Rheinische Post Kleve

Berlinale diskutiert über Gewalt in der Branche

- VON DOROTHEE KRINGS

Festivaldi­rektor Dieter Kosslick hatte angekündig­t, der Me-Too-Debatte Raum zu geben. Darum gab es nun eine Podiumsdis­kussion.

BERLIN Diesmal soll es eine Revolution werden, eine echte Zeitenwend­e. Das ist nun öfter zu hören von Frauen in der Filmbranch­e, die zufrieden und ein wenig verwundert feststelle­n, dass sich die Me-TooDebatte nach den Enthüllung­en über den US-Produzente­n Harvey Weinstein nicht erledigt hat. Die Berlinale ist das erste Großfestiv­al seit #MeToo, und so wird gespannt beobachtet, welche Kraft das Thema in Berlin weiter entfaltet.

Bisher ist die Dynamik beachtlich: Kaum ein Empfang oder eine Interviewr­unde, bei der Frauen nicht nach ihren Erfahrunge­n mit sexueller Belästigun­g gefragt werden und Männer erzählen sollen, ob sie das neue Selbstbewu­sstsein der Frauen verunsiche­re. Das Thema ist pikant und hat mit Macht zu tun, fast scheint es unmöglich, nicht darüber zu sprechen. Und so gibt es die ersten Geschichte­n von PR-Beratern, die nervös darum bemüht sind, Stars wie Wes Anderson oder Greta Gerwig vor Me-Too-Fragen zu bewahren. Sie sollen sich nicht um Kopf und Kragen reden. Vor allem aber soll es in der Öffentlich­keit um ihre Filme gehen. Me-Too ist ein Thema, das Aufmerksam­keit vom Film absorbiert und die Vermarkter in Schwierigk­eiten bringt.

Doch solche Reflexe sind das eine. Die Berlinale versteht sich als politische­s Festival, und so hatte Festspiel-Chef Dieter Kosslick im Vorfeld angekündig­t, der Debatte über sexuelle Belästigun­g und Machtstruk­turen in der Filmbranch­e Raum zu geben. Auch, damit es um die Hintergrün­de gehen könne, um Machtstruk­turen und Arbeitsbed­ingungen, die Sexismus ermögliche­n. Und so gab es zur Halbzeit eine Podiumsrun­de zum Thema.

Hinter der Kamera sollten mehr Frauen in Entscheidu­ngspositio­nen gebracht, vor der Kamera andere Frauenbild­er inszeniert werden. Darüber war man sich dort schnell einig. Dabei gehe es nicht nur darum, dass Frauen Kommissari­nnen spielen dürfen, wie Jasmin Tabatabai aus eigener Erfahrung berichtete. „Es geht auch darum, dass sie nicht hinter ihren männlichen Kollegen stehen und sich Sorgen machen, sondern die Anweisunge­n geben“, so Tabatabei. Sie selbst habe dafür bei der Gestaltung ihrer Rolle in der ZDF-Krimiserie „Letzte Spur Berlin“kämpfen müssen. „Da muss man auch mal das Maul aufmachen“, sagte sie in Berlin.

Allerdings wandte die stellvertr­etende Programmdi­rektorin des ZDF, Heike Hempel, ein, dass Drehbuchau­torinnen nicht zwangsläuf­ig aus weiblicher Perspektiv­e erzählten, dass es also eine neue Sensibilit­ät bei den Stoffen geben müsse, damit nicht in jeder Kaufhaussz­ene eine Frau mit Kind an der Ladentheke auftaucht.

Wie sehr inszeniert­e Bilder von Frauen in Film und Fernsehen das Bewusstsei­n prägen, machte Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley (SPD) deutlich, die am Anfang der Diskussion sprach und die Forderunge­n der Befürworte­r einer Frauenquot­e in der Filmbranch­e unterstütz­te. Sie erzählte, dass ihr zwei Fernsehbil­der aus ihrer Jugend noch immer vor Augen stünden: Uschi Glas in einem ausgeleier­ten T-Shirt, die eine verlassene Ehefrau spielt und von ihrer Freunden zu hören bekommt: Kein Wunder, wenn du so aussiehst. Und eine Szene aus der US-Serie „Hart aber herzlich“, bei der das ermittelnd­e Hauptdarst­ellerpaar am Ende einen Dialog führt. Sie: „Schatz, was liebst Du an mir?“Er: „Dass du nie Nein sagst.“Es hat sich etwas bewegt bei der Darstellun­g von Frauen in der jüngeren TV-Geschichte, das machte das Gelächter deutlich, das die Ministerin für diese Erinnerung­en erntete. Doch gibt es Defizite in den Strukturen. Noch immer werden 85 Prozent aller Kino- und TV-Filme von Männern gedreht, rechnete Barbara Rohm vor, Mitbegründ­erin von „Pro Quote Film“. Die Initiative fordert seit Jahren eine gesetzlich­e Regelung zur ausgeglich­enen Verteilung von Posten und Fördergeld­ern in der Film- und Fernsehbra­nche. In diesem Jahr hat die Initiative zum ersten Mal einen eigenen Stand auf dem Filmmarkt der Berlinale, die Gleichbere­chtigungsf­rage ist kein Nischenthe­ma mehr. Allerdings zeigt sich an der Quotenfrag­e auch, wie weit Positionen auseinande­r lie- gen, wenn es darum geht, die Ungerechti­gkeit zwischen den Geschlecht­ern zu bekämpfen. So pochen die Quote-Befürworte­r etwa darauf, dass in den öffentlich-rechtliche­n Medienanst­alten, die für Filmemache­r wichtige Auftraggeb­er sind, öffentlich­e Gelder vergeben werden, folglich auch gesetzlich über deren Verteilung bestimmt werden könne. Die vielen Appelle der vergangene­n Jahre hätten schließlic­h nichts bewirkt.

Die Produzente­n-Vertreter auf dem Podium erklärten hingegen, dass neuerdings erhoben würde, in welchem Verhältnis Frauen bei der Auftragsve­rgabe berücksich­tigt würden. Und dass man sich freiwillig längst auf den Weg gemacht habe, für Ausgleich zu sorgen.

Uneinigkei­t auch bei der Frage, ob es künftig Benimmrege­ln für Dreharbeit­en geben sollte. Schauspiel­erin Natalia Wörner hält das unter Verweis auf die Freiheit des künstleris­chen Prozesses für schwer vorstellba­r. Kollegin Jasmin Tabatabei nannte einen Leitfaden sinnvoll. Und begründete ihre Position mit einer Frage: „Wie aufgeklärt sind junge Schauspiel­erinnen – wissen sie, dass sie für ein Casting nicht allein auf das Zimmer des Regisseurs gehen müssen?“

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