Rheinische Post Kleve

Das große Ringen um Fachkräfte

- VON MARC CATTELAENS

Bei der Zukunftswe­rkstatt beschäftig­en sich Experten mit der Frage, wie es gelingen kann, den Bedarf regionaler Firmen an gut ausgebilde­ten Mitarbeite­rn zu decken. Einige Unternehme­n suchen jetzt in China nach neuen Kräften.

KLEVE Der Mangel an Fachkräfte­n wird immer mehr zum Problem. Während die meisten heimischen Firmen ihren Personalbe­darf bisher unter größeren Anstrengun­gen decken konnten, stoßen viele Unternehme­n jetzt an ihre Grenzen: Freie Stellen bleiben unbesetzt.

Christian Nitsch, Geschäftsf­ührer der Clivia Pflegezent­rum GmbH aus Kleve, setzte bislang vor allem auf eigene Auszubilde­nde, von denen er derzeit 25 beschäftig­t. Das Problem: „Davon können wir den Pflegebeda­rf nicht decken. Die Nachfrage im Kleverland ist enorm gestiegen, auch durch neue Betreuungs­formen. Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass sich die Pflegekräf­te aussuchen können, wo sie arbeiten wollen.“Seit einiger Zeit setzt Clivia auch auf Mitarbeite­r aus Spanien, Italien und anderen europäisch­en Ländern. „Zwei Jahre lang haben wir damit gute Erfahrunge­n gemacht. Aber seitdem sich die wirtschaft­liche Situation in diesen Ländern gebessert

hat, sind viele Mitarbeite­r wieder dorthin zurückgega­ngen. Oder sie haben Angebote von Firmen in Großstädte­n angenommen, wo oft besser bezahlt werden kann“, sagt Nitsch. Jetzt geht er mit seiner Firma den Weg Richtung China. Aus dem fernöstlic­hen Land hat er erstmals drei Pflegefach­kräfte gewinnen können. „Sie haben eine tolle Sprachkomp­etenz. Es sieht ganz danach aus, dass sie ihren neuen Job mit einer großen Ernsthafti­gkeit angehen“, sagte Nitsch bei der Zukunftswe­rkstatt von RP und Voba Kleverland.

Maik Möller, der Personalle­iter des Klinikverb­unds Katholisch­e Karl-Leisner-Trägergese­llschaft, macht wenig Hoffnung. „Wir haben viel in China investiert. Die Mitarbeite­r waren aber innerhalb kürzester Zeit wieder weg. Die Sprachbarr­iere war einfach zu groß“, sagt er. Sein Chef, Bernd Ebbers, sieht den Fachkräfte­mangel bei Ärzten und Pflegekräf­ten nun akut werden. „Ärztemange­l gibt es seit 20 Jahren. Aber jetzt sind wir so weit, dass wir Stellen, die frei werden, nicht mehr besetzen können“, sagt er. An deutsche Ärzte sei kaum zu kommen, ergänzt Maik Möller. „Und jeder ausländisc­he Arzt, der deutschen Boden betritt, wird sofort angesproch­en“, so der

Personal- chef. Ein großes Problem sei es, im Ausland erlangte Qualifikat­ionen anerkennen zu lassen. „Hier bieten wir Beratung an“, sagt Judith Hermeier der Niederrhei­nischen Industrie- und Handelskam­mer. Sie sieht ein großes Potenzial darin, „Mütter und Frauen, die länger nicht mehr gearbeitet haben, wieder auf den Arbeitsmar­kt zu bringen.“Für Menschen älter als 25 Jahre könne eine begleitete Teilqualif­ikation eine gute Lösung sein. Dabei wer

de der Fokus auf einen bestimmten Baustein einer Ausbildung gelegt.

Peter Wolters, Leiter des Berufskoll­egs Kleve, sieht auch die Firmen in der Pflicht. „Sie müssen aktiv werden, dürfen sich nicht nur beklagen. Außerdem müssen die Chefs erkennen, dass sie mit den Schülern klarkommen müssen, die wir nun mal haben. Darauf muss man sich einstellen.“Er habe festgestel­lt, dass bei seinen Schülern kaufmännis­che Berufe beliebter als handwerkli­che sind. Das bestätigt Lukas Verlage, Geschäftsf­ührer des technische­n Gebäudeaus­rüsters Colt Internatio­nal aus Kleve. „Die größten Probleme haben jetzt regionale Betriebe mit drei oder vier Mitarbeite­rn: Gas-Wasser-Installate­ure, Betonbauer, Elektriker. In der Industrie wird es erst in 15 Jahren prekär, wenn der 65er Jahrgang in Rente geht“, sagt Verlage.

An diesem Punkt hakte Marcel Peters, Mitglied im Kreisvorst­and des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds, ein. „Die Firmen haben sich immer noch nicht auf den Fachkräfte­mangel eingestell­t. Sie setzen viel zu wenig auf eigenen Nachwuchs.“Er hatte auch Zahlen parat, die dies belegen: 23 Prozent der Unternehme­n im Kreis Kleve bilden nicht aus. 18 Prozent derer, die sich im vergangene­n Jahr im Kreis auf Ausbildung­sstellen beworben haben, haben keine Stelle bekommen.“Das könne allerdings auch an den Bewerbern selbst liegen, findet Schulleite­r Peter Wolters. „Viele junge Leute sind heute nicht reif für eine Ausbildung“, sagt er.

Christian Nitsch lobt Initiative­n wie die „Nacht der Ausbildung“oder die Gesamtschu­le am Forstgarte­n, die ihren Achtklässl­ern einmal wöchentlic­h einen Praxistag in regionalen Unternehme­n ermöglicht. „So erhalten die Schüler Orientieru­ng und einen lebendigen Einblick in den Arbeitsall­tag“, betont der Geschäftsf­ührer. Liegt der Grund dafür, dass Firmen kaum Mitarbeite­r finden, darin, dass sie zu wenig zahlen? Hier winken die Firmenchef­s alle ab. „Selbst in der viel gescholten­en Pflege wirdheute oft sehr anständig entlohnt“, sagt Christian Nitsch. Gewerkscha­fter Peters schränkt ein: „Das gilt oft nur für Männer. Der Durchschni­ttslohn im Kreis Kleve beträgt 2900 Euro für Männer und 2400 Euro für Frauen.

 ?? RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN ??
RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN

Newspapers in German

Newspapers from Germany