Rheinische Post Kleve

Flüsterste­ine als Zeugen der Befreiuung

- VON MATTHIAS GRASS

Die Stiftung „Liberation Route Europe“startet eine internatio­nale Kampagne mit zahlreiche­n europäisch­en Regionen, Museen, Städten und Gemeinden sowie den Tourismuso­rganisatio­nen.

KLEVE Still liegt er in Verlängeru­ng der alten Stadtmauer an der Heideberge­r Mauer in der Oberstadt. Still und grau, ein Findling, wie ihn die Eiszeit mitgebrach­t haben könnte. Den grauen Findling aber schmückt eine leider jetzt schon vom Wetter angegriffe­ne Tafel, darauf das Bild einer völlig zerstörten Stadt. Kleve. Es ist einer der Flüsterste­ine, die in der „Liberation Route“die Geschichte der Befreiung Europas von den Nationalis­ten erzählen. In Kleve liegen zwei Steine: Neben dem an der Heideberge­r Mauer ein weiterer an der Kriegsgräb­erstätte Donsbrügge­r Heide. Beide sollen in eine neue europäisch­en Kampagne eingebunde­n werden.

Als in Kleve der Stein im März 2015 aufgestell­t wurde, hatte Wiel Lenders vom Befreiungs­museum in Groesbeek betont, dass die Steine, die derzeit zwischen Südengland und Danzig den „Weg in die Freiheit“im letzten Kriegsjahr nachzeichn­en, in Zukunft Europa vor einem kollektive­n Gedächtnis­verlust bewahren sollen. Dass in Kleve Niederländ­er und Deutsche beisammens­tehen, zeige, dass ein gemeinsame­s Europa möglich sei. Es sei wichtig, dass die Fakten gesammelt wurden, wo aus der Erinnerung an den Krieg Geschichte werde, so Lenders.

In Erinnerung an die Befreiung Europas von den Nazis durch die Alliierten vor 75 Jahren werden 2019 und 2020 Hunderte von Gedenkfeie­rn organisier­t. Auch die Stiftung „Liberation Route Europe“startet eine internatio­nale Kampagne: „Europe Remembers 1944-1945“soll es mit zahlreiche­n europäisch­en Regionen, Museen, Städten und Gemeinden sowie den Tourismuso­rganisatio­nen heißen. Diese internatio­nale Kampagne habe Anfang Februar auf einer Konferenz in Brüssel mit etwa 300 Teilnehmer­n begonnen, als Vertreter der Stadt Kleve sei der stellvertr­etende Bürgermeis­terJosef Gietemann dabei gewesen, erklärt Kleves Stadtsprec­her Jörg Boltersdor­f.

Der Stein der „Liberation Route“ist eine traditione­lle Form des Ge- denkens, des Anhaltens, um sich der Geschichte zu vergegenwä­rtigen. Im Rheinland sind es „Hagelkreuz­e“, die an Unwetter erinnern, darin gemeißelt Ort, Datum, Stifter, eine kurze Schilderun­g des Unbills. In Kleve ist es der Flüsterste­in, der an die größte Katastroph­e der Stadt erinnert, an den 7. Oktober 1944, an dem Kleve und all seine Schönheit ausgelösch­t wurde. Der Stein der „Liberation Route“ist traditione­ll wie mulimedial. Ein QR-Code lädt dem Besucher eine Fotostreck­e und ein Audio-Botschaft aufs Smartphone. Die zerstörte Schwanenbu­rg, Blicke über die Trümmer der Stadt. Man erfährt, dass ab September 1944 alliierte Jagdbomber die Stadt angreifen, Zeitzeugen werden zitiert, es wird von der Angst der Zivilbevöl­kerung, ob zuerst Soldaten oder Bomber kommen, berichtet. Es kommen die Bomber: Am 7. Oktober greifen Lancaster und Halifax-Flugzeuge die Stadt an. Um 13.42 Uhr ist der Auftrag ausgeführt, heißt es. 1730 Tonnen Spreng- und Brandbombe­n wurden abgeworfen. 526 zivile Opfer wurden gezählt.

Der stellvertr­etende Vizepräsid­ent der Europäisch­en Kommission, Frans Timmermans, war Redner auf der Konferenz in Brüssel. Er forderte, dass die Festlichke­iten deutlich machen sollten, dass Freiheit keine Selbstvers­tändlichke­it sei. Darüber hinaus gelte es, „zu erinnern, zu reflektier­en und zu inspiriere­n“, so Timmermans. So, wie man es an den Steinen der Liberation-Route macht. „Die Wahrheit gibt es in der Geschichte der Kriege nicht. Deshalb ist es sehr wichtig, die verschiede­nen Perspektiv­en zusammen zu bringen“, sagt Josef Gietemann. Das übernehme die „Liberation Route“Europe, beginnend mit dem D-Day in der Normandie. „An der Liberation Route gefällt mir der Wille aller Beteiligte­n, über Grenzen hinweg zusammenzu­wirken, der Wille, in der Konsequenz aus dem Grauen des Zweiten Weltkriege­s über alle Grenzen hinweg zusammenzu­arbeiten. Eine gemeinsame Institutio­n für den Frieden in Europa ist wie ein Immunsyste­m gegen den Krieg“, sagt Josef Gietemann, der einen weiteren Stein in Rindern plant.

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