Rheinische Post Kleve

Mehr Techno als Klassik

- VON KLAS LIBUDA

Auf seinem neuen Album „All Melody“verschalte­t Pianist Nils Frahm die Orgel mit dem Drum-Computer.

Früher nahm Nils Frahm seine Alben im Schlafzimm­er auf. In einem Altbau im Berliner Wedding hatte der Pianist sein Studio eingericht­et und dort die Stille vertont. Es gibt Aufnahmen, die zeigen, wie er nachts auf Socken an seinen Songs herumtüfte­lt, und zwischendu­rch geht er in die Küche und kocht Spaghetti. Nach einem Dutzend Platten ist Nils Frahms neues Album darum gewisserma­ßen wieder ein Debüt. Der Musiker ist umgezogen, er hat sich im ehemaligen DDR-Funkhaus in Köpenick einen holzvertäf­elten Sendesaal umgebaut, er hat ein Extra-Mischpult anfertigen lassen, und es sieht alles ganz anders und weitläufig­er aus als noch vor ein paar Jahren unterm Hochbett. „All Melody“heißt das neues Album, aber die Musik ist immer noch gut.

Man sollte diese Platte anhören, solange es draußen noch sehr kalt ist. Sie macht einem warm ums Herz, mindestens 30 Grad. Körpermusi­k ist das, und überhaupt: mehr Techno als Klassik. Nils Frahm hat Orgel, Drum-Computer und LoopStatio­nen verschalte­t. Früher machte er solcherlei Experiment­e um vornehmlic­h drei, vier Klavier- und Orgelspure­n übereinand­erzustapel­n und hier und da leicht zu verfremden, man höre sich etwa noch einmal seine tollen Alben „Felt“und „Spaces“an. Heute stellt Frahm das elektronis­che Gerät gleichbere­chtigt neben die Tasteninst­rumente, „All Melody“ist Ambient, Minimal und Klavierkon­zert in einem.

Gleich den ersten Song „The Whole Universe Wants To Be Touched“lässt Frahm gar mit Chorgesang beginnen, – hat er noch nie gemacht – und das anschließe­nde „Sunson“mündet, nach reichlich Sphärenläu­fen, in Beat-Dauerschle­ifen. Gedämpftes Klöppeln ohne Schärfen. Das klingt wie House aus dem Nachbarhau­s.

Das einzige Piano, das Frahm für die Platte verwendete, ist denn auch eine Mini-Ausführung, Model Pianette, das er einst für 50 Euro in Dänemark kaufte. Und im Beiheft zur Platte lässt er wissen, dass er sein eigenes Prinzip gebrochen habe, nämlich jenes, auf Soloplatte­n keine Gäste zuzulassen. Doch als der Chor erst einmal eingeladen war, standen die Türen offen. Ein Dutzend Gäste hat er schließlic­h versammelt, Frahm hat sich ein Expedition­steam zusammenge­stellt. Gemeinsam erforschen sie neue Welten.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Nils Frahm im Funkhaus Berlin. Dort hat der Musiker sein Studio eingericht­et, in dem sein Album „All Melody“entstanden ist.
FOTO: IMAGO Nils Frahm im Funkhaus Berlin. Dort hat der Musiker sein Studio eingericht­et, in dem sein Album „All Melody“entstanden ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany