Rheinische Post Kleve

Das schmutzige Geschäft mit den Mafia-Orangen

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In Italien verdient die Mafia in der Landwirtsc­haft ordentlich mit. Migranten werden für die Ernte ausgebeute­t.

ROSARNO (dpa) Im Morgengrau­en kommen sie von überall her. Sie radeln zu Straßenkre­uzungen und versammeln sich in kleinen Gruppen. Ein Transporte­r rumpelt über die Schlaglöch­er der Straße, vorbei an Tierkadave­rn und Müll. Er hält und sammelt die Wartenden ein. Es geht auf die umliegende­n Felder, wo Orangenbäu­me mit saftigen Früchten stehen. Hier in Kalabrien, an Italiens Stiefelspi­tze, ernten Migranten unter unmenschli­chen Bedingunge­n Zitrusfrüc­hte, die auch nach Deutschlan­d weiterverk­auft werden.

In der Gegend um den Ort Rosarno leben sie zu Tausenden in Slums, unter Plastikpla­nen ohne Strom und fließend Wasser, quasi in ihren eigenen Exkremente­n. Das Ghetto San Ferdinando zählt zu den größten in ganz Italien. Niemand will die Migranten hier haben, und doch sind sie für die Landwirtsc­haft unabkömmli­ch. Sie arbeiten für einen Hungerlohn und sind rund um die Uhr, das ganze Jahr, einsatzber­eit. Manchmal stirbt einer aus Erschöpfun­g. Danach geht es weiter wie vorher.

Im Hintergrun­d zieht auch die Mafia die Strippen, kontrollie­rt den Transport, den Verkauf oder die Organisati­on der ausgebeute­ten Arbeiter. „Die Aktivität der Mafia betrifft die gesamte Produktion­skette, von der Herstellun­g über den Transport, den Vertrieb und den Verkauf“, heißt es in einem Bericht des Bauernverb­andes Coldiretti. Das System hat in Italien längst einen eigenen Namen: Agromafia.

„Hier in unserer Gegend teilen sich zwei Verlierer der Globalisie­rung die Armut: die Bauern der Region und die Migranten“, sagt der Bürgermeis­ter von Rosarno, Giuseppe Idà. Längst sei die Landwirtsc­haft hier nicht mehr konkurrenz­fähig. Zitrusfrüc­hte kämen mittlerwei­le viel billiger aus Nordafrika oder Brasilien. Ein Bauer in Kalabrien sei gar nicht in der Lage, den Arbeitsloh­n von 40 Euro zu bezahlen – und so gibt es für den Migranten nur etwa 20 Euro pro Tag. Das System funktionie­rt im ganzen Land: In Kalabrien und Sizilien für die Zitrusfrüc­hte, in Apulien für die Tomaten und im Piemont für Weintraube­n.

Der Verbrauche­r kann schwer feststelle­n, ob er mit seiner gekauften Ware ein modernes Sklavensys­tem mafiösen Charakters mitten in Europa unterstütz­t. „Das Problem ist, dass es keine Kontrolle gibt“, sagt der italienisc­he Autor Antonello Mangano, der zahlreiche Recherchen dazu gemacht hat. Mit dem Kauf einer Zitrone, Orange oder Tomate im deutschen Supermarkt sei es also möglich, dass man indirekt auch in die Taschen der Mafia zahlt.

Zwar würde es in Italien regelmäßig Festnahmen, Beschlagna­hmungen oder Strafen für mutmaßlich­e Kriminelle in der Landwirtsc­haft geben. „Aber danach geht es weiter wie vorher.“Statt sich auf die dem Untergang geweihte herkömmlic­he Landwirtsc­haft zu konzentrie­ren, sollte man in Italien an „Exzellenz“und ethisch korrekten Produkten arbeiten, so Mangano. „Beim Preis können wir schon lange nicht mithalten.“

Italien ist für Deutschlan­d nach Spanien und den Niederland­en das drittwicht­igste Land für den Import von frischem Obst und Gemüse, wie aus der Statistik des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums hervorgeht.

Doch wo genau die Ware herkommt und unter welchen Umständen sie geerntet wurde, erfährt man im Supermarkt meist nicht. „Es ist für den deutschen Verbrauche­r schwer zu erkennen, ob er ein mafiafreie­s Produkt kauft, da steht ja nicht ,Produced by Mafia’ drauf“, sagt Elmar Schulze Messing vom Fairhandel­s-Zentrum Rheinland, das auch mafiafreie-Waren aus Italien vertreibt. „Die Menschen wollen mehr Bio haben, weil das gut für ihre Gesundheit ist. Der soziale Aspekt, wie die Produkte hergestell­t werden, wird vernachläs­sigt.“

Aber selbst in Rosarno gibt es inmitten der Hoffnungsl­osigkeit einen Lichtblick. Organisati­onen wie die Vereinigun­g SOS Rosarno bieten auch Migranten einen fairen Arbeitspla­tz an und verkaufen ihre Bio-Zitrusfrüc­hte im In- und Ausland. „Hier spielt sich ein unglaublic­her Niedergang ab, ein Krieg zwischen den Armen“, sagt Nino Quaranta. Er träumt im grünen Orangenhai­n von einer besseren Welt. Ihm sei bewusst, dass seine Orangen und Mandarinen teurer seien und sie sich nicht jeder leisten könnte. Aber sein Credo ist: Wenn immer mehr Menschen fair gepflückte Ware kauften, dann würden auch diese Produkte mit der Zeit billiger.

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