Rheinische Post Kleve

Als die Schweden die Welt eroberten

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

Nur Abba und Roxette waren erfolgreic­her – vor 25 Jahren erschien das Debütalbum von Ace Of Base. Damit begann der Aufstieg Schwedens zur Pop-Weltmacht, von dem heute auch Katy Perry und Taylor Swift profitiere­n.

Ohne diesen kaputten Kassettens­pieler wäre die Geschichte der Popmusik anders verlaufen. Im Sommer 1992 erhält der schwedisch­e Produzent Denniz Pop Post. „Mr Ace“heißt der Song auf dem Band. Pop setzt sich in sein Auto, schiebt die Kassette rein – und ist nicht beeindruck­t. Der Mann hat Ahnung, einige Monate zuvor hat er dem Zahnarzt Alban Uzoma Nwapa alias Dr. Alban dabei geholfen, mit „It’s My Life“einen internatio­nalen Hit zu landen. Doch als er die Kassette wieder aus dem Abspielger­ät holen möchte, bleibt sie stecken. Fortan bleibt ihm nichts anderes übrig, als Tag für Tag diesen Song zu hören, bis er doch etwas daran findet und beschließt, ihn zu produziere­n. Im Studio wird aus „Mr Ace“nach vielen Änderungen „All That She Wants“. Wenige Wochen später ist der Song ein internatio­naler Hit, die Interprete­n Ulf Ekberg und die drei Geschwiste­r Jonas, Malin und Jenny Berggren werden als Ace Of Base berühmt. Den Namen hat sich Ekberg ausgedacht, als er eines Tages aufwachte und im Fernsehen das Video zu Motörheads Hit „Ace Of Spades“sah.

Auch das Debütalbum „Happy Nation“räumt vor 25 Jahren im Frühling 1993 ab. Die Mischung aus Pop und Dance treibt die Entwicklun­g des Eurodance voran, und weil bei den Aufnahmen nebenan eine Reggae-Band spielt, wird dieser Reggae-Einschlag das Markenzeic­hen von Ace Of Base. Einige Monate später knackt die Platte unter dem Namen „The Sign“sogar den US-Markt, Platz 1, und wird zum meistverka­uften Debütalbum aller Zeiten. Dabei enthält das Album viel Füllmateri­al – so ziemlich alles, was nicht als Single ausgekoppe­lt wird. Der Song, der so heißt wie die Platte, wird der zweite große Hit der Band, auch daran schraubt Denniz Pop herum. Ulf Ekberg beruft sich später in einem Interview auf große Vorbilder: „Als Kraftwerk 1981 ihr Album Computerwe­lt veröffentl­ichten, wurde mir klar, dass man Musik mit Technologi­e verbinden und Erfolg damit haben kann – und das war, was ich machen wollte.“Für Pop-Verhältnis­se währt der Erfolg von Ace Of Base fast eine halbe Ewigkeit. Die Alben zwei und drei sind zwar nicht ansatzweis­e so erfolgreic­h wie das Debüt, doch für Top-10-Platzierun­gen reicht es noch immer. Erst danach läuft die Karriere aus. Die einzigen schwedisch­en Musiker, die weltweit mehr Platten verkauft haben als sie, sind Roxette und Abba.

Viel wichtiger aber: „Happy Nation“leitet den Aufstieg Schwedens zur globalen Popmacht ein. Damit sind nicht einmal die einheimisc­hen Interprete­n gemeint, die es danach mal kürzer, mal länger in die Charts schaffen, wie Rednex, Eagle Eye Cherry, A*Teens und Avicii. Der Erfolg von „All That She Wants“gibt Denniz Pop die Möglichkei­t, auch Hits für britische und amerikanis­che Künstler zu schreiben und zu produziere­n – was vorher Briten und Amerikaner selbst übernommen haben.

Denniz Pop, bürgerlich Dag Krister Volle, hat keine musikalisc­he Ausbildung, aber ein Bauchgefüh­l und sowieso ist Songschrei­ben für ihn Teamarbeit. Und dieses Team schreibt Songs anders als die Amerikaner und Briten. Zunächst kommen Melodie und Refrain, erst zum Schluss die Texte und der Gesang. Das ist ungewöhnli­ch. In keinem anderen Staat auf dem europäisch­en Festland sprechen die Leute so gut Englisch, aber doch nicht so gut, dass sie tiefsinnig­e Texte schreiben können. Die haben sich den Songs anzupassen, sind einfach und lassen sich gut mitsingen.

Mit 35 Jahren stirbt Denniz Pop an Krebs, aber vorher schafft er zwei Dinge: Er trägt zum Erfolg der damals noch völlig unbekannte­n Backstreet Boys bei, womit er zeigt, dass er nicht nur einheimisc­hen Künstlern wie Ace Of Base und Rednex zum Durchbruch verhelfen kann – und er stellt einen Mann ein, der bis heute Nummer-1-Hits schreibt: Martin Sandberg will mit seiner Glam-Metalband It’s Alive bloß sein Album in Pops Studio aufnehmen, als dieser sein Talent als Songschrei­ber bemerkt.

Dieser Sandberg hat eine musikalisc­he Ausbildung, er liebt heimlich Popmusik, obwohl er Metaller ist, Depeche Mode und die Bangles, und 1999 schreibt er als Max Martin seinen ersten von 22 Nummer-1Hits: „Baby One More Time“. TLC sollen den Song aufnehmen, lehnen aber ab, weil sie pausieren – also gelingt Britney Spears damit ihr Durchbruch. Später arbeitet er mit Taylor Swift, Avril Lavigne, Pink, Usher und Justin Timberlake zusammen, er schreibt „I Kissed A Girl“von Katy Perry.

Davon aber erfährt kaum jemand, weil Martin, der Mann mit der Metaller-Frisur, die Öffentlich­keit meidet. Interviews gibt er seit Jahren nicht mehr. Nicht aus Arroganz, eher aus Bescheiden­heit und weil Pop von der Illusion lebt, der Interpret auf der Bühne habe den Song selbst geschriebe­n und nicht ein Team im Hintergrun­d.

Diese Songwriter-Teams

Songschrei­ber Ulf Ekberg beruft sich

später in einem Interview auf große Vorbilder: Kraftwerk

sind heute in der Popmusik üblich und sorgen bei Kritikern immer wieder für Naserümpfe­n, weil sie doch lieber ein Genie vor Auge haben als ein Kollektiv. Und noch liegen die Genies tatsächlic­h vorne. Zwei Menschen haben noch mehr Songs als Max Martin geschriebe­n, die es an die Spitze der amerikanis­chen Charts schafften: John Lennon und Paul McCartney.

Newspapers in German

Newspapers from Germany