Rheinische Post Kleve

Was das Diesel-Urteil bedeutet

- VON JAN DREBES, ARNE LIEB, BIRGIT MARSCHALL UND FLORIAN RINKE *Prognose (für Solingen und Essen keine Prognose vorhanden) QUELLE: CAR UNIVERSITÄ­T DUISBURG-ESSEN, UMWELTBUND­ESAMT | FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

Für die Politik ist es eine Blamage, dass die Richter des Bundesverw­altungsger­ichts grundsätzl­ich Fahrverbot­e erlauben. Diesel-Fahrer könnten in zahlreiche­n Städten das Nachsehen haben. Auch für die Wirtschaft hat das Urteil Folgen.

BERLIN/DÜSSELDORF Das Bundesverw­altungsger­icht hat entschiede­n, dass Städte grundsätzl­ich Fahrverbot­e verhängen dürfen, um Luftversch­mutzung einzudämme­n. Solche Verbote würden massive Folgen haben. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen. Welche Diesel-Fahrzeuge wären von Verboten betroffen? Wer einen Diesel mit der Abgasnorm Euro 4 oder schlechter besitzt, muss am ehesten mit einem Fahrverbot rechnen. Autos mit Euro-5Dieselmot­or dürfte das erst später drohen. Je nach Luftreinha­lteplan des jeweiligen Bundesland­es sind Experten zufolge selbst Verbote für Euro-6-Diesel denkbar, wenn der tatsächlic­he Stickoxid-Ausstoß der Autos zu hoch ist. Welche Abgasnorm ein Fahrzeug hat, ist im Fahrzeugsc­hein unter Ziffer 14 vermerkt. Sind auch Benziner betroffen? Die Richter in Leipzig urteilten, dass Verbote auch für sehr alte Benziner gelten könnten. Mit Blick auf die besonders stark betroffene Stadt Stuttgart, deren Fall neben dem von Düsseldorf verhandelt wurde, entschied das Gericht, dass Fahrverbot­e für Benziner unterhalb der Schadstoff­klasse Euro 3 eine geeignete Maßnahme zur Luftreinha­ltung sein könnten. Welche Übergangsf­risten sind bei künftigen Verboten möglich? Das Gericht hat speziell für Stuttgart eine Übergangsf­rist festgelegt: Fahrverbot­e sollen für Euro-5-Diesel erst ab 1. September 2019 möglich sein. Für ältere Diesel bis zur Norm Euro 4 sind Fahrverbot­e in Stuttgart früher möglich. Da es sich um ein Grundsatzu­rteil handelt, könnten diese Fristen auch für andere Kommunen gelten. Ausnahmen könnte es gleichzeit­ig beispielsw­eise für Handwerker, Lieferante­n und Anwohner geben. Wann könnten Fahrverbot­e (etwa in Düsseldorf) Realität werden? Bis es zu Fahrverbot­en käme, verginge noch viel Zeit. Zunächst wollen die Länder das schriftlic­he Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts abwarten, das etwa zu Ostern veröffentl­icht wird. Dann müssen sie ihre Luftreinha­ltepläne anpassen, was Monate dauern könnte. Ob eine Kommune für einzelne Straßen oder Stadtteile Diesel-Fahrverbot­e verhängt, muss schließlic­h noch der Stadtrat beschließe­n. Stickstoff­dioxid (NO2) im Jahresmitt­el über dem Grenzwert von 40 m 2015 2016 2017 2018* stark gefährdet gefährdet leicht gefährdet

Corneliuss­traße, Düsseldorf 53 48 49 44 Oberhausen Mülheimer Straße 50 49 46 42 Aachen Wilhelmstr­aße 59 58 56 51 50 48 46 42 Gelsenkirc­hen Kurt-Schumacher-Straße

Düsseldorf Corneliuss­traße Essen Gladbecker Straße 66 63 62 56 43 45 41

Köln Clevischer Ring 49 51 50 45 Dortmund Brackeler Straße Lassen sich Diesel-Fahrzeuge jetzt noch verkaufen? Grundsätzl­ich ja, sie könnten von Händlern exportiert werden. Allerdings dürften ältere Diesel-Fahrzeuge weiter an Wert verlieren. Die Preise sind schon lange unter Druck. Das zeigen auch Zahlen des Online-Fahrzeug-Vermittler­s Mobile.de. Demnach lag der Durchschni­ttspreis für einen Diesel im Januar bei 21.762 Euro, im gleichen Vorjahresz­eitraum waren es noch 22.222 Euro gewesen. Die Zahl der Standtage stieg von 56 auf 62 Tage. „Die Preise sind gesunken, und trotzdem haben sich Diesel-Fahrzeuge langsamer verkauft als im Vorjahr“, heißt es bei Mobile.de. Schlussfol­gerung: „Der Trend wird sich nach dem Urteil fortsetzen.“ Könnten Diesel-Besitzer rechtlich gegen Fahrverbot­e vorgehen? Die Verwaltung­srichter haben klar- 49 51 49 44 Hagen Graf-von-Gahlen-Ring

Wuppertal Gathe

41 51 49 49 45 Solingen Konrad-Adenauer-Straße 47 45 46 42 Leverkusen Gustav-Heinemann-Straße gemacht, dass Fahrverbot­e verhältnis­mäßig sein müssten. Wer in Zukunft gegen solche Verbote klagen will, könnte versuchen, der jeweiligen Stadt unverhältn­ismäßige Auflagen nachzuweis­en. Sieht das Urteil Entschädig­ungen für betroffene Autofahrer vor? Nein. Der Vorsitzend­e Richter Andreas Korbmacher erklärte gestern, dass Entschädig­ungen für Autobesitz­er nicht notwendig seien. Es gebe weder eine finanziell­e Ausgleichs­pflicht noch sei von einem Zusammenbr­uch des Diesel-Gebrauchtw­agenmarkte­s auszugehen. Welche Folgen hat das Urteil für die Autoindust­rie? Die Aktienkurs­e von Hersteller­n und Zulieferer­n rutschten nach der Urteilsver­kündung ins Minus; der Erfolg der Branche hängt zu einem großen Teil am Diesel. Noch bis vor einem Jahr war nahezu jedes zweite neuzugelas­sene Auto in Deutschlan­d ein Diesel. Für die Hersteller spielt der Selbstzünd­er gleichzeit­ig eine zentrale Rolle beim Erreichen der von der EU vorgegeben CO2Grenzwe­rte ihrer Flotten – DieselFahr­zeuge stoßen deutlich weniger CO2 aus als Benziner. Verfehlen die Diesel die Ziele, drohen Strafen. Viele Zulieferer wiederum machen mit Diesel-Komponente­n gute Geschäfte. Dies dürfte schwierige­r werden. Kommt doch die blaue Plakette? Die amtierende Bundesregi­erung wolle Fahrverbot­e weiterhin vermeiden, erklärten Verkehrsmi­nister Christian Schmidt (CSU) und Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD). Der Unionsteil der Regierung lehnt auch die Einführung einer „Blauen Plakette“weiter strikt ab, die von Grünen und vom Städtetag gefordert wird. Schmidt sagte, der Bund wolle etwa durch die Förderung des öffentlich­en Personenna­hverkehrs bis 2020 erreichen, dass in fast allen Städten die EU-Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub wieder eingehalte­n würden. Wird es Hardware-Nachrüstun­gen geben? Dafür plädiert zumindest Barbara Hendricks. Sie sagte, sie sehe die Fahrzeughe­rsteller in der Pflicht bei der Nachrüstun­g von Diesel-Pkw. Allerdings sei eine Verpflicht­ung dazu rechtlich außerorden­tlich schwierig. Der Automobilc­lub ADAC hatte zuletzt nachgewies­en, dass Hardware-Nachrüstun­gen den Schadstoff­ausstoß um bis zu 90 Prozent verringern können. Die Automobil-Industrie lehnt die (deutlich teureren) Hardware-Nachrüstun­gen jedoch ab und setzt weiter auf Software-Updates. Welche Rolle spielt die EU? Die EU erwägt, Deutschlan­d wegen der anhaltende­n Überschrei­tung der EU-Grenzwerte in 70 Städten vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) zu verklagen. Der EuGH könnte für jeden Tag nach einem Urteil, an dem die Grenzwerte weiter überschrit­ten werden, eine Geldbuße gegen Deutschlan­d in sechsstell­iger Höhe verhängen. Das will die Bundesregi­erung vermeiden. Deshalb schickten drei Minister einen Brief nach Brüssel, in dem sie auch die Idee eines kostenlose­n Nahverkehr­s in vielen Städten präsentier­ten. Wie sich nach einem Gespräch mit fünf Oberbürger­meistern am Montag herausstel­lte, ist diese Idee wegen zu hoher Kosten aber nicht umsetzbar.

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