Die Not in der Pflege
BERLIN Der Pflegeberuf ist körperlich anstrengend, er ist psychisch belastend, und der Dienst am Menschen muss immer in Schichten und unter Zeitdruck verrichtet werden. Die Bezahlung aber ist schlecht – insbesondere in der Altenpflege. Eine Fachkraft dort verdient einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge durchschnittlich 2975 Euro brutto im Monat, wobei die regionalen Unterschiede erheblich sind. Im Krankenhaus sieht die Situation für das Personal etwas besser aus: Die Kliniken zahlen ihren Pflegekräften im Durchschnitt 3239 Euro brutto pro Monat. „Keine Pflegekraft darf mehr für unter 3000 Euro eingestellt werden“, forderte gestern Rolf Rosenbrock, Vizepräsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, in Berlin.
Pflege ist also ein Mangelberuf. Trotzdem ist es in einigen Landstrichen sogar finanziell unattraktiv, ihn zu ergreifen. Bislang mussten Altenpflegekräfte teilweise sogar für ihre Ausbildung bezahlen. Der zwischen Union und SPD verabredete Koalitionsvertrag sieht vor, zumindest diese Hürde abzuschaffen.
Es kann nicht erstaunen, dass in der Pflege ein erheblicher Personalmangel herrscht. Nicht nur, dass die Bedingungen hart sind – angesichts des Fachkräftemangels auch in anderen Branchen winken jungen Menschen genug Jobs, die leichter zu erledigen und oft besser bezahlt sind. Schon heute gehören die medizinischen Berufe einer PrognosStudie zufolge zur Sparte mit dem größten Fachkräftemangel. Bis zum Jahr 2040 könnte sich das Defizit verdreifachen, wenn es nicht endlich gelingt, für die rasch alternde Gesellschaft mehr Pflegekräfte auszubilden und bei der Stange zu halten. Denn die Pflege gehört obendrein zu jenen Berufen, in denen die Fachkräfte besonders häufig auf Teilzeit wechseln oder nach einigen Jahren ganz aus dem Job ausscheiden.
Der gravierende Personalmangel in der Pflege werde noch zunehmen, sagt auch Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste. Die Vorhaben von Union und SPD reichen aus seiner Sicht nicht aus: „Ich kann eine Hungersnot nicht mit Kochrezepten kurieren“, sagte er gestern in Berlin. Dabei begrüßte er das Vorhaben, in einem Sofortprogramm 8000 zusätzliche Stellen zu schaffen. Aus seiner Sicht ist das aber viel zu wenig: eine halbe Stelle pro Altenheim.
Der Koalitionsvertrag verspricht viel für die Pflege in Heimen und in Kliniken: eine bessere Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege, mehr Fachkräfte und für beide Bereiche auch Regelungen, wonach nicht mehr einzelne Pflegekräfte nachts mit ganzen Stationen alleingelassen werden. Dafür sollen in Krankenhäusern Personaluntergrenzen eingeführt werden. Bei der Altenpflege, wo die Personalnot noch größer ist als in den Kliniken, konnten sich Union und SPD nur dazu durchringen, „Personalbemessungsinstrumente“in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Damit kann die Personalnot noch nicht sicher beseitigt werden.
Weitgehend offen bleibt, wie die mögliche künftige Regierung die kostenintensive Aufstockung des Personals finanzieren will. Der Koalitionsvertrag lässt eigentlich keine andere Interpretation zu, als dass die Beiträge für die Pflege abermals steigen werden. Aus Sicht Rosenbrocks fehlen drei Milliarden Euro, was etwa 0,3 Prozentpunkten entspricht. Vor dem Hintergrund, dass der Beitragssatz für die Pflege bereits in der zurückliegenden Wahlperiode um insgesamt 0,5 Prozentpunkte gestiegen ist, um die Versicherungsleistungen zu verbessern, wäre das eine weitere erhebliche Belastung für die Versicherten. Aktuell liegt der Beitragssatz bei 2,55 Prozent, für Kinderlose bei 2,8 Prozent.
Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sieht die Pflege als das schwierigste Feld
„Keine Pflegekraft darf mehr unter 3000 Euro
eingestellt werden“
Rolf Rosenbrock
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege