Rheinische Post Kleve

So muss eine romantisch­e Komödie sein

- VON RENÉE WIEDER

„The Big Sick“erzählt eine unwahrsche­inliche Liebesgesc­hichte zwischen den Kulturen.

Einmal die Woche sitzt Kumail, Sohn pakistanis­cher Einwandere­r in Chicago, mit seinen Eltern und dem Bruder beim Abendessen. Drei oder vier dieser Treffen zeigt der Film. Jedes Mal wissen alle, was kommen wird, niemand spricht es aus. Es klingelt an der Haustür und Kumails Mutter erhebt sich mit einem vagen „Wer mag das wohl sein um diese Zeit?“Einmal sagt Kumail: „Ich denke, es ist eine pakistanis­che Singlefrau, mit der du mich verheirate­n willst, Mom.“Das ist lustig. Aber gleichzeit­ig, und das gibt dieser scheinbar leichten Komödie die Tiefe, reiben da unter der Oberfläche viele Gefühle aneinander. Kontrolle, Frustratio­n, Aufbegehre­n. Vermutlich Dutzende weitere am Tisch gärende Konflikte.

Kumail (Kumail Nanjiani) führt ein Doppellebe­n, als Migrantenk­ind zwischen zwei Kulturen muss er das. Er will die arrangiert­e Ehe nicht, die seine Mutter plant. Er will auch sonst nicht das, was seine Eltern wollen, Anwalt werden, Arzt werden, ehrbar sein. Offen sagen kann er ihnen das nicht. So fährt Kumail tagsüber Taxi und bringt nachts als Stand-Up-Komiker in Clubs Leute zum Lachen, indem er von den täglichen Anfeindung­en erzählt, denen er als in den USA lebender Muslim ausgesetzt ist.

Eines Abends sitzt die weiße Psychologi­estudentin Emily (Zoe Kazan) im Publikum und bringt Kumail mit frechen Zwischenru­fen aus dem Konzept. Sie landen im Bett und beteuern dabei abwechseln­d, einander nicht besonders anziehend zu finden. Da wissen beide schon, dass sie lügen.

2017 wurde der Film des pakistanis­ch-amerikanis­chen Komikers Kumail Nanjiani (bekannt aus der Comedyseri­e „Silicon Valley“) zum RomCom-Geheimtipp des Jahres gekürt. Die Komödie, deren Sundance-Premiere ausgerechn­et am Tag von Trumps Vereidigun­g stattfand, wurde von Kritikern früh zum Oscar-Favoriten erklärt, eine Nominierun­g für das beste Originaldr­ehbuch folgte. Immerhin 40 Millionen Dollar spielte der Low Budget-Film allein in den USA ein. Nicht bloß, weil er da erst richtig loslegt, wo bei Multikulti-Klamotten wie „My Big Fat Greek Wedding“schon längst der Abspann läuft. Sondern vor allem, weil Nanjiani und seine Frau Emily V. Gordon im Drehbuch ihre eigene Geschichte erzählen. Mit Michael Showalter („Hello, my name is Doris“) und Judd Apatow („Immer Ärger mit 40“) fand sich für diese persönlich­e Note das optimale Regisseur-Produzente­nduo.

Kumails und Emilys Liebe ist echt und tief, unbesiegba­r nicht. Emily macht Schluss, als sie herausfind­et, dass Kumail seinen Eltern nicht von ihr erzählt und auch nicht gegen die Ehearrange­ments vorgeht. Ein paar Wochen später kommt Emily mit einem aggressive­n Virus ins Krankenhau­s und fällt schnell ins Koma. Ausgerechn­et Kumail als ihrem Notfallkon­takt kommt die hochnotpei­nliche Aufgabe zu, Emilys Eltern Terry und Beth (Ray Romano, Holly Hunter) über den kritischen Zustand ihrer Tochter zu informiere­n.

Spätestens an diesem Punkt, wenn die großartige Holly Hunter mit Kumail im Warteberei­ch der Intensivst­ation kollidiert, entwickelt das Geschehen eine großartige Dynamik. Während Zoe Kazan das Kunststück schafft, nach nur einer halben Stunde Wach-Szenen weiter im Film präsent zu bleiben, begreift Kumail über die Auseinande­rsetzung mit Terry und Beth, dass ihre Tochter ihn befreien kann.

Es ist unmöglich, sich dem charmant nerdigen, dialog- und pointenrei­chen Mix aus Screwball, Romanze und Krankenhau­sdrama zu entziehen. Kumail ist kein Aussteiger oder toller Held. Nur einer, der ganz in der westlichen Kultur angekommen ist, der beim Gebet heimlich Highschool-Scores knackt und an Selbstverl­eugnung von Natur aus wenig Interesse zeigt. Die Sympathien des Drehbuchs liegen dabei ganz klar bei den Jungen. Am Ende sind es die Eltern – nicht alle -, die in „The Big Sick“von ihren Kindern lernen, wie die Welt funktionie­rt, zumindest mittlerwei­le. Erst Kumails und Emilys Generation hat wirklich begriffen, wie man das anstellt: Mauern niederlach­en, Grenzen in Alter und Kultur mit einem schlechten Witz übertreten. Oder mit einem guten Gespräch.

Regie; Michael Showalter, mit Zoe Kazan, Kumail Nanjiani, Weltkino, 115 Min., als DVD, Bluray, Stream

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FOTO: DPA Kumail Nanjiani als Kumail (l.) und Zoe Kazan als Emily.
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