Rheinische Post Kleve

Erstmals ist auch Herr Sauer dabei

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

Angela Merkel wird erneut zur Kanzlerin gewählt – unter den Augen von Mutter und Ehemann. 1000 Euro Strafe gibt es für die AfD.

BERLIN Kein Wort, kein Lachen, kein Jubel. Schrecksek­unde. Angela Merkel ist gerade zum vierten Mal zur Bundeskanz­lerin gewählt worden, aber im Bundestag halten sie den Atem an. Die Abgeordnet­en, die Zuschauer auf den Tribünen. Angela Merkels Ergebnis ist so schlecht, dass alle erst einmal im Kopf nachzurech­nen scheinen, wie knapp die 63-Jährige an einem Scheitern vorbeigesc­hrammt ist.

355 Stimmen brauchte sie für die in diesem ersten Wahlgang erforderli­che absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags. 364 hat sie bekommen. Dabei hat die neue große Koalition 399 Mandate. Es ist eine geheime Wahl; insofern ist schwer zu sagen, wie viele Abgeordnet­e von CDU, CSU und SPD ihr die Unterstütz­ung versagt haben. Erst als der Sitzungsle­iter, Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, Merkel zu ihrer Wahl beglückwün­scht, kommt wieder Leben ins Parlament. Es wird applaudier­t, aber zaghaft und kurz. Die Kanzlerin startet mit einem schweren Dämpfer. Aufbruch sieht anders aus.

Auf der Tribüne sitzt an diesem Tag ihr Mann Joachim Sauer. Zu keiner ihrer drei vorherigen Wahlen zur Kanzlerin war der öffentlich­keitsscheu­e Quantenche­miker in den Bundestag gekommen. Jetzt verfolgt er mit Merkels 89-jähriger Mutter Herlind Kasner das Geschehen von der ersten Reihe aus. Vielleicht, weil er weiß, dass er nicht noch einmal die Gelegenhei­t dazu bekommen wird. Während die Stimmen ausgezählt werden, klappt er seinen Laptop auf und schreibt.

Schäuble sagt, er werde das Ergebnis der Wahl nun Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mitteilen. Steinmeier ist nicht nur dafür zuständig, Merkel und ihre Minister zu ernennen: dieses Mal war er auch der Kanzlerinn­enmacher. Er war es, der die SPD aus ihrer anfänglich­en Gesprächsv­erweigerun­g über eine Fortsetzun­g der großen Koalition zurückgeho­lt hat.

Der Präsident wollte eine Neuwahl verhindern, weil er für Deutschlan­d völlig ungewöhnli­che instabile Zeiten befürchtet hatte. Dafür nahm er seine Sozialdemo­kraten in die Pflicht. Bei der Vereidigun­g der Minister zur Mittagszei­t im großen Saal in Schloss Bellevue geht Steinmeier noch einmal darauf ein, dass eine erneute große Koalition keine Selbstvers­tändlichke­it sei. „Um verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen“, appelliert er an die Ministerri­ege. Während draußen vor dem Schloss im Nieselrege­n die Staatslimo­usinen wie Perlen an einer Kette nebeneinan­der stehen, lauschen die künftigen Minister drinnen mit konzentrie­rten Gesichtern den Worten des Staatsober­haupts. Steinmeier hat das Thema Demokratie zum zentralen Anliegen seiner Amtszeit gemacht. Nun mahnt er vor der Deutschlan­dflagge stehend die Demokraten zur Wachsamkei­t.

Es hat nicht viel gefehlt, dann wäre es den Jusos mit ihrer AntiGroko-Kampagne gelungen, die Neuauflage des Bündnisses zu verhindern. Martin Schulz, der über den Aufstand der SPD-Jugend als Parteivors­itzender stürzte, sitzt jetzt im Bundestag in der dritten Reihe. Er sieht immer noch erschöpft aus von dem wohl bislang dramatisch­sten Wahlkampfj­ahr, das die Bundesrepu­blik erlebt hat.

So wie Bayern München im Fußball am Ende der Saison immer wieder auf dem ersten Tabellenpl­atz steht, sitzt die Rekordkanz­lerin wieder auf dem ersten Stuhl der Regierungs­bank. Zu den ersten Gratulante­n gehören die Grünen: die Fraktionsc­hefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sowie die Parteivors­itzende Annalena Baerbock. Sie hätten so gerne eine Regierung mit Merkel gebildet. Für SchwarzGrü­n reichte es rechnerisc­h nicht, für ein Jamaika-Bündnis inklusive FDP inhaltlich und mental nicht.

Den größten Blumenstra­uß überreicht CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Ausgerechn­et Dobrindt. Sowohl in den JamaikaVer­handlungen als auch in den Groko-Gesprächen war er durch permanente­s Störfeuer aufgefalle­n. Immer wieder erweckte er vor und hinter den Kulissen den Eindruck, als wolle er weder Teil eines JamaikaBün­dnisses noch einer großen Koalition werden.

Die neuen Minister versprühen aber Lust aufs Regieren. Die angehende Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) umarmt Schulz zur Begrüßung im Bundestag; kürzlich hat sie ihn noch scharf kritisiert. Schulz bleibt auf seinem Platz sitzen. Hubertus Heil (SPD), der neue Arbeitsund Sozialmini­ster, plauscht entspannt mit Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), der Hermann Gröhe (CDU) von dem Posten verdrängt hat. Der 37-jährige Spahn gehört zu Merkels schärfsten Kritikern. Hätte sie ihn übergangen, wäre der parteiinte­rne Widerstand gegen sie schon jetzt größer. Die neue Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) lässt ein Foto mit dem Handy von sich im Plenum machen.

Die AfD macht kurz von sich reden, weil ihr Abgeordnet­er Petr Bystron „schwerwieg­end gegen die Würde des Bundestags“verstößt. Er macht seine Stimmabgab­e in der Wahlkabine mit einem Foto öffentlich. Schäuble brummt ihm dafür eine Strafe von 1000 Euro auf.

In seiner neuen Rolle wirkt Schäuble noch ein wenig nervös. Als Merkel ihren Amtseid ablegt und die religiöse Formel „So wahr mir Gott helfe“hinzufügt, wünscht Schäuble ihr alles Gute auf ihrem „schweren Weg“. Mag das auch richtig sein, dass es diese Wahlperiod­e schwer für die Kanzlerin wird, ist es doch eine bemerkensw­erte Formulieru­ng für einen Bundestags­präsidente­n in einem solchen feierliche­n Moment. So wie Merkel gestrickt ist, wird sie die Lasten dieses denkwürdig­en Tages aber bald abschüttel­n – Hauptsache, gewählt.

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FOTOS: DPA Zum ersten Mal nimmt Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble Angela Merkel den Amtseid ab.

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