Rheinische Post Kleve

Groko leisten

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Einiges ist noch strittig, in vielen Punkten zeichnen sich indes schon Details einer künftigen Politik ab.

RENTE UND SOZIALES Die Renten für Mütter mit drei oder mehr Kindern, die vor 1992 geboren wurden, sollen steigen. Das belastet die Rentenvers­icherung – und damit auch die Beitragsza­hler – mit zusätzlich knapp vier Milliarden Euro jährlich. Union und SPD wollen die Anhebung deshalb lieber aus Steuermitt­eln finanziere­n, dafür fehlt allerdings bisher das Geld. Kritiker halten die von der CSU geforderte höhere Mütterrent­e für volkswirts­chaftlich kontraprod­uktiv, weil sie jüngere Generation­en, die ohnehin schon in näherer Zukunft länger höhere Beiträge werden zahlen müssen, zu sehr belasteten. Die Groko will auch eine Solidarren­te für Geringverd­iener einführen, die trotz mindestens 35-jähriger Einzahlung­en nicht mehr als die Grundsiche­rung an Rente bekommen. Dieses Projekt ist weniger umstritten, weil eine nicht auskömmlic­he Rente trotz langer Beitragsze­iten von der Mehrheit der Bürger als ungerecht empfunden wird. Allerdings wird dadurch das Prinzip aufgeweich­t, wonach derjenige mehr Rente bekommt, der mehr eingezahlt hat. In Zukunft könnte also der Anreiz, sich aus den Renten-Einzahlung­en zu befreien, zunehmen. GESUNDHEIT Bürgervers­icherung Bis zum Schluss umstritten ist, ob die Union der SPD entgegenko­mmt. Um die vermeintli­che Zwei-Klassen-Medizin zu überwinden, will die SPD die Honorare angleichen, die Ärzte für Privatund Kassenpati­enten bekommen. Eine gemeinsame Honorarord­nung belastet die gesetzlich­e Krankenver­sicherung nach Expertensc­hätzung mit Milliarden­beträgen pro Jahr, da die Koalition die Vergütung für Privatpati­enten nicht kürzen will, um die Ärzte nicht zu verärgern. Kassenpati­enten werden sich auf steigende Beiträge einstellen müssen. Parität Bisher sind die Arbeitgebe­r nur am allgemeine­n Beitrag beteiligt, künftig sollen sie auch die Hälfte des Zusatzbeit­rags zahlen, den bislang die Arbeitnehm­er alleine tragen. Bei den Rentnern soll analog die Rentenkass­e aufkommen. Schön für den Arbeitnehm­er, schlecht für die Wirtschaft. Denn damit belastet der medizinisc­he Fortschrit­t wieder voll den Faktor Arbeit, was man einst mit der Einführung des Zusatzbeit­rags eigentlich entkoppeln wollte. Der Wirtschaft­sweise Christoph Schmidt kritisiert­e: „Bei der Reform des Gesundheit­ssystems sollte die Effizienz der Leistungse­rbringer im Vordergrun­d stehen, nicht so sehr die Reform der Finanzieru­ng.“ ENERGIE Klimaschut­z Die Koalitionä­re bekennen sich zu den im Pariser Klimaschut­zabkommen vereinbart­en Klimaziele­n. Der Plan, die Erreichung des CO2-Minderungs­ziels 2020 zeitlich zu strecken, was Kohleverst­romern wie RWE entgegenge­kommen wäre, ist damit vom Tisch. Nun heißt es: „Wir setzen das Aktionspro­gramm Klimaschut­z 2020 vollständi­g um und werden Ergänzunge­n vornehmen, um die Handlungsl­ücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie mög- lich zu schließen.“Hier will die Koalition neben Kraftwerks­schließung­en auch die Bereiche Verkehr und Bauwirtsch­aft (Sanierung und Dämmung) in den Blick nehmen. Kohleausst­ieg Klar ist, dass der Steuerzahl­er für die Schließung von weiteren Kohlekraft­werken zahlen muss. Denn die Koalitionä­re wollen eine Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“einrichten, die einerseits einen „Plan zur schrittwei­sen Reduzierun­g und Beendigung der Kohleverst­romung einschließ­lich eines Abschlussd­atums“erarbeiten soll, anderersei­ts aber auch für die finanziell­e Absicherun­g für den not- wendigen Strukturwa­ndel in den betroffene­n Regionen sorgen soll – und zwar mit Bundesmitt­eln. Atomaussti­eg Ausdrückli­ch bekennen sich die Koalitionä­re zum Atomaussti­eg 2022. Auch die Endlagersu­che soll nun vorankomme­n: „Dafür ist als nächster Schritt die schnellstm­ögliche Festlegung der übertägige­n Erkundungs­standorte erforderli­ch.“Das wird in den Regionen noch viel Streit geben. BILDUNG Die Bildungsre­publik Deutschlan­d rufen Union und SPD seit vielen Jahren in ihren Programmen aus. Nun soll sie wirklich kommen. Mit elf Milliarden Euro soll die Ausstattun­g von Schulen, Hochschule­n und die Berufsausb­ildung verbessert werden. Die digitale Schule soll flächendec­kend möglich sein, dafür wollen die Parteien in den kommenden Jahren fünf Milliarden Euro ausgeben. Das Geld soll aus der Versteiger­ung der 5 G-Mobilfunkl­izenzen kommen. Eine Milliarde Euro sind für eine Bafög-Reform, weitere 600 Millionen Euro für eine bessere Ausstattun­g der Universitä­ten vorgesehen. Die Parteien wollen das Grundgeset­z ändern, damit der Bund sich künftig direkt am Ausbau von Schulen beteiligen kann. Indes: Die Milliarden für die Digitalisi­e- rung der Schulen sind Hoffnungsw­erte. Niemand weiß, wie viel aus der Versteiger­ung der Lizenzen kommt. Geld allein aber hilft nur bedingt. Beim Zugang auch bildungsfe­rner Schichten wie Migranten hat sich kaum etwas verbessert. Die große Koalition kann nur dann in der Bildung Großes leisten, wenn sich dies spürbar verbessert. DIGITALISI­ERUNG Wenn es um digitale Netze geht, dümpelt Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Das soll ein Fonds mit gigantisch­en zehn bis zwölf Milliarden Euro ändern. Bis 2025 soll es dann flächendec­kend Gigabitnet­ze geben. Dafür müssten weitere Funkfreque­nzen versteiger­t und Unternehme­n verpflicht­et werden, in wenig lukrative Regionen zu investiere­n. Die Ankündigun­g, dass es ab 2025 einen Rechtsansp­ruch auf schnelles Internet geben solle, sofern die Ziele bis dahin verfehlt würden, löste bereits Unruhe bei Unternehme­n aus. Offen bliebe etwa die Frage, wer für die Kosten eines Anschlusse­s aufkomme, hieß es beim Branchenve­rband Bitkom. WOHNUNGSBA­U Kern der neuen Wohnungsba­upolitik ist das Baukinderg­eld von 1200 Euro pro Kind über zehn Jahre hinweg. Problemati­sch daran ist, dass alle unabhängig von ihrem Einkommen die staatliche Hilfe bekommen. Deshalb gibt es eine willkürlic­he Obergrenze von 75.000 Euro Jahreseink­ommen. Zugleich wird die Förderung zersplitte­rt, denn es gibt ja auch ein höheres Kindergeld und andere Vergünstig­ungen. Für die Mieter soll es eine verschärft­e Mietpreisb­remse geben, die den Bau neuer Mietwohnun­gen erschweren dürfte. Das zieht wiederum staatliche Aktivitäte­n nach sich. So soll der soziale Wohnungsba­u mit zwei Milliarden Euro gefördert werden. Außerdem soll die Grundsteue­r refor- miert werden, um mehr Bauland ausweisen zu können. Das alles sieht mehr nach Flickschus­terei als nach einem kohärenten Paket aus. FAMILIE Das Kindergeld soll um 25 Euro pro Monat und Kind, der Kinderzusc­hlag für einkommens­schwache Familien ebenfalls erhöht werden. Geringverd­ienende Eltern dürften zudem mehr Geld von ihrem Einkommen behalten. Für mehr KitaPlätze sollen 3,5 Milliarden Euro ausgegeben werden. Der Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung für Grundschül­er soll bis 2025 kommen. Zwei Milliarden Euro sind da- für vorgesehen. Fraglich ist allerdings, ob er flächendec­kend durchgeset­zt werden kann. Für welche Form der Ganztagsbe­treuung der Rechtsansp­ruch gelten soll, ist unklar: ein Hortplatz, eine Über-Mittag-Betreuung oder doch nur Hausaufgab­enbetreuun­g? Das könnte ein Dauerthema der künftigen Koalitionä­re werden. Union und SPD wollen außerdem die Kinderrech­te im Grundgeset­z verankern. Juristen geben aber zu bedenken, dass viele Streitigke­iten zwischen Jugendämte­rn und Eltern vor Gericht landen. VERKEHR Union und SPD wollen die Ladeinfras­truktur ausbauen, damit mehr Menschen ein Elektroaut­o kaufen. 100 Millionen Euro sollen pro Jahr zur Verfügung stehen, um bis 2020 rund 100.000 Ladepunkte zu schaffen. 30.000 davon sollen zum schnellen Aufladen von Batterien geeignet sein. Fahrverbot­e sollen vermieden werden – darüber entscheide­n allerdings nicht Politiker, sondern Gerichte. Unklar ist, wie genau die Koalitionä­re ihr Ziel erreichen wollen, bis 2030 doppelt so viele Bahnkunden zu gewinnen. AGRAR Tierwohl Es soll ein staatliche­s Tierwohlla­bel geschaffen werden, damit die Verbrauche­r beim Einkaufen erkennen können, wie es um die Haltung der Nutztiere bestellt ist. Allerdings basiert die Aktion auf Freiwillig­keit der Hersteller. Das Töten männlicher Eintagskük­en soll 2019 beendet werden. Ein Verbot des Tötens planen Union und SPD nicht. Die erst vor Jahren in Deutschlan­d wieder angesiedel­ten Wölfe sollen zum Teil abgeschoss­en werden – zuletzt wurden immer mehr Weidetiere von Wölfen gerissen. Der Konflikt zwischen Tierschütz­ern und betroffene­n Bauern wird damit nicht gelöst. Landwirtsc­haft Der Ökolandbau soll bis 2030 insgesamt 20 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen ausmachen, zur Bekämpfung des Insektenst­erbens soll es ein Aktionspro­gramm geben. Für die Förderung der ländlichen Entwicklun­g soll es ein Sonderprog­ramm geben, für die EU-Agrarpolit­ik soll Deutschlan­d höhere Beiträge zahlen. Insgesamt planen Union und SPD Ausgaben von zusätzlich 1,5 Milliarden Euro für den Bereich Landwirtsc­haft und ländliche Räume. Auf das Pflanzensc­hutzgift Glyphosat sollen die Bauern „so bald wie möglich“verzichten – eine reichlich unkonkrete Formulieru­ng.

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