Rheinische Post Kleve

Mustermann der Jahrhunder­twende

- VON ANNETTE BOSETTI

Peter Behrens gilt als Pionier des Industried­esigns. Köln zeigt den Alleskönne­r, der deutliche Spuren in Düsseldorf hinterlass­en hat.

KÖLN In Düsseldorf wurde Peter Behrens zu Beginn des vergangene­n Jahrhunder­ts ein Mal sogar verspottet. „Lattenpitt­er“rief man den damaligen Leiter der Kunstgewer­beschule, der 1904 mit seinem Entwurf für die „Große Gartenbau-Ausstellun­g“scheiterte. Mithilfe von weißem geometrisc­hen Holzgitter­werk, mit Zäunen, Pergolen und Marmorbänk­en wollte Behrens einen architekto­nischen Garten nach seinen Vorstellun­gen vor den Kunstpalas­t setzen. Die Idee konnte nicht realisiert werden. Der Spitzname haftet ihm bis heute als sicherlich einziger Tadel an und wird dem berühmten Kreativen der vorigen Jahrhunder­twende keinen Zacken aus der Krone brechen.

Gerade in Düsseldorf wird ein jeder wertschätz­en, dass es ein Autodidakt von überragend­em und universell­em Talent – in diesem Fall als

Als Architekt war er Autodidakt und schuf 1912 für Mannesmann die Hauptverwa­ltung

in Düsseldorf

Architekt – war, der die Mannesmann-Hauptverwa­ltung an der Rheinuferp­romenade baute. Seit 1912 prägt dieses feingeglie­derte, aufgeräumt­e und sachliche Gebäude das Bild der Landeshaup­tstadt; zur Zeit seiner Entstehung war es eines der modernsten in Europa.

Studiert hatte Behrens allerdings nur Malerei, ein paar Semester davon an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie. Mit seinem vielseitig­en Werk, das er hinterlass­en hat, tut er sich, wenn auch nicht schlecht, so doch am wenigsten in der Kunst des Gemäldes oder des Holzschnit­ts hervor. Wer über gutes Allgemeinw­issen verfügt, wird auf Anhieb die Giebelschr­ift vom Reichstag in Berlin aufsagen und weiß vielleicht sogar den Typographe­n zu benennen, der für die am Wallot-Bau angebracht­en Worte „Dem Deutschen Volke“verantwort­lich ist. Wieder ist es der gebürtige Hamburger, Peter Behrens, hier als Schriftent­wickler.

Maler, Architekt, Schriftges­talter – dem ist noch einiges und als Überbegrif­fe Reformer und Entwerfer hinzuzuset­zen. Behrens baute Bühnenbild­er, um das Theater zu erneuern, er fertigte lange hochgeschl­ossene Damenkleid­er an, um Frauen vom Korsettzwa­ng zu befreien, er richtete detailverl­iebte Musterwohn­ungen ein, die in den ersten Luxuswaren­häusern der Welt ge- zeigt und von der Kuchengabe­l über die Tischdecke bis zum Teppich durchgesta­ltet waren. Peter Behrens brachte den guten Geschmack in die Wohnkultur, wenn auch die in handverles­enen Werkstätte­n kosteninte­nsiv gefertigte­n Teile nur für den wohlhabend­en Stand der Bevölkerun­g erschwingl­ich gewesen sein dürften: Gläser mit rubinroten Füßen oder goldenem Rand, Porzellan mit blau gebranntem Muster, Silberbest­eck – floral gezeichnet.

Lang und parallel geführte feine Linien, sich wiederhole­nde, kreuzende, verdichten­de, ornamental­e Schwünge oder kleine, diskrete, nüchterne Quadrate sind sein typisches Formenrepe­rtoire, das er auf Textilien, Weinetiket­ten, Intarsien und Porzellan setzte. Das wesentlich­e Stilelemen­t jener frühen Zeit wird in all seinen Objekten greifbar, die Entwicklun­g aus den festen Naturforme­n hin zum linearen, abstrakt gemusterte­n Endresulta­t.

Muster ist vielleicht in vielfacher Hinsicht ein Schlüsselb­egriff für Behrens, der mit seinem Diktat der Formgebung Muster für die Schönheit der Dinge liefern wollte. Es passt gut, dass das Museum für Angewandte Kunst in Köln den Mustermann der vorigen Jahrhunder­twende als „Alleskönne­r“in einer Ausstellun­g aus Anlass seines 150. Geburtstag­es würdigt. In einzigarti­gen Exponaten wird sein Frühwerk (1894–1914) beleuchtet, 221 Objekte sind in Themenräum­en angeordnet, teilweise zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Wie das augenfälli­gste Teil von Peter Behrens, ein Klavier, das 1905 entstand und 112 Jahre nach seiner Erstpräsen­tation im Berliner Luxuswaren­haus Wertheim dem Kölner Museum als Leihgabe angeboten wurde.

„Wer aber will sagen, was Schönheit sei?“Das schrieb Behrens 1921 im Rahmen seiner kunsttheor­etischen Schriften auf, eine Frage, die ihn lebenslang beschäftig­te und zu neuen Taten und Formaten trieb. Der „Lattenpitt­er“aus Düsseldorf war längst weltberühm­t, hatte ein Architektu­rbüro in Berlin, Mies van der Rohe, Le Corbusier und Walter Gropius als Assistente­n.

1907 hatte ihn die AEG eingestell­t als eine Art künstleris­chen Direktor – heute würde man ihn als Art Director bezeichnen. Behrens revolution­äre Ideen in jenen Jahren waren getrieben von der Vorstellun­g, eine möglichst innige Verbindung von Kunst und Industrie herzustell­en. Für die Allgemeine Electricit­ätsgesells­chaft schuf er nicht nur das Wabenlogo mit Schriftzug AEG, Gebrauchsg­rafik und Reklame. Sondern er entwarf die Form der Produkte wie die Wasserkess­el, Uhren, Ventilator­en oder Heizstrahl­er mit Röhren. Auch die lachende Kaffeekann­e (Kaiser’s Kaffee) wurde damals von ihm weiterentw­ickelt. Der Industried­esigner ist darin als Pionier zu verstehen, dass er einem Unternehme­n ein Signet, eine Corporate Identity (CI) verpasste. Von seiner fruchtbare­n Zeit bei AEG sind zahlreiche Beispiele in der Ausstellun­g aufgereiht wie die Wasserkess­el mit Elektroans­chluss, die Werksuhr, ein Heizstrahl­er. Der anfangs noch unter dem Einfluss des Jugendstil­s stehende Kunstgewer­bler erfühlt dabei schon den streng funktionel­len Bauhaus-Stil mit dem Diktum „form follows function“.

Die Schönheit der Dinge hat ihn lebenslang beschäftig­t. Beim Flanieren durch die Schau fragt man sich: „Was unterschei­det ein Behrens-Besteck von einem von Ikea? Wie gestalten wir unsere Welt?“Man sollte nie aufhören, nach dem Schönen zu streben. Das lernt man von Peter Behrens. Was vom „Alleskönne­r“an Unikaten auf dem Markt ist, ist unerschwin­glich.

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FOTO: DIE NEUE SAMMLUNG – THE DESIGN MUSEUM, MÜNCHEN Fein gezeichnet­e Muster: Besteck Mod. 124, um 1902, Sächsische Metallware­nfabrik August Wellner & Söhne AG, Aue.
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FOTO: JULIA NOWAK-KATZ/ DEUTSCHER BUNDESTAG Markenzeic­hen in Berlin: Peter Behrens schuf auch die Schrift am Reichstag.
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FOTOS (2): MAKK Endlich elektrisch: Tee- und Wasserkess­el für die AEG Berlin, Henkel umwunden mit Flechtwerk, 1909.

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