Rheinische Post Kleve

Ängstliche Wähler sind treue Wähler

- VON RUDOLF GRUBER

Die dritte Amtszeit in Folge scheint ihm sicher: Viktor Orbán, Ungarns rechtspopu­listischer Regierungs­chef, muss bei der Parlaments­wahl am Sonntag keine ernsthafte­n Gegner fürchten. Die Opposition ist heillos zerstritte­n.

BUDAPEST Für seine wichtigste Wahlrede sind die neugotisch­e Prachtfass­ade des Budapester Parlaments und der höchste Nationalfe­iertag des Landes, der 15. März, gerade gut genug. An diesem Tag vor 170 Jahren begann der Aufstand gegen die Habsburger Vorherrsch­aft, Viktor Orbán sieht sich in der Tradition der damaligen Revolution­äre – als Vorkämpfer des autokratis­chen Nationalpo­pulismus gegen die EU und ein liberales, offenes, demokratis­ches Europa. Seine Regierungs­partei Fidesz hat rund 15.000 Anhänger aus allen Landesteil­en in die Hauptstadt gekarrt. Wie heilsuchen­de Pilger marschiere­n sie in Scharen am Donauufer entlang, um sich am Kossuth-Platz vor dem Parlament zu sammeln.

„Unsere größte Schlacht steht uns noch bevor“, dröhnt Orbán wie ein Feldherr, doch angesichts einer Zuhörersch­aft aus überwiegen­d älteren Leuten und Familien samt Kind und Kegel klingt die „Kriegserkl­ärung“unfreiwill­ig komisch. Sie gilt ja vor allem der EU, die mit Streichung der Fördergeld­er droht, sollte Orbán weiterhin die gemeinsame­n Regeln missachten. Und sie gilt dem aus Ungarn stammenden US-Multimilli­ardär und Philanthro­pen George Soros, den Orbán zum ärgsten Feind der Nation und EU-Komplizen erklärt hat.

Seit zwei Jahren wird den Ungarn eingetrich­tert, Soros sei der Kopf eines Verschwöru­ngsnetzes, das die Grenzen für Migranten weit öffnen wolle. Ohne Skrupel bedient Orbán in seiner Rede diffuse Ängste: „Man will uns unser Land wegnehmen und Fremden geben, die von anderen Kontinente­n kommen, die unsere Kultur, Gesetze und Lebensform nicht respektier­en.“Nicht unerwähnt bleiben darf auch, wie dankbar Europa ihm sei, dass er einen hohen Zaun an der serbischen Grenze errichtet habe. Tosender Beifall.

Die Angststrat­egie ging auch im Wahlkampf auf: Migration ist das Thema, das die Ungarn am meisten beschäftig­t. András, 21, Student aus Pec (Fünfkirche­n), sagt, was FideszWähl­er denken: „Nur Orbán kann die unkontroll­ierte Zuwanderun­g stoppen.“Péter, 75, Rentner aus Budapest, lobt die florierend­e Wirtschaft und die niedrige Arbeitslos­enquote; vor allem aber gefällt ihm an Orbán, „dass er vor der EU nicht klein beigibt“. Die pensionier­te Lehrerin Eva aus Ostungarn sieht in ihm eine Art Übervater: „Orbán sorgt für die Familien und uns ältere Leute. Niemand muss hungern.“Ihre Freundin Karola meint: „Es ist wichtig, dass die Regierung die Arbeit nach dem 8. April fortsetzen kann. Orbán ist ein großer Politiker, der auch im Ausland geschätzt wird.“Besser hätte es sein Sprecher nicht sagen können.

Kritische Fragen stoßen auf ungläubige­s Entsetzen oder eisiges Schweigen. Ein junger ungarische­r Journalist fragt einen älteren Herrn keck, auf Orbáns Hofstaat anspielend: „Glauben Sie, dass Orbán nicht klaut?“Er antwortet pikiert: „Wir sind offensicht­lich nicht der gleichen Meinung, junger Mann.“Wie wahnhaft die Fidesz-Feindpropa­ganda wirkt, zeigt unfreiwill­ig eine etwa 60-jährige Frau: Sie fragt die Dolmetsche­rin, warum sie für den ausländisc­hen Journalist­en arbeite, „die gehören doch alle zur Soros-Verschwöru­ng“.

Gerissen inszeniert sich Orbán als Erlöser für all die Ängste, die seine Regierung selber schürt. Seine Anhänger sehen auch nicht, dass die autokratis­che Machtfülle der Demokratie schadet und die einzig noch wirksame Opposition mundtot gemacht werden soll, nämlich jene von Soros finanziert­en Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO). Sie sind Orbán lästig, weil sie nicht nur Flüchtling­en zu ihrem Recht verhelfen, sondern auch Machtmissb­rauch und wuchernde Korruption anprangern. Ein neues Gesetz soll demnächst die NGO-Tätigkeit massiv einschränk­en.

Róbert László, Wahlanalyt­iker des Political Capital Institute in Budapest, erklärt das Phänomen, warum Kritik an Orbán einfach abprallt: Mit Machtmissb­rauch und Korruption­sskandalen werde er nicht in Verbindung gebracht, Fidesz-Wähler würden sich sagen: „Es sind Gauner, aber unsere Gauner.“Nur wenn Orbán selbst sichtbar in einen Skandal verwickelt erscheine, „dann wird es für ihn eng“, so László.

Mittlerwei­le braut sich etwas zusammen. Seit Orbáns Schwiegers­ohn István Tiborcz von der EUKorrupti­onsbehörde Olaf beschuldig­t wird, Fördergeld­er missbrauch­t zu haben, fällt ein schlechtes Licht auf die Familie. Freunde aus Schulund Studentenz­eiten wurden innerhalb kürzester Zeit allein durch zugeschanz­te öffentlich­e Aufträge zu Millionäre­n; die EU fordert mehr als 40 Millionen Euro zurück.

In jedem anderen Land könnte die Opposition mit derlei Wahlkampfm­unition die Regierung leicht stürzen. Doch Orbán ist seit acht Jahren an der Macht und hat noch immer keinen ernsthafte­n Herausford­erer. Vor allem die Linksparte­ien haben sich seit der demokratis­chen Wende 1989 selber oft an der Macht vergriffen, schamlos bereichert und dadurch nachhaltig diskrediti­ert.

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FOTO: IMAGO An einer Bushaltest­elle in Miskolc im Nordosten Ungarns wartet ein Mann vor einem Wahlplakat Victor Orbáns.

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