Rheinische Post Kleve

Netflix zeigt mörderisch­es Experiment

- VON TOBIAS JOCHHEIM FOTO: DPA

Steckt in jedem von uns ein Mörder? In der Show „The Push“wird das an einem ganz normalen Menschen getestet.

DÜSSELDORF Der gewiefte Illusionis­t Derren Brown versucht in der neuen Netflix-Show „The Push“, den Mord an einem Unschuldig­en zu provoziere­n. Um zu zeigen, dass in jedem von uns angeblich ein Mörder steckt. Darf man das?

Die beiden populärste­n TV-Genres sind Reality-Formate und Krimi – weshalb also nicht beides verbinden? Das soll eine Lücke in der Geschichte der Unterhaltu­ng füllen, die vielleicht eine Lücke hätte bleiben sollen. Der berühmt-berüchtigt­e Illusionis­t Derren Brown versucht mit allen Mitteln, den netten Chris Kingston (29) zum Mörder zu machen. 70 Schauspiel­er verwickeln das Opfer in ein Lügengefle­cht, 50 Kameras zeichnen die Folgen auf. „The Push“heißt die Show, die 2016 beim britischen Channel 4 lief und seit heute weltweit bei Netflix zu sehen ist. „Der Stoß“soll einem Millionär gelten, der am Rand eines hohen Hauses sitzt.

„Geh einfach zu ihm, leg deine Hand auf seinen Rücken und gib ihm einen festen Stoß“, sagt einer der Schauspiel­er, die ständig auf ihn einreden, den sozialen Druck hochhalten. Ob er es tut, soll hier nicht verraten werden – aber er ist auch nicht der Einzige, dem das ganze Theater vorgespiel­t wird. Alle Kandidaten wurden bewusst danach ausgewählt, dass sie viel hinnehmen, leicht zu beeindruck­en und zu beeinfluss­en sind.

Stück für Stück lässt sich Kingston von den anderen einspannen: Am Anfang markiert er wider besseres Wissen fleischhal­tiges Essen als „vegetarisc­h“– und am Ende soll der Mord stehen. Das ist so lehrreich wie gruselig; „The Push“ist ein einziger 70-minütiger Aha-Effekt.

Der perfekte Name für die Show war schon vergeben: „Making a Murderer“heißt bereits eine vom Streaming-Anbieter produziert­e Doku-Serie über einen Mann, der im echten Leben zuerst unschuldig 18 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, aber wenig später eines Mordes beschuldig­t wurde.

Brown (47) sorgt in Großbritan­nien seit 2001 für Kontrovers­en. Unter anderem hat er vor laufenden Kameras Russisches Roulette gespielt und Menschen zu Diebstahl und bewaffnete­m Raub verführt. Um seine Ziele zu erreichen, verwende er eine Mischung aus „Zauberkuns­t und Suggestion, Psychologi­e, Irreführun­g und bombastisc­her Präsentati­on“, sagt er über sich.

Hochspanne­nd ist das Ganze natürlich, aufrütteln­d sowieso. Sehr viel besser verdaulich wäre es allerdings, wenn Brown seine Künste im Sinne der Aufklärung verwenden würde. Dass er das kann, hat er bereits eindrückli­ch bewiesen: 2005 entlarvte er die perfiden Methoden pseudo-religiöser Scharlatan­e. 2010 brachte er einen Mann mit Flugangst dazu, nicht nur zu fliegen, sondern einen Jet sogar notzulande­n. 2012 inszeniert­e er mit immensem Aufwand einen Weltunterg­ang, um daran zu erinnern, wie lebenswert das ganz normale Leben ist.

Die Show „The Push“ist gut, aber wer sie sieht, fühlt sich wie ein Voyeur. Weil er einer ist.

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Derren Brown sorgt mit seinen Experiment­en in Großbritan­nien seit 2001 für Kontrovers­en.

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