Rheinische Post Kleve

Erfolge auf Eis gebaut

- VON FELIX LILL

Anfang der 1980er-Jahre bringt eine japanische Universitä­ts-Mannschaft den Shorttrack-Sport nach Südkorea. Längst dominieren die Athleten des Olympia-Gastgebers die Szene der Kufenflitz­er. Sie sorgen dafür, dass die Medaillenb­ilanz stimmt.

PYEONGCHAN­G Man muss den Geräuschpe­gel in der Eis-Arena in Gangneung hören, um zu verstehen, was die Shorttrack­er derzeit für Südkorea bedeuten. In der 12.000 Zuschauer fassenden Sportarena herrscht nur eine gemäßigte Stimmung, solange kein heimischer Athlet auf dem Eis steht. Dann, zum Beispiel am Samstag beim ersten Auftritt von Lim Hyo-jun, kreischte, brüllte, klatschte und trampelte es. Als der 21-Jährige über 1500 Meter auch noch das erste Gold für Olympia-Gastgeber Südkorea einfuhr, kamen Tränen dazu. Die Ehre gerettet, oder der Anfang von was ganz Großem?

Südkorea und Winterspor­t stehen in einem seltsamen Verhältnis zueinander. Dieser Tage, während im Land die Olympische­n Spiele stattfinde­n, mag das nicht so sehr auffallen, denn die inländisch­en TV-Kanäle sind voll mit Sportprogr­ammen, und die Leute in den Bars und auf der Straße sprechen immer wieder von den Wettbewerb­en. Aber eigentlich blickt das Land, zumal angesichts seiner eisig kalten Winter, nicht gerade auf winterspor­tliche Tradition zurück. Dass Pyeongchan­g vor sieben Jahren die Austragung der Spiele zugesproch­en bekam, geschah nicht ohne Hintergeda­nken: Das Internatio­nalen Olympische­n Komitee wünschte sich, dass in Korea ein Winterspor­tboom ausbricht. Und wenn jetzt jemand mit Erfolgen dazu beitragen kann, dann sind es die Shorttrack­er.

Im ewigen Medaillens­piegel der Olympische­n Winterspie­le stand Südkorea vor Beginn der Spiele von Pyeongchan­g auf Rang 15, hinter kleineren oder wärmeren Ländern wie den Niederland­en und Italien. Bei 17 Olympiatei­lnahmen holten die Südkoreane­r bis dahin 26 Gold-, 17 Silber- und zehn Bronzemeda­illen. Nur: Lässt man Eisschnell­lauf und Shorttrack einmal außer Acht, bleibt nur noch eine Goldmedail­le im Eiskunstla­ufen, gewonnen von Kim Yu-na vor acht Jahren in Vancouver. Allerdings trug Kim bei der Eröffnungs­feier die olympische Fa- ckel ins Stadion, aktive Olympionik­in ist sie also nicht mehr.

Im Eisschnell­lauf sind die Gastgeber bei mehreren Wettbewerb­en die Favoriten. Der Shorttrack, also Wettkämpfe auf den Strecken zwischen 500 und 5000 Metern, ist in etwa das Äquivalent zum Bogenschie­ßen bei Olympische­n Sommerspie­len: Solange nichts Außergewöh­nliches passiert, gewinnt am Ende immer ein Koreaner. 2014 in Sotschi kamen sieben von acht südkoreani­schen Medaillen von den Eisschnell­läufern, fünf davon vom Shorttrack. Bei den Asian Games in Sapporo im vergangene­n Jahr dominierte­n auf den kurzen Strecken auch wieder die Koreaner.

Der Aufstieg kam mehr oder weniger abrupt. Live erlebte man Shorttrack erstmals Anfang der 1980er Jahre, als eine Unimannsch­aft aus Japan für ein Gastspiel in die Hauptstadt Seoul reiste. Zehn Jahre später, 1992 im französisc­hen Winterspor­tort Albertvill­e, holte ein Athlet namens Kim Ki-hoon auf der 1000-Meter-Strecke schon das erste winterlich­e Gold für Südkorea. 1994 in Lillehamme­r errangen die Südkoreane­r dann fünfmal Gold und einmal Silber, woraufhin ein Boom ausgelöst wurde. Die ehemaligen Gewinner wurden Trainer, Kinder wollten den Sport ausprobier­en. Heute gehört der Eisschnell­lauf zu den beliebtest­en Diszipline­n, sobald es kalt wird.

In Pyeongchan­g lasten die heimischen Medaillenh­offnungen daher vor allem, oder fast ausschließ­lich, auf den Schultern dieser Eissprinte­r. Die 21-jährige Shim Suk-hee etwa hat bereits alle Titel gewonnen. Mit der Staffel (3000 Meter) holte sie im russischen Sotschi schon als 17Jährige olympische­s Gold. Jetzt ist sie das Postermädc­hen der Spiele. Als sie bei einer der zuletzt zahlreich gewordenen Pressekonf­erenzen gefragt wurde, ob sie Erfolgsdru­ck verspüre, behauptete Shim: „Ich bin dankbar für diese Erwartunge­n. Ich bin auch nicht nervös.“Sie konzentrie­re sich maximal auf ihr Training, damit sie später nichts bereue.

Dass aus den Erwartunge­n ein bisschen mehr entstanden ist als die reine Dankbarkei­t der Athletin, stellte sich aber Mitte Januar raus. Da verkündete die Koreanisch­e Eislaufuni­on plötzlich, Shims Trainer

Solange nichts Außergewöh­nliches passiert, gewinnt beim Shorttrack am Ende

ein Koreaner Der erste Olympiasie­ger Südkoreas wurde zum Bürgermeis­ter des olympische­n

Dorfs erklärt

entlassen zu haben, nachdem dieser seine Hoffnungst­rägerin wohl geschlagen hatte. Die Leistungen von Shim, die erst 2017 in Rotterdam die Weltmeiste­rtitel im Mehrkampf und auf der 1000-Meter-Distanz gewonnen hatte, sollen zuletzt etwas nachgelass­en haben. In den koreanisch­en Medien wurde der Vorfall nicht sonderlich intensiv behandelt. Man wollte wohl kein Öl ins Feuer gießen.

Denn falls die Shorttrack­er um Shim Suk-hee enttäusche­n würden, könnte es passieren, dass sich der Gastgeber auf einem Niveau bewegt mit Ländern wie Nigeria oder Malaysia – diese beiden Nationen nehmen in Pyeongchan­g erstmals an Winterspie­len teil, haben daheim aber nicht mal Schnee. Doch es sieht schon jetzt nicht mehr danach aus. Nach dem ersten Gold von Lim Hyo-jun am Samstag griffen die Südkoreane­r am Dienstagab­end erneut an. Im Shorttrack-Finale über 500 Meter fuhr die 21-jährige Choi Min-jeong als Zweite ins Ziel, wurde aber disqualifi­ziert. Kurz darauf sicherte sich Kim Min-seok im Eisschnell­auf-Oval im Männer-Wettbewerb über 1500 Meter die Bronzemeda­ille.

Ein paar Medaillen werden wohl noch kommen. Optimale Bedingunge­n dürften vor allem die Shorttrack­er haben. Die Organisato­ren haben Kim Ki-hoon, den ersten Goldmedail­lengewinne­r Südkoreas, zum Bürgermeis­ter des olympische­n Dorfs erklärt.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Rasant auf der Strecke: Die Südkoreane­r Kwak Yoongy (vorne) und Lim Hyojun im 5000-Meter-Rennen – der Konkurrent aus Japan fliegt aus der Bahn.
FOTO: IMAGO Rasant auf der Strecke: Die Südkoreane­r Kwak Yoongy (vorne) und Lim Hyojun im 5000-Meter-Rennen – der Konkurrent aus Japan fliegt aus der Bahn.

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