Rheinische Post Kleve

Erste allgemeine Entspannth­eit

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Kinderarzt Felix Göppel aus Heilbronn bastelt als „Dexter“schon seit Jahren Deutschlan­ds beste HipHop-Beats. Jetzt rappt er auch selbst – und nimmt dem Genre Deutschrap mit famosem Quatsch seine größte Schwäche.

Dexter schwört, er komme nach Konzerten niemals zu den Fans, um Platten zu verkaufen und Smalltalk zu verschenke­n. Aber Felix Göppel ist sowas von da, wenige Minuten nach dem Auftaktkon­zert seiner ersten Solo-Tour überhaupt. Die rotblonden Haare, das weiße Shirt und die graue Wollmütze verschwitz­t, die Wangen gerötet. Ein 34-jähriger Schlaks, der es kaum glauben kann: Mit dem Edding, den man ihm in die Hand drückt, soll er nicht nur sein Bier aufmachen, sondern auch Autogramme geben. Die Kappe steckt er nach jedem wieder auf den Stift, nur um sie Sekunden später wieder abzunehmen.

Mal um Mal will er im Gespräch mit den Fans ironisch die Daumen recken oder sich ans Herz greifen, Mal um Mal bleibt dabei die Ironie auf der Strecke. Auf jedes „Danke“sagt er: „Ich hab‘ zu danken!“

Das hier ist das Kontrastpr­ogramm zum einsamen nächtliche­n Basteln von Beats aus Samples seines Tausende Platten umfassende­n Privatarch­ivs, das Göppel als meditativ empfindet – und das er besser kann als fast jeder andere. Weil er auch die Chartstürm­er Casper und Cro schon mit Musik beliefert hat, stehen seit Jahren eine Goldene und eine Platin-Schallplat­te in seiner Wohnung. Zunächst lange auf dem Fußboden, neben dem Zitronenba­um, heute oben auf dem Plattenreg­al. „Das ist aber so hoch, dass man sie nicht wirklich sieht“, sagt Göppel. Durchaus gewollt. „Mein Anteil daran ist ja überschaub­ar.“

Für die Tour hat er sich zweiein- halb Wochen Urlaub von seinem Hauptberuf als Kinderarzt in einer Stuttgarte­r Klinik genommen, und diese Ferien starten vielverspr­echend. 200 Leute hätten in den Kölner Yuca-Club gepasst, aber mehr als doppelt so viele wollten ihn erleben. Also wurde das Konzert flugs in den Club Bahnhof Ehrenfeld nebenan verlegt, und auch der wird voll.

Das ist die ultimative Bestätigun­g für den Mann, der sagt: „Ich mache nichts anderes außer arbeiten, Musik und mich um meine Familie kümmern – treibe keinen Sport, gucke keine Serien, nichts.“

Apropos: Seinen Künstlerna­men Dexter hat Göppel nicht nach dem fiktiven Massenmörd­er aus der gleichnami­gen Serie, sondern vom lateinisch­en Ausdruck für „rechts“und auch „gewandt“– weil ihm an den Plattentel­lern zwar schon früh vieles gelang, aber nur mit der rech- ten Hand. Vermutet er. Ist lange her.

Zum Beginn von Dexters Auftritt lässt DJane Tereza seinen Sohn im Kita-Alter aus den Boxen krähen: „Papa ist der beste Rapper!“und „Papa ist wavy!“. Die Menge prustet und jubelt. „Wavy“ist das Ideal, nach dem Göppel nicht nur als Dexter strebt: Ein warmes Gefühl von allgemeine­r Entspannth­eit und gu- ter Laune, von Sonnensche­in oder Kaminofenk­nistern. Nicht nur Kölle, auch Kalifornie­n is en Jeföhl.

Und das schwingt stets in seiner Musik mit, nicht nur im Subtext. Es überlagert alles andere. Das ist seine persönlich­e Gegenoffen­sive, denn vieles im Hip-Hop ist ihm „zu dunkel, zu stressig, geht zu sehr in die Gangsta-Richtung“. Die ReleasePar­ty seines Albums feierte er auf einem Minigolfpl­atz.

Dexter rappt, wie er Beats produziert: Altbekannt­e Versatzstü­cke ar- rangiert er stilsicher um. So verwandelt er Jazz und Soul in HipHop, und so ringt er den ewigen Themen des Rap – Das Leben ist hart, aber ich bin der Geilste und alle anderen sind doof – ganz neue Seiten ab: Dexter feiert Käsesorten mit demselben Habitus wie andere Koks und Knarren. Er lehnt sich auf wider den tierischen Ernst, den Machismo, die Selbstbeso­ffenheit. Handwerkli­ch ist sein Sprechgesa­ng nur solide, aber gegen Kritiker imprägnier­t er sich mit Verweisen auf seinen „Hobbyrappe­r“-Status und Zeilen wie „Reime sind simpel, Inhalt egal, denn es rollt wie ein Zug – tut, tuut!“

Dexter rappt über das Cruisen im Cabrio unter Palmen, aber auch über Supermarkt-Trips mit dem Minivan. Er macht Weine und Whiskys zum Thema, aber auch den Kindersekt Robby Bubble, Brettspiel­e und Frühstücks­eier aus Freilandha­l- tung. Er macht mal auf Snob und mal auf Original, das auf der Straße selbstgeba­ckenen Kuchen verteilt. Doch er argumentie­rt auch fürs Daheimblei­ben statt Partymache­n, fürs Zeitverbri­ngen mit dem Sohnemann statt Arbeit am Promo-Plan.

Er erhebt die Uncoolness zur neuen Coolness. Göppel war nie gut im Fußball, ist durchschni­ttlich schön, blass und nicht mehr blutjung, dazu in sich widersprüc­hlich wie wir alle.

Etwas Nerd, etwas Spießer, etwas Rebell. Connaisseu­r und Kindskopf. Arzt, aber mit Abi-Schnitt 2,5. Nicht uneitel, doch nur alle drei, vier Monate beim Friseur. Ein absoluter Ästhet mit Vorliebe für Jogginghos­en.

Er hat Frau und Kind und trotzdem Hobbys und Freunde. Kennt die lateinisch­en Namen für Knochen, Muskeln und Organe – und verliert sich auch mit 34 zugleich mit Wonne im ganz eigenen Slang des HipHop, den er liebt, obwohl er das Glorifizie­ren von Gewalt und Drogen hasst. Sorgt sich um Missstände in Politik und Gesellscha­ft, denkt aber gar nicht daran, deshalb sozialkrit­ische Texte zu schreiben.

„Dies, das“eben, wie in seinem Undergroun­d-Sommerhit von 2014: „Ganz normale Dinge. / Nichts, was Ihr nicht auch macht.“

 ?? FOTO: SAEED KAKAVAND/0711.NET ?? Felix Göppel (34) vor einem kleinen Teil seines Rohmateria­ls. Er produziert vor allem Hip-Hop-Musik aus Samples, die Stimmung transporti­eren soll, meist ganz ohne Sprechgesa­ng. Inzwischen rappt er aber sogar selbst.
FOTO: SAEED KAKAVAND/0711.NET Felix Göppel (34) vor einem kleinen Teil seines Rohmateria­ls. Er produziert vor allem Hip-Hop-Musik aus Samples, die Stimmung transporti­eren soll, meist ganz ohne Sprechgesa­ng. Inzwischen rappt er aber sogar selbst.

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