Groko-Spannung bis zum Schluss
Union und SPD erzielen wieder keinen Durchbruch, weil sie sich bei Gesundheit und Arbeitsmarkt verhaken. Dabei ist das Allermeiste schon geklärt. Heute läuft die selbst gesetzte Einigungsfrist ab.
BERLIN Union und SPD wollen für einen neuen Aufbruch mit einer großen Koalition Milliarden von Euro für bessere Lebensbedingungen in Deutschland ausgeben. In einem 160-seitigen Koalitionsvertrag listen sie neue Unterstützung für Arbeitnehmer, Mieter und Pfleger auf, versprechen mehr Geld für Europa, Familien und arme Rentner. Sie kündigen ferner Maßnahmen für mehr Sicherheit, Tierschutz und Ökolandbau sowie eine flächendeckende Digitalisierung und Investitionsoffensiven für die Bildung an.
Allerdings konnten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz wieder keinen Durchbruch bei den letzten Streitthemen der von der SPD geforderten Angleichung der Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten sowie der Eindämmung von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen erzielen. Die Verhandlungen wurden am Abend erneut vertagt. Die von Union und SPD selbst gesetzte Frist für den Abschluss eines Koalitionsvertrags endet heute. Aus Parteikreisen verlautete, die Gespräche sollten abgeschlossen werden, möglicherweise werde der Koalitionsvertrag aber erst morgen präsentiert. Offen ist auch noch die Finanzierung der Wünsche der Unterhändler. Sie haben Berechnungen zufolge bis 2021 einen Spieltraum von 46 Milliarden Euro für zusätzliche Ausgaben. In der Summe kamen sie mit ihren Vorhaben aber auf bis zu 100 Milliarden Euro.
Die große Koalition hat nach einer neuen Meinungsumfrage derzeit keine Mehrheit mehr. Im aktuellen Insa-Meinungstrend für die „Bild“-Zeitung kommen Union und SPD nur noch auf 47,5 Prozent der Wählerstimmen. Damit gebe es erstmals seit Erhebung des INSAMeinungstrends keine Mehrheit mehr für eine Koalition aus Union und SPD. Bei der Wahl im September waren beide Lager zusammen auf 53,4 Prozent gekommen.
Das Bundesverfassungsgericht prüft die Zulässigkeit des geplanten Mitgliedervotums der SPD zu einer großen Koalition. In Karlsruhe liegen derzeit fünf Anträge vor, die sich gegen die Befragung der rund 450.000 SPD-Mitglieder wenden. Einen der Anträge hat das Verfassungsgericht bereits ohne Begründung abgelehnt. Wann es über die anderen entscheidet, ist noch unklar. Vor vier Jahren hatte das höchste deutsche Gericht das Mitgliedervotum in einem Eilverfahren zugelassen.
Trotz der umfangreichen Pläne ernteten Union und SPD viel Kritik. Sozialverbände kritisierten, die vor- gesehenen zusätzlichen 8000 Stellen für Alten- und Krankenpfleger reichten bei Weitem nicht aus. Wirtschaftsverbände beklagten mangelnde Rücksicht auf Unternehmer, die sich im internationalen Wettbewerb vor allem durch die drastische Senkung von Unternehmensteuern in den USA beeinträchtigt sehen.
Wie sehr die Unterhändler für den Koalitionsvertrag ins Detail gingen, zeigt sich am Thema Wolf. Das erst vor wenigen Jahren in Deutschland wieder angesiedelte Tier löst bei Bauern großen Unmut aus, weil zunehmend Schafe oder Kälber gerissen werden. Nun wollen Union und SPD den Abschuss von „gefährlichen“Wölfen erlauben, was Tierschützer kritisieren. Die rheinlandpfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner verteidigte die geplante Tötung: „Im Umgang mit dem Wolf hat die Sicherheit der Menschen oberste Priorität. Wir werden die EU-Kommission auffordern, den Schutzstatus des Wolfs abhängig von seinem Erhaltungszustand zu überprüfen, um die notwendige Bestandsreduktion herbeiführen zu können.“