen wie am Spielfeldrand – und noch dialektverliebter als bei seinen Auftritten in der Öffentlichkeit. Er ist vermutlich der prominenteste Botschafter der alemannischen Mundart.
Verstanden wird er dennoch selbst außerhalb des Breisgaus. Er bekommt viel Beifall, wenn er Sätze sagt wie diesen: „Der Gott des Geldes wird immer größer, und irgend- abzielendes Auftreten bei den Mitspielern auslöst, die ja nicht nur für ihr eigenes Fortkommen, sondern auch für ihn kämpfen, schert ihn einen feuchten Kehricht. Er erhebt sich auch über die zahlenden Zuschauer, deren Zuneigung seinen Erfolg und seine herausragende Stellung erst ermöglichen.
Dass er mit solchen Auswüchsen dem Ansehen seines Sports großen Schaden zufügt, daran verschwendet einer wie Aubameyang keinen Gedanken. Es geht ja um ihn, und ausschließlich um ihn. Sein einstiger Mannschaftskollege Dembélé hat es ihm vorgemacht, als er mit ähnlichen Eskapaden seinen Wechsel von Dortmund zum FC Barcelona erstreikte. Im europäischen Fußball-Verband, wo wie im Weltverband gern hehre Verhaltensweisen wann verschlingt er alles.“Als er gegen die AfD wettert, „gegen diese unsägliche fremdenfeindliche und gästefeindliche Politik“, gibt es natürlich ordentlich Gegenwind aus der rechten Ecke. Streich erklärt: „Wenn ich angefeindet werde, ist das der Beweis, dass wir unsere Stimme erheben müssen.“Da klingt er wie ein Prophet aus dem Alten Testament, und er schaut sehr bedeutungsvoll. Es ist ein bisschen seine Rolle geworden, die manche ziemlich anstrengend finden.
Streich kann aber auch ganz still sein. In Dortmund zum Beispiel nach einem Spiel, in dem der Außenseiter Freiburg hochverdient ein 2:2 geholt hat. Als alle über Aubameyang und BVB-Probleme sprechen, ist Streich Zuhörer. „Wenn wir 5:0 verloren hätten, würde auch keiner mit mir reden“, sagt er, „mir geht’s gut.“Und er sieht tatsächlich so aus. Den Ordnern wünscht er ein schönes Wochenende. Und dann steigt er in den Bus – ganz ohne Ansprache zur Lage der Nation.
Welchen Werten folgt Aubameyang? Da erhebt sich ein Fußballer über die zahlenden Zuschauer, deren Zuneigung seinen Erfolg und seine herausragende Stellung erst ermöglichen.
propagiert werden, gibt es für derartige Auswüchse keine Regeln. Mit eisernem Schweigen wird hingenommen, dass solche Spieler ihren Vereinen auf der Nase herumtanzen und mit ihren Unverschämtheiten auch noch Erfolg haben – zumindest vordergründig. Welch ein Beispiel für den Nachwuchs.
Und noch ein Aspekt: Wenn junge Menschen, die relativ virtuos mit einem Ball umgehen können, derart im Rampenlicht stehen und fürstlich dafür entlohnt werden, welche Anerkennenung – auch finanziell – müsste dann beispielsweise Nobelpreisträgern zuteil werden, die ungleich segensreicher für die Menschheit wirken? Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de