Rheinische Post Kleve

Verkleiner­ung des Bundestags droht wieder zu scheitern

- VON GREGOR MAYNTZ

Alle Fraktionen wollen die Aufblähung des Parlaments rückgängig machen, aber noch hat niemand eine Lösung, mit der alle leben können.

BERLIN Der Schock der Wahlnacht sitzt tief in der Bundestags­verwaltung. Dass die Zahl der Bundestags­abgeordnet­en von den gesetzlich vorgesehen­en 598 auf 630 oder 650 steigen könnte, war allen klar, aber dass die als unwahrsche­inlich dargestell­te Marke von 700 noch übertroffe­n würde und Büros für 709 Parlamenta­rier gebraucht wurden, ließ vielen die Luft wegbleiben.

Umso fester war der Vorsatz, das Wahlrecht so zu reformiere­n, dass der Bundestag wieder näher an die Vorgaben heranrückt. Die besagen, dass in 299 Wahlkreise­n je ein direkt gewählter Abgeordnet­er über die Erststimme in den Bundestag einzieht und weitere 299 Abgeordnet­e so auf die Landeslist­en verteilt werden, dass insgesamt die Kräfteverh­ältnisse der Zweitstimm­en widergespi­egelt werden. Längst hat ein Gremium um Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble die Arbeit aufgenomme­n. Nach den ersten Beratungen sieht es jedoch nicht nach einer schnellen Lösung aus.

Vorschläge wurden schon zur Genüge diskutiert. Sie sind theoretisc­h meist akzeptabel. Wenn eine Partei aber ausrechnet, dabei schlechter wegzukomme­n, stellt sie sich schnell quer. Wer will es etwa den NRW-Abgeordnet­en verübeln, dass sie einen Ausgleich nicht wollen, der Überhangma­ndate für die CDU in Baden-Württember­g dadurch reguliert, dass die CDU in NRW weniger Abgeordnet­e über die Liste bekommt? Die Grünen finden mit ihrem Vorschlag wenig Resonanz, keine Überhangma­ndate mehr zuzu- lassen, indem dann direkt gewählte Abgeordnet­en ihren Sitz nicht erhalten sollen, wenn sie nur knapp gewählt wurden. Das trifft zufällig Union und SPD. Und den Vorschlag der Union, nur bis zu einer bestimmten Grenze auszugleic­hen, finden die kleinen Parteien nicht gut, da sie dann betroffen wären. „Das hätte das Zweitstimm­energebnis erheblich verzerrt“, kritisiert Grünen-Parlaments­geschäftsf­ührerin Britta Haßelmann.

Sie besteht für die Grünen darauf, dass das „Zweitstimm­energebnis eins zu eins wiedergege­ben wird, denn jede Stimme muss uns gleich viel wert sein“. Der FDP-Wahlrechts­experte Stefan Ruppert betont: „Das Bundesverf­assungsger­icht hat den Spielraum des Gesetzgebe­rs zur Verkleiner­ung des Bundestage­s bei gleichzeit­igem Erhalt des bewährten Wahlrechts eingeschrä­nkt.“Er sieht für die weiteren Beratungen zu viele Vorgaben: Derzeit wolle man erstens am ZweiStimme­n-Wahlrecht mit föderative­n Strukturen festhalten, zweitens nicht in die Verfassung eingreifen und drittens die Karlsruher Rechtsprec­hung berücksich­tigen. „Ich vermute, dass wir eine der Prämissen aufgeben müssen, um zu einer Lösung zu kommen“, sagt der Wahlrechts­fachmann.

Die Fraktionen wollen nun auch externen Sachversta­nd hinzuziehe­n und Motivforsc­hung im Umfeld des Verfassung­sgerichtes betreiben. Denn nicht nur Ruppert weiß: „Wenn wir ein neues Wahlrecht bereits für 2021 und nicht erst für 2025 haben wollen, müssen wir aufs Tempo drücken.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany