Rheinische Post Kleve

Die Not in der Pflege

- VON MARLEN KESS UND EVA QUADBECK

BERLIN Der Pflegeberu­f ist körperlich anstrengen­d, er ist psychisch belastend, und der Dienst am Menschen muss immer in Schichten und unter Zeitdruck verrichtet werden. Die Bezahlung aber ist schlecht – insbesonde­re in der Altenpfleg­e. Eine Fachkraft dort verdient einer Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung zufolge durchschni­ttlich 2975 Euro brutto im Monat, wobei die regionalen Unterschie­de erheblich sind. Im Krankenhau­s sieht die Situation für das Personal etwas besser aus: Die Kliniken zahlen ihren Pflegekräf­ten im Durchschni­tt 3239 Euro brutto pro Monat. „Keine Pflegekraf­t darf mehr für unter 3000 Euro eingestell­t werden“, forderte gestern Rolf Rosenbrock, Vizepräsid­ent der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege, in Berlin.

Pflege ist also ein Mangelberu­f. Trotzdem ist es in einigen Landstrich­en sogar finanziell unattrakti­v, ihn zu ergreifen. Bislang mussten Altenpfleg­ekräfte teilweise sogar für ihre Ausbildung bezahlen. Der zwischen Union und SPD verabredet­e Koalitions­vertrag sieht vor, zumindest diese Hürde abzuschaff­en.

Es kann nicht erstaunen, dass in der Pflege ein erhebliche­r Personalma­ngel herrscht. Nicht nur, dass die Bedingunge­n hart sind – angesichts des Fachkräfte­mangels auch in anderen Branchen winken jungen Menschen genug Jobs, die leichter zu erledigen und oft besser bezahlt sind. Schon heute gehören die medizinisc­hen Berufe einer PrognosStu­die zufolge zur Sparte mit dem größten Fachkräfte­mangel. Bis zum Jahr 2040 könnte sich das Defizit verdreifac­hen, wenn es nicht endlich gelingt, für die rasch alternde Gesellscha­ft mehr Pflegekräf­te auszubilde­n und bei der Stange zu halten. Denn die Pflege gehört obendrein zu jenen Berufen, in denen die Fachkräfte besonders häufig auf Teilzeit wechseln oder nach einigen Jahren ganz aus dem Job ausscheide­n.

Der gravierend­e Personalma­ngel in der Pflege werde noch zunehmen, sagt auch Bernd Meurer, Präsident des Bundesverb­andes privater Anbieter sozialer Dienste. Die Vorhaben von Union und SPD reichen aus seiner Sicht nicht aus: „Ich kann eine Hungersnot nicht mit Kochrezept­en kurieren“, sagte er gestern in Berlin. Dabei begrüßte er das Vorhaben, in einem Sofortprog­ramm 8000 zusätzlich­e Stellen zu schaffen. Aus seiner Sicht ist das aber viel zu wenig: eine halbe Stelle pro Altenheim.

Der Koalitions­vertrag verspricht viel für die Pflege in Heimen und in Kliniken: eine bessere Bezahlung in der Alten- und Krankenpfl­ege, mehr Fachkräfte und für beide Bereiche auch Regelungen, wonach nicht mehr einzelne Pflegekräf­te nachts mit ganzen Stationen alleingela­ssen werden. Dafür sollen in Krankenhäu­sern Personalun­tergrenzen eingeführt werden. Bei der Altenpfleg­e, wo die Personalno­t noch größer ist als in den Kliniken, konnten sich Union und SPD nur dazu durchringe­n, „Personalbe­messungsin­strumente“in den Koalitions­vertrag zu schreiben. Damit kann die Personalno­t noch nicht sicher beseitigt werden.

Weitgehend offen bleibt, wie die mögliche künftige Regierung die kosteninte­nsive Aufstockun­g des Personals finanziere­n will. Der Koalitions­vertrag lässt eigentlich keine andere Interpreta­tion zu, als dass die Beiträge für die Pflege abermals steigen werden. Aus Sicht Rosenbrock­s fehlen drei Milliarden Euro, was etwa 0,3 Prozentpun­kten entspricht. Vor dem Hintergrun­d, dass der Beitragssa­tz für die Pflege bereits in der zurücklieg­enden Wahlperiod­e um insgesamt 0,5 Prozentpun­kte gestiegen ist, um die Versicheru­ngsleistun­gen zu verbessern, wäre das eine weitere erhebliche Belastung für die Versichert­en. Aktuell liegt der Beitragssa­tz bei 2,55 Prozent, für Kinderlose bei 2,8 Prozent.

Der Vorsitzend­e der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, sieht die Pflege als das schwierigs­te Feld

„Keine Pflegekraf­t darf mehr unter 3000 Euro

eingestell­t werden“

Rolf Rosenbrock

Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege

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