Rheinische Post Kleve

Münchner Unsicherhe­itskonfere­nz

- VON GREGOR MAYNTZ

MÜNCHEN Ja, es gibt einen Moment bei dieser Sicherheit­skonferenz, da scheint es wie früher zu sein, als Jahr für Jahr die sicherheit­spolitisch­e Elite der Welt im Bayerische­n Hof einkehrte, den freundlich­en Dialog pflegte und abends im Bierkeller über neue Ministerka­ndidaten spekuliert­e. Das ist am Samstag um kurz nach neun der Fall, als Außenminis­ter Sigmar Gabriel von den Deutschen die Bereitscha­ft auch zu militärisc­hem Engagement einfordert und das in ein vermeintli­ch niedliches Bild packt: „Als einziger Vegetarier werden wir es in einer Welt von Fleischfre­ssern verdammt schwer haben.“

Viele wünschten sich, sie könnten Gabriels Appell, die Zukunft als gestaltbar statt als schicksalh­aft anzusehen, nur als dessen eigene Personalie interpreti­eren. Nämlich mit viel Engagement in Sachen Deniz Yücel, einem wichtigen Außenminis­ter-Treffen und einer großen Rede sein eigenes Schicksal noch abwenden zu können. Er könnte in einer neuen großen Koalition sein Amt verlieren. Doch es geht in München nicht um Amt oder NichtAmt. Es geht um den Krieg und die fehlende Antwort, ihn zu verhindern.

Innenminis­ter Thomas de Maizière und Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen haben das, was Gabriel fehlt: Klarheit über ihre Zukunft im Kabinett. De Maizière ist raus, von der Leyen drin. In München geben sich beide ernst. Der Innenminis­ter muss die Hoffnung vertreiben, mit dem Sieg über das islamistis­ch-terroristi­sche Kalifat des Islamische­n Staats sei die Welt sicherer geworden. Und die Verteidigu­ngsministe­rin mahnt mehr Tempo beim Aufbau einer europäisch­en Armee an. Und mehr Entschloss­enheit, sowohl die Streitkräf­te einzusetze­n als auch die befriedete­n Regionen wirtschaft­lich und politisch zu stärken. Sonderlich­en Nachhall findet sie jedoch nicht.

Denn diese Sicherheit­skonferenz ist in Wirklichke­it eine Konferenz der Unsicherhe­it. Das hat, wie Gabriel analysiert, auch mit dem absehbaren Aufstieg Chinas zu tun, das die Welt mit einem anderen Gesellscha­ftssystem ohne individuel­le Menschenre­chte und einer unbeirrbar­en Interessen­durchsetzu­ng mehr verändern werde, als die meisten es heute ahnten. Vielleicht hat die Verunsiche­rung von München tatsächlic­h damit zu tun, dass sich die Gewichte dramatisch verschiebe­n und die Staaten um ihre Stellung bangen. Ganz sicher steht dahinter aber die neue Rolle der USA unter Donald Trump: Sie ist völlig unklar.

So augenfälli­g wie nie wird das am Auftritt von US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis in München. Er fliegt ein, hat aber nichts zu sagen. Dass er nicht aufs Podium will, zeigt überdeutli­ch, dass die Trump-Administra­tion keine schlüssige­n Botschafte­n vermitteln kann. In vielen Gesprächen am Rande fallen die US-Vertreter auch prompt damit auf, dass sie stets viele Fragen haben. Aber kaum Antworten. Uncle Sam hat seine ordnende Hand verloren.

Also wäre München der ideale Ort, um nach den Konturen einer neuen Sicherheit­sarchitekt­ur zu fahnden, nach dem viel beschworen­en Zusammenwi­rken einer Welt, die nach so vielen Kriegen und Konflikten gelernt hat, Gegensätze im Dialog aufzulösen. Das würde bedeuten, die verschiede­nen Optionen durchzuspr­echen und aufeinande­r einzugehen. Das ist früher eine Stärke der Sicherheit­skonferenz gewesen, die Dinge offen auszutausc­hen. Dieses Mal sprechen zwar so viele hochrangig­e Verantwort­ungsträger wie sonst auch. Aber sie reden allesamt gezielt aneinander vorbei.

Irans Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif spricht nur von der verbrecher­ischen Politik Israels, von dessen Versuchen, durch Aggression von Korruption abzulenken. Mit der Kritik lenkt er bemerkensw­erterweise davon

Sigmar Gabriel ab, dass er eigentlich danach gefragt worden war, wann der Iran das Existenzre­cht Israels anerkenne. Und der türkische Ministerpr­äsident Binali Yildirim unternimmt ernsthaft den Versuch, sämtliche Sicherheit­sexperten in München hinter die Fichte zu führen. Man habe im Norden Syriens eigentlich IS-Terroriste­n bekämpfen wollen und dabei eine andere, kurdische Terrororga­nisation aufgetan. Aber nein, gegen Kurden kämpfe man nicht. Er beklagt heftig, dass diese YPG von anderen Nato-Staaten unterstütz­t werde, obwohl sie eine Bedrohung der Türkei darstelle. Es ist eine prekäre Entwicklun­g für das Bündnis, dass der NatoStaat USA eine Gruppierun­g unterstütz­t, der Nato-Staat Türkei dieselbe Organisati­on massiv bekämpft – und beide Nato-Staaten auch in München keinen Gesprächsf­aden finden.

Vergeblich bleibt das Bemühen der Außenminis­ter Russlands, Frankreich­s, Deutschlan­ds und der Ukraine, eine neue Bewegung zur Befriedung der OstUkraine am Rande der Konferenz in Gang zu setzen. Nachdrückl­ich wirbt Gabriel zwar für eine robuste Blauhelm-Mission, um einen Waffenstil­lstand durchzuset­zen und den Druck zu verstärken, die schweren Waffen endlich auseinande­r zu ziehen. Doch weder aus Moskau noch aus Kiew kommt dazu grünes Licht. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow erklärt nur in vielen Worten, wo überall sein Land sich vom Westen verraten und falsch verstanden fühle. Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o bittet anderersei­ts inständig darum, dass Nato und EU ihre Türen der Ukraine nicht verschlöss­en. Und Gabriels aufgezeigt­e Perspektiv­e, eine Blauhelm-Mission böte auch die interessan­te Möglichkei­t, schrittwei­se die Sanktionen gegen Russland zurückzufa­hren, wird umgehend von Unionspoli­tikern kassiert. Das widersprec­he dem Koalitions­vertrag. „Am Abgrund“lautete der provokante Titel dieser Münchner Konferenz. Er war verbunden mit der bangen Frage, ob die Welt doch noch einen Schritt davon zurückgetr­eten sei. Sie ist ihm tatsächlic­h näher gekommen.

„Als einziger Vegetarier werden wir es in einer Welt von Fleischfre­ssern schwer haben“

Deutscher Außenminis­ter

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