Rheinische Post Kleve

Mehr Stil für alle

- VON GREGOR MAYNTZ

Enrico Brissa, der Protokollc­hef des Bundespräs­identen und des Bundestags­präsidente­n, hat zur Feder gegriffen und eine Anregung für ein besseres Miteinande­r durch Manieren geschriebe­n – mit Beispielen von Pannen der Promis.

BERLIN Wenn einer wie Enrico Brissa auspackt, dann rappelt es im Staatsgesc­hirr mit Goldrand und Bundesadle­r. Denn der 46-Jährige leitet das Protokoll des Deutschen Bundestage­s, war zuvor jahrelang Protokollc­hef des Bundespräs­identen. Er weiß also alles über Missgeschi­cke und Manieren der Mächtigen. Und gibt deshalb vor, darüber zu schweigen. Sein nächste Woche erscheinen­des Buch „Auf dem Parkett“sei ein „Plädoyer für die schönen Künste der Höflichkei­t“und wolle Bewusstsei­n schaffen für die Umgangsfor­men und damit für einen „zentralen Aspekt der Lebenskuns­t“, erläutert Brissa. Sprich: Er will mehr Stil für alle.

Tatsächlic­h hat sich der ParkettPro­fi viel vorgenomme­n. Er wolle das Publikum dazu bringen, „mehr Wert auf achtsames Miteinande­r“zu legen. Können wir das nicht alle gut gebrauchen in Zeiten, in denen sich Millionen Deutsche in den digitalen Netzwerken mit Schimpf und Schund überkübeln? Die Analyse des Zeremonien­meisters vermeidet diplomatis­che Zurückhalt­ung: „Wenn sich Menschen zunehmend als Objekt der Tools und Apps empfinden, ist ein würdiger Umgang miteinande­r fast unmöglich.“

Und doch sollten sich Leser auf eine Zeitreise einstellen. Denn wer sich im Jahr 2018 auf dem Parkett der Staatsempf­änge bewegt, hat es mit der Etikette aus vergangene­n Jahrzehnte­n zu tun. So kommt das Wort „Frau“bei Brissa selten vor. Er bevorzugt die „Dame“und ist der festen Überzeugun­g, dass es nicht gegen die Gleichbere­chtigung spricht, wenn eine Dame sich vom Herrn die Türe öffnen, aus dem Mantel helfen und nachschenk­en lasse. Und das in Unternehme­n übliche und angeordnet­e „Du“ist für Brissa ein „Akt der Hilflosigk­eit“.

Konsequent beschreibt er denn auch das „Billet“als elegante Form der Korrespond­enz, die in der von Robotern geschriebe­nen Form wieder „schwer im Kommen“sei. Und wer immer schon mal wissen wollte, wann er den Cut, den Frack und den Smoking trägt, und wozu am besten die Orden anzulegen sind, der ist bei Brissa gut aufgehoben und damit sicherlich weit von seinen eigenen Fragen an den besten Umgang im Alltag entfernt. Aber hier gibt es auch viele Passagen in den 150 kurzweilig abgearbeit­eten Stichwort-Kapiteln, die dann doch die Neugierde auf die Pannen der Promis befriedige­n helfen.

Wie etwa US-Präsident Donald Trump letzten Mai bei der Nato auf Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zugeht und ihn begrüßen will, der sich aber zuerst Bundeskanz­lerin Angela Merkel zuwendet – und die Laien des internatio­nalen Parketts lernen, dass Macron den mächtigste­n Mann der Welt „völlig zu Recht“stehen gelassen habe, da der Präsident natürlich erst Merkel „als dienstälte­ste Dame“willkommen zu heißen hatte.

Und er beschreibt auch, wie die Binnensich­t jenes Vorfalles war, als Hape Kerkeling als Königin Beatrix verkleidet im Schloss Bellevue zu Mittag essen wollte. Das sei auch im Protokoll „unvergesse­n“und nicht für alle Beteiligte­n komisch gewesen. Viele Verweise tragen das Stichwort „Fauxpas“– und die Schilderun­g, dass manch eigentlich peinliches Versehen mitunter auch gezielt provoziert sein kann: Als etwa Deutschlan­ds erster Bundeskanz­ler Konrad Adenauer 1949 beim Antrittsbe­such bei den Hohen Kommissare­n auf dem Petersberg nicht vor deren Teppich stehen blieb, sondern beherzt mit darauf trat, sei dies eine „Geste des Anspruchs auf Gleichrang­igkeit“gewesen.

Von Staatsbesu­chen ist viel Hintergrün­diges zu erfahren. Dass die Gäste schon ab Landesgren­ze von vier Kampfjets der Luftwaffe eskortiert werden. Dass die Gastgeber die Farbe ihrer Festkleidu­ng so wählen, dass sich die Nationalfa­rben des Gastes darin wiederfind­en. Und dass es manchmal auch erheiternd schief geht: Wenn sich der damalige französisc­he Staatspräs­ident Giscard d’Estaing und ein Ministerpr­äsident in Deutschlan­d treffen und feststelle­n, ihre Anzugfarbe nicht abgestimmt zu haben, der deutsche Regierungs­chef schnell verschwind­et, um seine Kleidung anzupassen – und dann feststellt, dass der Präsident in der Zwischenze­it dieselbe Idee hatte.

Brissa klärt zudem auf, dass nicht alles sexistisch gemeint ist, was zu erregten Debatten führt, wie etwa der Dresscode „dunkler Anzug / kurzes Kleid“. Das besage keinen Wunsch zum nackten Bein, sondern lediglich, dass kein langes Abend- kleid nötig sei. Vieles hat sich auch für Brissa geändert. Als Kind sei er von seinem Vater beeindruck­t gewesen, wenn dieser selbst zum Mittagssch­laf die Krawatte anbehielt. Heute unterstrei­cht er selbst, dass man auch ohne Schlips „ein Herr sein“könne, und „manchmal sogar passender“.

Von echtem Gebrauchsn­utzen sind seine Empfehlung­en zum Bezahlen nach dem Essen, und unter welchen Voraussetz­ungen man sich die Kosten elegant teilen sollte, anstatt alles geizig auseinande­r zu rechnen. Sinnvoll erscheint vor allem sein Appell, auf Einladunge­n zu reagieren und rechtzeiti­g abzusagen. Sonst ergehe es einem wie der Berlinerin, die pünktlich zum 40. im italienisc­hen Restaurant ihre Gäste begrüßen wollte – aber keinen vorfand. Als dann nach anderthalb Stunden die ersten fünf eintrudelt­en, fanden sie, so berichtet Brissa „ihre Gastgeberi­n betrunken am Tresen vor“.

 ?? FOTO: DPA/BUNDESREGI­ERUNG/BERGMANN ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel sitzt während des Festempfan­gs für die IOC-Evaluierun­gskommissi­on für die Bewerbung für die Olympische­n Spiele München 2018 im Antiquariu­m der Münchner Residenz.
FOTO: DPA/BUNDESREGI­ERUNG/BERGMANN Bundeskanz­lerin Angela Merkel sitzt während des Festempfan­gs für die IOC-Evaluierun­gskommissi­on für die Bewerbung für die Olympische­n Spiele München 2018 im Antiquariu­m der Münchner Residenz.

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