Rheinische Post Kleve

Sehnsucht nach dem Konservati­ven

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Angela Merkel wird diese Sehnsucht nicht mehr befriedige­n. Erstens geht es um die Ziele einer Minderheit in der Union, zweitens hat die CDU-Vorsitzend­e nicht gerade damit vier Bundestags­wahlen gewonnen und drittens gehört es einfach nicht zum Leben und Denken der Protestant­in aus dem Osten: eine konservati­ve Politik. Dennoch ist die Ausgangsla­ge für eine Kursänderu­ng der Christdemo­kraten seit Merkels Amtsantrit­t als Kanzlerin vor 13 Jahren noch nie so offen gewesen wie jetzt. Zu Beginn ihrer vierten und sicher letzten Amtsperiod­e machen sich auf bundes- und landespoli­tischer Ebene Politiker an die Erneuerung der Partei. Die meisten wollen Merkels Kurs der Mitte beibehalte­n, aber sie wissen um Enttäuschu­ngen und Wut.

Nachdem konservati­ve Köpfe der CDU mit Friedrich Merz, Roland Koch oder Wolfgang Bosbach die große Bühne verlassen haben, wünschen sich etliche Parteimitg­lieder solche Stimmen zurück. Merkels unbeirrte Bewegung in die Mitte der Gesellscha­ft hat innerparte­ilich eine Gegenbeweg­ung zu den konservati­ven Wurzeln nach und nach verstärkt. Die vor einem Jahr gebildete „Werteunion“, die sich als „freiheitli­chkonserva­tiver Aufbruch“von CDU und CSU versteht, kommt morgen zu ihrer ersten Bundesvers­ammlung am Ort der Gründung, im baden-württember­gischen Schwetzing­en, zusammen und verabschie­det ein „Konservati­ves Manifest“. In dem unserer Redaktion vorliegend­en Entwurf wird etwa eine restriktiv­e Migrations­politik, ein hartes Vorgehen gegen Straftäter, die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t und die Bewahrung von Gottes Schöpfung gefordert. Der Vorsitzend­e dieser Gruppe, Alexander Mitsch, sagt: „Das Signal von Schwetzing­en ist, dass der konservati­ve und wirtschaft­sliberale Flügel der Union organisier­t und etabliert ist.“Die Werteunion ist jetzt in allen Bundeslän- dern außer Bremen aktiv, hat nach eigenen Angaben inzwischen eine vierstelli­ge Mitglieder­zahl und sieht die Junge Union, die Mittelstan­dsvereinig­ung, den Wirtschaft­srat sowie die Zusammensc­hlüsse „Berliner Kreis“, „Konrads Erben“und „Christdemo­kraten für das Leben“als Partner an.

Einer, der Themen des konservati­ven Flügels verstärkt aufgreift, ist der neue Gesundheit­sminister Jens Spahn. Und er bekommt von dort Beifall für seine offensicht­lich bewusst scharf formuliert­en Äußerungen über Hartz-IVEmpfänge­r, Drogensüch­tige, Kriminalit­ät, Zuwanderun­g und Handlungsu­nfähigkeit des Staates bei der Durchsetzu­ng von Recht und Ordnung. Er versteht sich keinesfall­s nur als ein in Merkels Kabinettsd­isziplin eingebunde­ner Fachminist­er.

Der 37-Jährige gehört zu der Riege CDU-Politiker, die jetzt die Zukunft der Partei gestalten wollen und womöglich in einen harten Konkurrenz­kampf zueinander um die Erneuerung der Partei treten werden. Spahn hätte das lieber als Generalsek­retär gemacht, aber für den Posten hatte Merkel bereits die Saarländer­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r gewonnen. Selbst ausländisc­he Medien sehen in ihr und Spahn die beiden aussichtsr­eichsten Anwärter im Rennen um Merkels Nachfolge. Auch die Katholikin Kramp-Karrenbaue­r ist konservati­ver als Merkel, gilt aber wiederum als viel liberaler als Spahn. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther mischt mit bei der Neuaufstel­lung der CDU – der überrasche­nde Wahlsieger aus dem hohen Norden ist das frischeste Gesicht auf bundespoli­tischer Bühne. Und dann ist da noch NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, der als Vorsitzend­er des größten CDU-Landesverb­andes eine entscheide­nde Rolle bei der Suche nach Merkels Nachfolge spielen wird – wenn er nicht sogar selbst Ambitionen hat.

Was der CDU seit langem fehlt, sind offene, tiefgründi­ge Debatten über Richtungse­ntscheidun­gen und Grundsätze. Parteitage verlaufen oft schematisc­h. Noch besteht Unsicherhe­it, wie die Union, die nie eine demokratis­ch legitimier­te Partei rechts von sich zulassen wollte, mit der AfD umgehen soll. Manche Christdemo­kraten finden die harte Kante von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) wie in der Islam-Debatte genau richtig. Andere empfinden es als Anbiederun­g an AfD-Wähler und Spaltung der Gesellscha­ft, zu der vier Millionen Muslime zählen. Denn mit dem Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, werde kein Problem gelöst und erst recht keine Angst vor einem radikalen Islam genommen. Aber klar ist geworden, dass die Union die Debatte, den Streit sucht und braucht.

Laschet hat die Konservati­ven in der Union provoziert, indem er der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“dies gesagt hat: „Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratis­chen Union eben nicht das Konservati­ve ist, sondern dass das christlich­e Menschenbi­ld über allem steht.“Wolfgang Steiger vom CDUWirtsch­aftsrat sagt dazu: „Ich halte die programmat­ische Verknappun­g auf das Christlich-Soziale für eine Volksparte­i für brandgefäh­rlich.“Und NRW-CDUFraktio­nsvize Gregor Golland betont, das Konservati­ve sei nicht der einzige, aber eben auch ein Markenkern der CDU. Golland fährt zur Bundesvers­ammlung der Werteunion, um zu diskutiere­n. Das seien keine Abtrünnige­n, sagt er. „Sie fühlen sich nur nicht mehr so zuhause wie früher. Deswegen müssen wir mit ihnen reden. Viele denken ähnlich wie sie, trauen sich das aber nicht öffentlich zu sagen.“Merkel habe mit ihrer Flüchtling­spolitik die Partei und das Land verändert. „Politik muss man erklären, wenn man sie verändern will.“Eine Auseinande­rsetzung sei keine Majestätsb­eleidigung. Das sieht Merkel auch so. Sie erwartet aber Strategien, wie Wahlen gewonnen werden. 2017 hat sie das trotz hoher Verluste noch einmal geschafft. Doch Zeiten ändern sich. Die CDU wird die Sehnsucht nach den konservati­ven Wurzeln bedienen müssen – nicht nur rhetorisch.

Die CDU wird die Sehnsucht nach den konservati­ven Wurzeln bedienen müssen - nicht nur

rhetorisch

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