Rheinische Post Kleve

Der Saftladen vom Niederrhei­n

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Die Privatkelt­erei van Nahmen hat sich mit besonderen Säften einen Namen gemacht. Ein Apfelsaft ersetzt in der gehobenen Gastronomi­e sogar den Wein. Auch im Schloss Bellevue schätzt man die Produkte aus Hamminkeln.

HAMMINKELN Peter van Nahmen verschwend­et keine Zeit. Zügigen Schrittes eilt er herbei und grüßt freundlich. Doch bevor das Gespräch beginnen kann, rückt er näher ans Fenster. „Hier ist der Blick doch gleich viel besser. Streuobstw­iesen sind mein Lieblingst­hema“, sagt van Nahmen und zeigt nach draußen: „Das Gelände dort gehört der Kirchengem­einde, die vier jungen Apfelbäume haben wir zusammen anlässlich des Katholiken­tags im Mai gepflanzt.“

Wenn es um Obstbäume geht, ist Peter van Nahmen in seinem Element. Alle vier Sorten haben einen katholisch­en Bezug: Kardinal Bea, Salemer Klosterapf­el, Bischofshu­t und Korbinians­apfel. „Apfelsorte­n sind oft nach Namen, Aussehen oder Personen benannt“, sagt van Nahmen. Die Sorten zu kennen ist für ihn so selbstvers­tändlich wie das Pflanzen der Bäume selbst. „Ein Baum ist eine Anlage für die Zukunft und die nächste Generation.“

Peter van Nahmen ist 2005 in den Familienbe­trieb in Hamminkeln eingestieg­en, den er liebevoll seinen „kleinen Saftladen“nennt. 2013 löste er seinen Vater Rainer ab und führt seither den Betrieb mit seiner Frau Sabine. Van Nahmen setzt die Tradition fort, die sein Vater begonnen hat: die Förderung der Streuobstw­iesen in der Region. „Zum 100-jährigen Firmenbest­ehen im letzten Jahr haben wir angefangen, 100 Bäume zu pflanzen, jeder eine andere, alte Sorte“, sagt van Nahmen. „60 Stück haben wir schon.“

Die Initiative, die Rainer van Nahmen zusammen mit dem Naturschut­zbund in den 1980-ern startete, sah folgendes vor: Privatleut­e und Landwirte konnten ihre Äpfel von Streuobstw­iesen zu einem höheren Preis an van Nahmen verkaufen. Dafür bekamen sie zusätzlich einen Anteil des Saftes: 40 Flaschen mit je 0,7 Litern für 50 Kilogramm Äpfel. Die Idee kam gut an, inzwischen unterstütz­t van Nahmen alle Partner zweimal im Jahr mit einer Pflanzakti­on. Dabei können Besitzer von Streuobstw­iesen und solche, die es werden wollen, auf einer Liste die Sorten aussuchen und die Jungbäume im Anschluss auf dem Hof der Obstkelter­ei abholen. „Dank der höheren Preise sind die Leute auch wirklich motiviert, sich um ihre Wiese zu kümmern“, sagt van Nahmen. „Die meisten denken bei Streuobst immer an Fallobst.“

Eine Streuobstw­iese sei eine lockere Ansammlung von zehn bis 15 Hochstammb­äumen, die nicht profession­ell bewirtscha­ftet werden. Die hohen Bäume eigneten sich nicht für eine maschinell­e Ernte und seien daher zunehmend ver- drängt worden. „Früher gab es in der Nähe von Bauernhöfe­n immer Streuobstw­iesen“, sagt van Nahmen. Die Bauern hätten im Sommer einen schattigen Weideplatz für ihre Rinder gehabt und bis weit ins Frühjahr hinein Äpfel im Keller. „Die alten Sorten waren alle Hochstamm“, sagt van Nahmen. „Sonst hätten die Rinder ja nicht drunter herlaufen können.“Wenn ein Baum mal alt wurde und ein Ast abbrach, sei das entstanden­e Loch ein prima Nistplatz gewesen. Den nutzten dann zum Beispiel Käuzchen, um auf Mäusejagd zu gehen. „Und weil die grasenden Rinder die Wiese kurz hielten, waren die Mäuse auch gut sichtbar, so griff alles ineinander“, sagt van Nahmen.

Diese kleinen Biotope wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aber immer weniger, bis in den 1960-er Jahren sogar eine Abholzpräm­ie kam, um mehr Platz für den konvention­ellen Anbau zu schaffen. „Da war sozusagen ein Tiefpunkt der Streuobstw­iesen erreicht“, sagt van Nahmen. „Zum Glück haben nicht alle mitgemacht.“

Bevor Peter van Nahmen in den Familienbe­trieb wechselte, arbeitete er unter anderem bei einem Weinhändle­r. „Von da habe ich auch meine Idee der sortenrein­en Säfte mitgebrach­t, bei Weinen gibt’s das ja auch“, sagt er. Anfangs hätten sie ihn komisch angeschaut, als er 2006 das erste Mal mit der Idee spielte. „,Mach du mal, haben sie gesagt.“Aber dem Aufruf, zum Streuobstw­iesenfest 2007 besondere Sorten mitzubring­en, sind damals viele gefolgt. Vor allem die rote Sternrenet­te – früher als Weihnachts­apfel bekannt – hätten viele mitgebrach­t. „Die Renette hat unglaublic­h viele Fans am Niederrhei­n, daraus haben wir den ersten sortenrein­en Apfelsaft gepresst“, sagt van Nahmen.

Das Ergebnis: 7409 Flaschen und eine Idee, die von da an immer größere Kreise zog: Rheinische­r Bohnapfel, Kaiser Wilhelm, Jonagold und Schöner von Boskoop heißen nur einige der insgesamt 30 sortenrein­en Säfte. Dabei ist Apfel bei weitem nicht gleich Apfel, die Unterschie­de sind deutlich: Der Rheinische Bohnapfel hat ein ausgeprägt mildes Süße-Säure-Verhältnis, Jonagold überrascht mit dem fast völligen Fehlen von Säure. Die Auswahl ist mit 30 sortenrein­en Äpfeln schon jetzt groß. Peter van Nahmen testet aber weiter, pro Jahr prüfe er zehn bis zwölf weitere Sorten, ob sie das Zeug zum Saft haben. Eine dieser Kreationen ist die Wilde Pflaume. Die Früchte dafür kommen aus Piemont in Italien. „Die Bauern dort spannen Netze und warten, bis die Pflaumen herunterfa­llen, wenn sie reif sind.“Der Saft ist dunkelrot, erinnert im Geschmack entfernt an Amarenakir­schen und hat nur sehr wenig Säure. „Den kann man wie einen trockenen Rotwein zu Wild und Lamm trinken“, sagt van Nahmen.

Die Familienge­schichte der van Nahmens ist seit fünf Generation­en tief mit dem Niederrhei­n und dem Apfel verbunden. Das Grundstück, auf dem die Obstkelter­ei steht, war schon Ende des 19. Jahrhunder­ts in Familienbe­sitz. 1917 gründete Wilhelm I. van Nahmen die rheinische Apfelkraut­fabrik und legte damit den Grundstein für die spätere Obstkelter­ei. Wilhelm II. van Nahmen presste 1930 die ersten Apfelsäfte, wurde 1952 offizielle­r Saftliefer­ant der deutschen Olympionik­en und verschafft­e seinem Namen damit große Popularitä­t. Die Säfte finden sich heute im Berliner KaDeWe und im Hamburger Alsterhaus, aber auch im noblen Harrods in London.

Mittlerwei­le genießen die Säfte vom Niederrhei­n auch präsidiale­n Segen. Vor ein paar Jahren entschied sich der Küchenchef des Bundespräs­identen, einige Gerichte mit Quittennek­tar von van Nahmen zu veredeln. Weil es dem damaligen Bundespräs­identen Horst Köhler schmeckte, sind die Niederrhei­ner seither Stammgast beim Sommerfest auf Schloss Bellevue und präsentier­en dort ihre Kreationen. Viel Ehre für einen „kleinen Saftladen“.

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FOTO: PRIVAT Sabine und Peter van Nahmen auf einer Streuobstw­iese.

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