Mit dem Schlafsack zum Amt
Um einen Termin bei der Ausländerbehörde in Kleve zu bekommen, müssen Flüchtlinge und Studenten stundenlang warten. Einige verbringen die ganze Nacht in einem Warteraum. Helfer und Journalisten müssen draußen bleiben.
KLEVE Die Hausnummer 81 steht mit Kreide auf die Backsteinmauer geschrieben. Hier an der Nassauerallee ist der Warteraum der Ausländerbehörde. Noch dämmert es nicht, ein Scheinwerfer beleuchtet das provisorische Schild mit den Öffnungszeiten. Vor der Tür steht Himel Barman und raucht. Mit zitternden Fingern führt er die Zigarette zum Mund, zieht hastig, die andere Hand in der Tasche seiner Jeans vergraben. Wenn er heute keinen Termin bekommt, hat er ein Problem. Ende der Woche läuft sein Visum ab, das er für sein Studium in Maschinenbau braucht. Dann fliegt er nach Bangladesch zu seiner Familie, und darf seinen Rückflug nicht antreten. Das kostet ihn 700 Euro und weitere Behördengänge, damit er nach Deutschland kommen darf.
Darum sitzt Himel Barman seit Mitternacht im Warteraum der Ausländerbehörde des Kreises Kleve. Flüchtlinge und Studenten kommen, um eine Nummer zu ziehen. Sie hoffen, einen Termin zu bekommen. Wer um fünf oder sechs Uhr kommt, sagt Barman, der ist zu spät dran. Vorige Woche mussten die Menschen noch draußen warten. Ab drei Uhr bildete sich eine Schlange, die bis auf den Bürgersteig reichte. Bei Minusgraden warteten die Menschen bis zu zwölf Stunden auf einen Termin. Es fehlt an Personal, seit letzter Woche öffnet der Warteraum wenigstens schon um Mitternacht. Etwa 50 Leuten haben sich Schlafsäcke mitgebracht und auf den Boden gelegt, berichtet Himel Barman. Sicherheitsleute verwehren Journalisten den Zutritt. Barman war schon oft bei der Behörde, hat Freunde begleitet und beim Übersetzen geholfen. Denn viele Angestellte, sagt er, sprechen kaum Englisch. Online einen Termin ausmachen zu können, selbst zwei oder drei Monate im Voraus, das würde ihm reichen. „So habe ich mir Behörden in Deutschland ehrlich gesagt nicht vorgestellt“, sagt Barman. „In Bangladesch muss man zwar auch warten, aber nicht mitten in der Nacht.“
Um kurz vor fünf fährt ein silberner Kombi über den Kiesboden vor dem Backsteinhaus. Es sind Roland Katzy und Helmut Büttner, Integrationslotsen der Awo. Sie wollen helfen – mit Tee und Kaffee. Angekündigt haben sie sich nicht. „Hier darf man nicht vorher fragen“, sagt Büttner. „Sonst wird das nichts.“Der Sicherheitsmann wimmelt ab, sie dürfen nicht in den Warteraum. Stattdessen bauen Katzy und Büttner Getränke und Gebäck im Kofferraum des Autos auf. Wer etwas Heißes trinken möchte, muss nach draußen. Jürgen Platz nimmt einen Pappbecher mit Kaffee an. Auf dem Arm trägt er seinen Sohn Maximiliano. Seine Frau, Venezolanerin, wartet drinnen. Sie hat die Nummer 43 gezogen und ist sich nicht sicher, ob sie einen Termin bekommt. Platz fürchtet vor allem die Zeit: Denn die Deadline, um das Visum seiner Frau zu verlängern, ist abgelaufen. Schon zum sechsten oder siebten Mal ist er mit Frau und Kind hier, vier Stunden Warten seien das Minimum. „Eine Tortur mit dem kleinen Mann“, sagt er. Für die Behördengänge muss sich der Architekt jedes Mal freinehmen. Vor wenigen Monaten ist Platz mit seiner Familie von Köln nach Kleve gezogen. „Die Stadt ist so toll“, sagt er. „Aber wir sind fassungslos über die Art und Weise, wie hier mit den Leuten umgegangen wird. Und fassungslos, wie viel Zeit es uns kostet, so ein Ding zu erledigen – den Fami- liennachzug nach Artikel 28 Aufenthaltsgesetz.“
Ab Donnerstag, so kündigte der Kreis gestern an, soll eine Terminvergabe nach dem Zufallsprinzip greifen. Und auch für die Studenten der Hochschule könnte es einfacher werden: Die Ausländerbehörde soll mittwochs von 10 bis 15 Uhr nur für die Studierenden geöffnet sein. Das Welcome Center soll die Anliegen sammeln und an das Amt übermitteln. Das könnte auch die Situation an der Nassauerallee entschärfen. Für Himel Barman könnte das zu spät sein. Er will jede Nacht in dem Warteraum verbringen, bis er einen Termin für sein Visum bekommt.
Um halb sieben dämmert es und ein Mann verlässt das Backsteingebäude mit der Nummer 81. Alle Nummern weg, sagt er, steigt in sein Auto mit dem Logo einer Klever Pizzeria und fährt davon.