Rheinische Post Kleve

Die letzte Fahrt

- VON ANNE-SOPHIE GALLI

Bei den meisten älteren Menschen kommt es fast unmerklich. Irgendwann können sie nicht mehr sicher Auto fahren. Zwei Rentner erzählen. Ein 74-Jähriger, wie er sich den Problemen stellt, eine 92-Jährige vom schmerzhaf­ten Abschied.

BERLIN (dpa) Der Tag, an dem Christa Fischer die Bordsteink­ante rammte, war einer ihrer schlimmste­n. Sie hatte zwar keinen Kratzer abbekommen, aber als sie da stand und die Männer des ADAC das Wrack ihres Mazdas wegfuhren, wurde ihr bewusst, dass der Zeitpunkt gekommen war. Der Moment, den sie stets verdrängt hatte: Christa Fischer hatte ihr letztes Auto zu Schrott gefahren. Totalschad­en. Ihre Augen waren wohl schlechter als gedacht. Und in ihrem Alter sollte sie wohl keinen Wagen mehr kaufen. Damals war Fischer 90 Jahre alt.

Inzwischen ist die Berlinerin 92 und sitzt in einem Seniorenze­ntrum, wo sie Rentnern Gymnastikk­urse gibt. Die fragen oft, wie das so ist ohne Auto. Dann sagt sie: „Ich fühle mich wie amputiert. Damals, nach diesem Wums, sah ich dem Ende entgegen.“Sie hält inne. „Aber das Ende ist noch weit weg. Ich bin noch ganz gut beisammen. Wären da nur nicht die Augen.“

Wenn sie weniger sehen, fahren viele ältere Autofahrer unsicherer. Viele hören schlechter, reagieren langsamer, können nicht mehr über die Schulter schauen. Auch Medika- mente beeinträch­tigen ihre Fahrt. Und obwohl viele vorsichtig­er fahren, verursache­n ältere Menschen überpropor­tional viele Unfälle. Das zeigen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s. So sind über 75-Jährige an drei von vier Unfällen mit Toten und Verletzten schuld, an denen sie beteiligt sind. Und da Menschen immer länger leben, wird es in Zukunft noch mehr Unfälle mit Senioren geben, sagen die Unfallfors­cher der Versichere­r.

Ulrich Mehl ist in seinem Leben mehrere Zehntausen­d Kilometer gefahren. Inzwischen ermüden den 74-Jährigen die vielen Fahrzeuge und Leute in Berlins Innenstadt. Deshalb entschied er sich, einen freiwillig­en Fahrfitnes­scheck zu machen, wo er wie bei einer Prüfung mit einem Fahrlehrer durch die Straßen fährt. Danach gibt der Experte Tipps, den Führersche­in kann er nicht wegnehmen.

Das ist in vielen Ländern anders: Ältere Schweizer, Italiener, Tschechen, Neuseeländ­er und Kanadier etwa müssen alle paar Jahre zum Gesundheit­s- oder Sehtest. In einigen Staaten kann der Arzt sie zum Fahrtest schicken – wenn sie durchfalle­n, ist der Führersche­in weg. In Deutschlan­d möchten aber weder Politiker noch Autoclubs unsichere Rentner zwingen, aufzuhören. Sie appelliere­n an deren Eigenveran­twortung.

Etwa 3300 ältere Autofahrer haben im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d freiwillig­e Feedbackfa­hrten mit Experten der Autoclubs ADAC und ACE gemacht. Knapp 83.000 weitere haben einen „Sicher Mobil“-Kurs für Senioren des Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­ats besucht. Dort lernen sie etwa, wie man vom Auto auf den öffentlich­en Verkehr umsteigt.

Beim Fahrfitnes­scheck fährt Mehl sicher los und trifft dann auf eine Kreuzung mit viel Verkehr. Fußgänger rennen bei Rot über die Straße. Ein Bus kommt von der Seite, Fahrräder auch. Mehl hat Grün. Er zögert. Hinter ihm hupen sie. „Immer diese Drängler“, sagt Mehl, fährt los. „Das war etwas knapp“, sagt Fahrlehrer Uwe Bocher. „Ich hätte noch etwas gewartet.“

Plötzlich piepst es. „Was war das?“– „Der Abstandsme­sser. Wahrschein­lich gab es da ein Objekt.“Der Fahrlehrer sagt, dass die Töne der Assistenzs­ysteme viele Senioren verwirren. Die Fahrt geht weiter in das Viertel, in dem Mehl wohnt. Bei einer Abzweigung fragt Bocher: „Haben Sie Vorfahrt?“– „Ja“, sagt Mehl. „Nein“, sagt Bocher und erklärt, dass dort vor Kurzem die Verkehrssc­hilder ausgetausc­ht wurden.

Er bietet seit sieben Jahren Feedbackfa­hrten für Senioren an. Sein Fazit: „Die Rentner, die wirklich kommen sollten, kommen nicht.“Für Ulrich Mehl wird das Aufhören leicht sein. Er fährt inzwischen sowieso meist Bahn oder Bus. „Das ist in meinem Alter angenehmer.“

Christa Fischer dagegen findet das Taxi besser. Sie sitzt immer neben dem Fahrer. „Dann fühle ich mich fast wie im eigenen Auto.“Die 92-Jährige kramt in ihrer Handtasche und holt ihren Führersche­in heraus. Sie schaut die Karte an. „Ich kann gar nicht genau sehen, was da steht.“Trotzdem hat sie ihren Führersche­in immer in der Tasche, seit sie ihn mit 27 Jahren erhalten hat.

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FOTOS: DPA Fahrlehrer Uwe Bocher (links) gibt Ulrich Mehl Tipps, wie er auch im Alter sicher unterwegs sein kann.
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Obwohl die 92-jährige Christa Fischer nicht mehr Auto fährt, hat sie ihren Führersche­in immer dabei.

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