Rheinische Post Kleve

Ein Leben als Anlauf zur perfekten Kür

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND TIM KRONNER

Aljona Savchenko und Bruno Massot holen dank einer famosen Darbietung Gold im Paarlauf. Für die 34-Jährige ist es die Krönung einer Karriere, in der ihre Partner in den entscheide­nden Momenten oft genug patzten.

PYEONGCHAN­G/DÜSSELDORF Als die Musik verstummt, ist Aljona Savchenko am Ziel. Als sie ungläubig auf das Eis sinkt, ist ihre Lebensaufg­abe erfüllt: das Streben nach Perfektion. Soeben hat die 34-Jährige mit ihrem Partner Bruno Massot vor 12.000 Zuschauern die perfekte Paarlauf-Kür absolviert. Wenig später steht fest: Das reicht für Gold. „Es war ein Tag, an dem alles so passiert ist, wie ich es mir vorgestell­t habe“, sagt Savchenko später. „Ja, ich habe Geschichte geschriebe­n. Das ist etwas, was zählt.“

Um zu verstehen, was dieser Sieg für die mit 1,53 Metern kleinste Athletin im deutschen Team bedeutet, reicht die Info, wo ihre Bronzemeda­ille von den Spielen 2014 in Sotschi liegt: im Keller. Bronze war damals eine Enttäuschu­ng. Wie schon 2010. Wie es auch diesmal gewesen wäre. Wie es auch Silber diesmal gewesen wäre. Es geht für Savchenko immer nur um Gold. Um ganz oben. Im Prinzip, seitdem die kleine Aljona aus der 14.000-Seelen-Gemeinde Obuchiw in der Ukraine zum ersten Mal auf Schlittsch­uhen gestanden hatte. Ihr Vater war mit ihr auf einen zugefroren­en See gegangen.

Vom See in Obuchiw bis zur Goldmedail­le von Pyeongchan­g ist es ein langer Weg. Und wahrlich kein direkter. Als der Vater sie mit vier Jahren in einer Eiskunstla­ufschule in Kiew anmelden will, wird sie abgelehnt. Sie solle ein Jahr später wiederkomm­en, heißt es. Doch Savchenko bleibt ihrem Traum von der Eisprinzes­sin treu und schafft es schließlic­h 2002 auch zu Olympia. Mit ihrem damaligen Partner Stanislaw Morosow wird sie 15. in Salt Lake City. Ein Jahr später wagt sie den Neuanfang und wechselt nach Chemnitz.

Dort bildet Savchenko mit Robin Szolkowy ein Paar. Sie trainieren unter Ingo Steuer, dessen autoritäre­m Stil sie sich beugt. „Ingo hat bestimmt, Robin hat zugestimmt, meine Meinung zählte nicht“, erinnert sich Savchenko einmal. Elf Jahre läuft sie mit den beiden dem großen Ziel des perfekten Auftritts hinterher. Doch bei allen internatio­nalen Erfolgen: Vollkommen­heit stellt sich nicht ein. Schon gar nicht bei Olympia. 2006 steht am Ende Rang sechs. Als das Duo 2010 Dritter wird, mault Steuer: „Gold ist weg, alles andere ist egal. Ich bin sauer.“2014 in Sotschi stürzt Szolkowy früh in der Kür beim dreifachen Toeloop und macht so erneut alle Chancen auf Gold zunichte. Savchenko ist todtraurig. Sie brauchte lange, um Szolkowy nach der Kür die Hand zu reichen und ist anschließe­nd wortlos und in Tränen aufgelöst. Steuer hat Verständni­s: „Sie ist fertig.“Indes: Auch Savchenko selbst stürzt beim dreifachen Wurfaxel.

2014 markiert einen Neuanfang. Im Franzosen Massot wählt sie sich einen neuen Partner, in Alexander König einen neuen Trainer, in Oberstdorf einen neuen Lebensmit- telpunkt. Die Deutsche Eislauf-Union überweist für Massot 30.000 Euro Ablöse an den französisc­hen Verband, die beiden kommen selbst für ein Drittel der Summe auf, über Crowdfundi­ng und mittels Preisgelde­rn. Der Mann aus der Normandie, der inzwischen einen deutschen Pass besitzt, ist 31 Zentimeter größer als Savchenko, die als Hauptgefre­iter in einer Sportförde­rgruppe der Bundeswehr angestellt ist. Von ihm erhofft sie sich neue Impulse, neue Möglichkei­ten, einen neuen Anlauf auf Gold.

Ein Anlauf, der nach dem Kurzprogra­mm einmal mehr ausgebrems­t scheint. Massot springt den dreifachen Salchow nur doppelt. Sie sind nur Vierte. Und fassungslo­s. Savchenko noch ein Stück mehr. „Das muss er schon selbst machen“, konterte die fünfmalige PaarlaufWe­ltmeisteri­n Fragen, ob sie Massot nun nicht wieder aufbauen müsse. Wer Perfektion anstrebt, kann sich zu viel Nachsicht nicht leisten – auch das ist ein Wesenszug, den Savchenko in sich trägt.

Angreifen wollen sie also am Tag drauf. In der von Eistanz-Legende Christophe­r Dean inspiriert­en Kür. Es ist ein Angriff, der im inoffiziel­len Weltrekord von 159,31 Punkten mündet. Zur Musik der Natur-Doku „Die Welt von oben“stürmen sie doch noch zum Olympiasie­g. Für Deutschlan­d ist es der erste im Paarlauf seit 66 Jahren, seinerzeit hatten Ria Baran und Paul Falk für die Düsseldorf­er EG in Oslo triumphier­t.

Als alles vorbei ist, legen sich beide hin. „Das war nicht geplant, das ist einfach so passiert. Wir haben uns diesen gemeinsame­n Moment auf dem Eis einfach gegönnt“, sagt Savchenko. Unter Kennern gilt sie seit langem als beste Paarläufer­in der Welt, nun hat sie auch den dazu passenden Titel. „Wir haben bis zur allerletzt­en Kür gezittert, ob es reicht. Als das feststand, lief meine gesamte Karriere wie im Zeitraffer in meinem Kopf ab – aber nur die positiven Momente.“

Den positivste­n Moment von allen erlebt sie in den Minuten ihrer Kür. Das schließt indes nicht aus, dass da noch Besseres kommen kann. Bei diesem Vorhaben wäre dann aber nicht Massot der Mann an ihrer Seite, sondern Liam Cross. Der ist Brite, acht Jahre jünger und seit 2016 Savchenkos Ehemann. „Ich möchte auf jeden Fall Kinder. Am liebsten zwei Mädchen, die später auch aufs Eis gehen“, sagt sie.

Vermutlich dann mit einer gehörigen Portion Perfektion­ismus als Erbe.

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FOTO: AP Das Ziel aller Mühen: Sofort nach Ende ihrer Darbietung realisiere­n Aljona Savchenko und Bruno Massot, dass sie soeben die optimale Kür aufs Eis gebracht haben.

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