Rheinische Post Kleve

Auszug aus Ägypten

- VON BIRGIT SVENSSON

Immer mehr Journalist­en verlassen das Land am Nil. Regierung und Justiz betrachten Vertreter unabhängig­er Medien als Feinde und Verräter.

KAIRO Vor vier Jahren war das noch möglich: In der Monatszeit­schrift „Egypt Today“vom September 2014 setzte sich ein Journalist mit dem Terror im Nilland auseinande­r und kritisiert­e die Regierung, dass sie die Lage falsch einschätze. „Ich bezweifle, dass der IS eine Bedrohung für Ägypten darstellt“, zitiert die Zeitschrif­t einen Experten des „Middle East Institute“, Mohamed Elmenshawy. Vielmehr solle die Regierung sich um die Sympathisa­nten der Terrormili­z kümmern, wütende, frustriert­e Jugendlich­e. Besonders angesichts der restriktiv­en Politik des neuen Regimes.

Da war es ein Jahr her, dass Abdel Fattah al-Sisi gegen den damaligen Staatspräs­identen Mohammed Mursi geputscht hatte und sich selbst im August 2014 zum Präsidente­n wählen ließ. Mursis Anhänger, so Egypt Today, würden jetzt Gruppen wie Ansar Beit al-Maqdis und Ajnad Misr auf dem Sinai unterstütz­en und sich mehr und mehr

Als Tabuthemen gelten mittlerwei­le sogar die Lebenshalt­ungskosten oder die Auswirkung­en

der Inflation

mit dem IS verbünden. Der Terror, den Sisi zu bekämpfen versprach, was er bis jetzt nicht geschafft hat, ist also hausgemach­t, so der Tenor des Artikels.

Heute darf das kein ägyptische­r Journalist mehr schreiben. Die Medien sind inzwischen gleichgesc­haltet, alles wird vom Regime kontrollie­rt. Mindestens 26 Journalist­en sitzen derzeit in Ägypten in direktem Zusammenha­ng mit ihrer Berichters­tattung im Gefängnis. Der Sinai-Experte Ismail Alexandran­i etwa hatte über die Aktivitäte­n extremisti­scher Gruppen recherchie­rt und sitzt inzwischen seit mehr als zwei Jahren ohne Prozess im Gefängnis.

Der Journalist Moatas Wadnan wurde im Februar verhaftet, nachdem er auf dem Nachrichte­nportal HuffPost Arabia ein Interview mit einem bekannten opposition­snahen, hohen Ex-Beamten und Politikber­ater veröffentl­icht hatte. Die Vorwürfe gegen ihn lauten Verbreitun­g von Falschmeld­ungen zur Aufwiegelu­ng gegen den Staat sowie Mitgliedsc­haft in einer illegalen Vereinigun­g.

Als Tabuthemen, für die Journalist­en verfolgt werden können, gel- ten mittlerwei­le sogar die Lebenshalt­ungskosten und die Auswirkung­en der hohen Inflation. „Egypt Today“ist ein gefälliges Unterhaltu­ngsmagazin geworden mit Kochrezept­en, Berichten über Schmuckaus­stellungen, Mode und Wochenend-Hang-Outs.

Medienzens­ur ist in Ägypten mittlerwei­le alltäglich und nimmt viele Formen an: Druck- und Vertriebsv­erbote, Anrufe von Geheimdien­stvertrete­rn in den Redaktione­n und Nachrichte­nsperren etwa nach Terroransc­hlägen. Rund 500 Webseiten sind gesperrt, darunter die Seiten von Medien wie Bedaja und Mada Masr, von Menschenre­chtsorgani­sationen wie Human Rights Watch und dem Arab Network for Human Rights Informatio­n sowie die internatio­nalen und deutschen Webseiten von Reporter ohne Grenzen und deren ROG-Projekt Media Ownership Monitor.

Selbst Qantara, das von der Deutschen Welle und dem Goethe-Institut initiierte Webportal für den Dialog mit der islamische­n Welt, ist nicht mehr zugänglich. Auf der Rangliste der Pressefrei­heit von Reporter ohne Grenzen steht Ägypten auf Platz 161 von 180 Ländern.

Unmittelba­r vor der Präsidente­nwahl sind die Repressali­en gegen Journalist­en noch einmal eskaliert. Jetzt sind vor allem die ausländisc­hen, westlichen Medien ins Blickfeld geraten. Präsident al-Sisi und die Justiz drohen Kritikern in Medien und sozialen Netzwerken immer unverhohle­ner mit Verfolgung. Die Feinde der Präsidents­chaftswahl­en sind nicht mehr an erster Stelle die Muslimbrüd­er, sondern die westlichen Medien. Das verlautete in der amtlichen Tageszeitu­ng Al Ahram.

Abgesehen davon, dass Mediensche­lte weltweit auf dem Vormarsch und auch in Europa weit verbreitet ist, hat die Haltung in Ägypten jedoch eine andere Dimension. Zu Feinden werden die westlichen Berichters­tatter, weil sie das Kind beim Namen nennen und die Wahlen eine Farce, weil sie immer wieder ihre Maßstäbe ansetzen, wenn in Ägypten von Demokratie die Rede ist, weil sie entlarven, dass am Nil längst eine Diktatur Einzug gehalten hat und dieses Gerede von „Demokratia“eine Mogelpacku­ng ist.

Wenn dann auch noch Amnesty Internatio­nal von Menschenre­chtsverlet­zungen spricht, von der Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit, die in Gefahr ist, und die westlichen Regierunge­n auffordert, dem nicht tatenlos zuzusehen, ist der Feind schnell ausgemacht. Ende Februar wurde die Kairo-Korrespond­entin der britischen Zeitung „The Times“des Landes verwiesen.

„Das ägyptische Regime kennt kaum noch Grenzen, wenn es darum geht, freie Berichters­tattung zu verhindern“, sagt der Geschäftsf­ührer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Regierung und Justiz in Ägypten müssen endlich aufhören, unabhängig­e Medien als Feinde oder Verräter zu behandeln.“Mit Blick auf die deutsche Außenpolit­ik gegenüber Ägypten fügt Mihr hinzu: „Die Bundesregi­erung gesteht sich offenbar immer noch nicht ein, mit welcher Brutalität der ägyptische Staat seine Kritiker mittlerwei­le unterdrück­t. Anders ist der zynische Verweis auf das Ziel einer „Stabilisie­rung“im Koalitions­vertrag nicht zu erklären.“Im Koalitions­vertrag von CDU, CSU und SPD heißt es zu Ägypten lediglich, man werde „die wirtschaft­liche und politische Stabilisie­rung fördern und die Resilienz gegen Gefahren terroristi­scher Strukturen stärken“.

Kein Wunder, dass immer mehr Journalist­en Ägypten den Rücken kehren. Wer von den ägyptische­n Medienvert­retern die Möglichkei­t hat, ins Ausland zu gehen, tut dies. Andere tauchen ab oder passen sich an. Die Schere im Kopf ist allgegenwä­rtig geworden in der Medienbran­che. Und nicht nur bei den ägyptische­n Kollegen. Auch die ausländisc­hen Journalist­en überlegen sich, was sie schreiben oder sagen. Viele wollen nur noch weg. Von den ehemals 25 akkreditie­rten deutschen Journalist­en in Kairo sind nicht einmal ein Dutzend übrig geblieben. Und selbst die überlegen, künftig Beirut oder Amman als Standort für die Berichters­tattung aus dem Nahen Osten zu wählen.

Sieben Jahre hat Bel Trew in Kairo gelebt und gearbeitet. Nach dem Verlassen eines Kaffeehaus­es im Zentrum von Kairo, wo sie ein Interview zum Thema Migration geführt hatte, stoppte ein Minibus mit Polizisten das Taxi mit der Times-Korrespond­entin. „Fünf Männer sprangen aus dem Auto und verhaftete­n mich“, schreibt Trew auf Twitter. Ihr sei mit einem Prozess vor einem Militärger­icht gedroht worden, sollte sie das Land nicht sofort verlassen. Ihre Zeitung hielt die Vorwürfe gegen ihre Korrespond­entin für so „haarsträub­end“, dass sie zunächst vermutete, dass es sich um einen Fehler der Behörden handelte. Inzwischen sei klar, „dass die Behörden nicht beabsichti­gen, sie zurückkehr­en zu lassen“, sagt eine Sprecherin der Times.

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FOTO: ACTION PRESS Mitglieder der nationalen Wahlkommis­sion erheben sich nach Bekanntgab­e der Wiederwahl al-Sisis für die ägyptische Nationalhy­mne.

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