Rheinische Post Kleve

Hoffen auf den Ruck im Revier

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Das Ruhrgebiet hat zwei Klischees geboren, die sich tiefer in das öffentlich­e Bewusstsei­n gegraben haben als jeder Zechenscha­cht.

Das erste betrifft seine Menschen. Sie gelten als besonders ehrlich und solidarisc­h. Was Unsinn ist. Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass Menschen im Ruhrgebiet weniger lügen als im Rest der Republik. Sie sind auch nicht besonders solidarisc­h. Die 53 Kommunen im Revier beäugen sich im Gegenteil mit ausgeprägt­er Missgunst, wenn es um die Ansiedlung neuer Firmen geht oder um Fördergeld­er für ihre Kinos und Theater.

Die Gelsenkirc­hener mögen die Dortmunder nicht. Viele Dortmunder verleugnen ihre Identität als „Ruhris“sogar und möchten zum vornehmere­n „Westfalen“gehören. Der Essener Süden will sich lieber heute als morgen vom verarmten Norden trennen, und mit Schmuddel-Städten wie Herne oder Castrop-Rauxel möchte das übrige Ruhrgebiet schon gar nichts zu tun haben. Eine regionale Identität, die über das eigene Ortsschild hinausweis­t, hat es im Revier nie gegeben. Alle Versuche, das Kirchturmd­enken der Ruhrkommun­en zugunsten einer gemeinsame­n Plattform für mehr Erfolg zu überwinden, sind weitgehend gescheiter­t.

Was eine wesentlich­e Ursache für das zweite Ruhrgebiet­s-Klischee ist: Das Bild von der Krisenregi­on, die den Strukturwa­ndel nicht hinbekomme­n hat. In der das massenhaft­e Wegbrechen von Arbeitsplä­tzen erst in der Kohle- und zunehmend auch in der Stahlindus­trie die Kaufkraft der Menschen und die Steuereinn­ahmen der Kommunen in den Keller gedrückt haben. Mit der Folge, dass die ganze Region seit 30 Jahren strauchelt und die Straßen, Schulen und Kindergärt­en hier noch schlimmer aussehen als im übrigen NRW. Dieses Klischee ist nah an der Realität: Anfang 2018 waren die Arbeits- losenquote­n im nördlichen Ruhrgebiet fast überall zweistelli­g. Der NRWSchnitt liegt bei 7,2 Prozent, der Bundesdurc­hschnitt bei 5,8 Prozent. „Das Ruhrgebiet ist ein Bremsanker für das ganze Land“, fasst das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Lage zusammen.

Die schwarz-gelbe Landesregi­erung will das ändern. „Wir werden eine Vision für das Ruhrgebiet entwerfen“, verspreche­n CDU und FDP im Koalitions­vertrag. Am kommenden Mittwoch will Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) vor dem Plenum des Landtages erklären, wie die Vision entstehen soll.

Laschet will eine Ruhrgebiet­skonferenz einberufen. Einen auf mehrere Jahre angelegten Prozess, bei dem Dutzende Fachleute in unterschie­dlichen Foren Lösungen für das Revier erarbeiten sollen. „Ich hoffe auf erste umsetzungs­reife Ergebnisse noch in diesem Jahr“, so Stephan HolthoffPf­örtner (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Landesmini­ster für Europa- und Bundesange­legenheite­n soll den Prozess koordinier­en.

Die Idee einer Ruhr-Konferenz ist nicht neu. Schon der ehemalige NRWMiniste­rpräsident Johannes Rau (SPD) hatte 1979 dazu eingeladen. Damals stand am Ende der zweitägige­n Tagung ein sieben Milliarden Mark schweres Förderprog­ramm, dem das Revier viel von seiner heutigen Hochschull­andschaft verdankt. Rund zehn Jahre später bat der damalige Bundeskanz­ler Helmut Kohl zu einer „Montan-Konferenz“, bei der es um weitere Fördermill­iarden ging. Diesmal soll das Geld nicht im Vordergrun­d stehen. „Die neue Ruhr-Konferenz wird keine Geber- oder Krisenkonf­erenz. Wir sammeln Ideen und nicht Geld“, erklärt Holthoff-Pförtner (CDU). Im Fokus stehe eine neue „Gründerkul­tur mit guten Ideen“.

Die Methode: „Wir gliedern die thematisch­e Arbeit in einzelne Foren, jeweils angeführt von einem Kabinettsm­itglied und einem prominente­n Ver-

Stephan Holthoff-Pförtner treter aus Wirtschaft, Kultur und Wissenscha­ft. Alle zwölf Landesmini­ster beteiligen sich.“Noch sind die TandemPart­ner für die Landesmini­ster nicht gefunden. Dem Vernehmen nach hofft die Landesregi­erung auf eine Beteiligun­g unter anderem von ThyssenKru­ppChef Heinrich Hiesinger, Eon-Chef Johannes Teyssen und dem Duisburger Automobil-Wissenscha­ftler Ferdinand Dudenhöffe­r. Auch mit dem Regionalve­rband Ruhr (RVR) und dem Initiativk­reis Ruhrgebiet ist die Landesregi­erung im Gespräch. Holthoff-Pförtner: „Wichtig für die Ruhr-Konferenz ist, dass sie frei von politische­n Farben organisier­t wird.“Das Vorbereitu­ngsteam habe mit rund 40 Kommunalsp­itzen gesprochen, von denen nur zwei der CDU angehören: Die Oberbürger­meister von Hamm und Essen. „Trotzdem war die Resonanz durchweg wohlwollen­d“, so Holthoff-Pförtner.

Auf Landeseben­e hält sich die Begeisteru­ng der Opposition allerdings in Grenzen. Norbert Römer, Fraktionsc­hef der SPD im Landtag, sagte unserer Redaktion: „Was der Ministerpr­äsident bisher zum Thema Ruhrgebiet­skonferenz gesagt hat, ist altbacken und ideenlos. Es ist kein Konzept erkennbar, seine Vorstellun­g von einer Konferenz besteht offenkundi­g aus einer losen Reihe folgenlose­r Gesprächsr­unden ohne inneren Zusammenha­lt.“

In der Tat hat die SPD schon im September ein Thesenpapi­er „Impulse für den Strukturwa­ndel im Ruhrgebiet“vorgelegt, das konkreter ist als alles, was die neue Landesregi­erung zumindest bis jetzt zum Thema gesagt hat. Dort schlagen die Sozialdemo­kraten zum Beispiel einen Altschulde­n-Tilgungsfo­nds für notleidend­e Kommunen vor, eine Umwidmung des ursprüngli­ch für den „Aufbau Ost“gedachten Soli-Zuschlags für alle struktursc­hwachen Regionen in Deutschlan­d, einen Bundesbeau­ftragten für Strukturwa­ndel sowie mehr regulatori­sche Eingriffe, um auch für Geringverd­iener das Wohnen im Ruhrgebiet bezahlbar zu halten. „Das sind konkrete Projekte, die das Ruhrgebiet nach vorne bringen“, so Römer, „dazu sagt Laschet nichts.“

„Erste umsetzungs­reife Ergebnisse noch in

diesem Jahr“

Landesmini­ster und Koordinato­r der Ruhr-Konferenz

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