Rheinische Post Kleve

Bob-Wahnsinn

- VON JESSICA BALLEER

Francesco Friedrich hält dem großen Druck stand und teilt sich Gold im Zweier mit dem Kanadier Kripps.

DÜSSELDORF/PYEONGCHAN­G Was muss das für ein Druck sein? Dort oben am Start des Eiskanals zu stehen, mittendrin in einer Aufführung, die sich ihr Finale Furioso für den vierten und letzten Akt aufgehoben hat. In der Hauptrolle aus deutscher Sicht: Bobpilot Francesco Friedrich, 27 Jahre alt, siebenmali­ger Weltmeiste­r, Topfavorit auf die olympische Goldmedail­le im Zweierbob. Mit an Bord: Anschieber Thorsten Margis – und die schwere Bürde, zum Siegen verdammt zu sein.

Man konnte Friedrich (27) ja gestern Mittag nicht ins Gesicht schauen. Kurz vor dem wichtigste­n Durchgang der Karriere aber muss es unter seinem Bobhelm mächtig gebrodelt haben. Vier Jahre danach

Anschieber Thorsten Margis noch las und sprach man von der „Schmach von Sotschi“, als die Bobfahrer ohne Medaille zurückkehr­ten. Nun konnte, nun musste die Medaille her. Friedrichs Anschieber gab Einblicke in die Gefühlswel­t: „Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen“, sagte Thorsten Margis. Als Zweitplatz­ierter hatte sich Friedrich vor dem finalen Durchgang in Lauerstell­ung gebracht. Der Kanadier Justin Kripps war in Durchgang drei noch schneller. Es folgte ein Herzschlag­finale, das zum Wahnsinn ausartete.

Vor dem Finallauf stand „Team D“mit drei Schlitten unter den besten fünf. Friedrich legte vor: ein perfekter Start, keine Bandenberü­hrung, eine nahezu perfekte Fahrt. Die Gesamtzeit nach vier Läufen: 3:16,86 Minuten. Kripps legte nach: ein perfekter Start, keine Bandenberü­hrung, eine nahezu perfekte Fahrt – die Gesamtzeit nach vier Läufen: 3:16,86 Minuten. Als die Kanadier ins Ziel fuhren, rief der Kommentato­r: „Kripps ist Olympiasie­ger“– nur um Sekunden später zu korrigiere­n: „Und Friedrich auuuch!“

Auf die Zehntelsek­unde gleich schnell hatten Kripps und Friedrichs den Eiskanal durchfahre­n. Es gab Doppel-Gold – und die erste Olympia-Medaille für Friedrich. Die Deutschen Nico Walther und Johannes Lochner sorgten auf Rang vier und fünf für ein starke deutsche Bilanz.

Die „Schmach von Sotschi“hallte eine Olympiade lang nach und folgte den Deutschen bis nach Südkorea, weil auch die finanziell­e Förderung auf der Kippe stand. Kaum vorstellba­r, dass der Bobsport in Deutschlan­d so tief fallen könnte, blickt diese Nation doch auf eine unerreicht erfolgreic­he Historie im Eiskanal zurück.

Der Bobsport gehört seit den ersten Spielen 1924 zum olympische­n Programm, und im ewigen Medaillens­piegel leuchtet Deutschlan­d als hellster Stern. 61 Medaillen (davon 17 goldene) stehen zu Buche. Eher abgeschlag­en folgen die Schweiz (31 Medaillen) und die USA (23). Die Titelträge­r aus der DDR und der Bundesrepu­blik haben tiefe Spuren an den Startlinie­n dieser Welt hinterlass­en – etwa die Stahlbürst­en an den Schuhen von Wolfgang Hoppe und dessen Mitstreite­rn. Die BobLegende gehört mit zwei Olympiasie­gen und sechs olympische­n Medaillen zu den erfolgreic­hsten Piloten weltweit. Hoppe feierte seine Erfolge in den 1980er und 90er Jahren, die wegen technische­r Fortschrit­te als revolution­äre Zeit im Bob gelten. Hoppe war Fahnenträg­er des ersten deutschen Olympiatea­ms nach der Wiedervere­inigung.

Der Name einer anderen BobGröße fällt da auch Jüngeren gleich ein: André Lange. „Bärchen“, so sein Spitzname, ist mit vier Gold- sowie einer Silbermeda­ille der erfolgreic­hste Bobpilot bei Winterspie­len. Der Mann aus Thüringen wurde ebenfalls Fahnenträg­er – 2010 in Vancouver war das. Ein Beweis für die andauernde Wertschätz­ung der Bobpiloten in deutschen Teams. Als „Bärchen“dann 2010 seine Karriere beendet, legt Francesco Friedrich (BSC Sachsen Oberbärenb­urg) los. Auch er reift im Osten dieser Republik zum Weltklasse-Piloten heran.

Mit den Teamkamera­den wandelt er nun auf den Spuren der Großen. Friedrich ist auch im Viererbob am Start. Die Bürde „Medailleng­arant“zu sein, fährt dann wieder mit im Schlitten. „Happy“sind sie gerade schon. Aber das Ende? Ist offen.

„Ich konnte die

ganze Nacht nicht schlafen“

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