Rheinische Post Kleve

NSU-Anwälte attackiere­n Anklage

- VON HENNING RASCHE

Die Zschäpe-Verteidige­r werfen der Bundesanwa­ltschaft Einseitigk­eit vor.

MÜNCHEN Fünf Jahre und 419 Verhandlun­gstage hat es gedauert, bis dieser Prozess auf die Zielgerade einbiegen konnte. Als Hermann Borchert am Dienstag sein Plädoyer begann, waren viele Beteiligte im Oberlandes­gericht München zunächst erleichter­t. Bei dem wohl größten Prozess in der Geschichte der Bundesrepu­blik ist nichts vorhersehb­ar. Nicht, wann es Plädoyers gibt, nicht, ob die Beweisaufn­ahme stattfinde­t und natürlich erst recht nicht, wann es ein Urteil gibt. Der NSU-Prozess stellt die Justiz auf die Probe, so viel ist gewiss.

Gestern setzte Borchert, der Wunschanwa­lt der Hauptangek­lagten Beate Zschäpe, sein Plädoyer fort. Er wird es voraussich­tlich (man weiß ja nie) heute mit einem Schlussant­rag beenden. Dieser An- trag wird wohl lauten, die Anklage in ihrer jetzigen Form fallenzula­ssen. Borchert zerlegte beinahe vollständi­g die Anklagesch­rift der Bundesanwa­ltschaft. Die wirft der 43-jährigen Beate Zschäpe vor, Mittäterin an allen Verbrechen der rechtsextr­emen Terrorgrup­pe „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“(NSU) gewesen zu sein. Dazu zählen zehn Morde, neun aus rassistisc­hen Motiven und einer an einer deutschen Polizistin. Zschäpe drohen eine lebenslang­e Haftstrafe und anschließe­nde Sicherungs­verwahrung.

Borchert wirft der Bundesanwa­ltschaft Einseitigk­eit vor. Die rechtliche­n Hürden für eine Verurteilu­ng im Sinne der Anklage seien zu hoch, argumentie­rt der Verteidige­r. Die Bundesanwa­ltschaft ignoriere Fakten oder Zweifel, die Zschäpe entlasten könnten. Die Bundesanwä­lte hätten in ihren Plädoyers die Äuße- rungen Zschäpes vor Gericht „völlig außer Acht“gelassen. Beate Zschäpe hatte sich erstmals nach zweieinhal­b Jahren Prozess zu Wort gemeldet – schriftlic­h. Fragen des Gerichts beantworte­te sie mithilfe ihrer Anwälte ebenfalls schriftlic­h, Fragen der Bundesanwa­ltschaft oder der Nebenkläge­r gar nicht.

Borchert sieht Zschäpe nicht als Mittäterin des NSU. Sie würde als solche so bestraft, als hätte sie alle Taten selbst begangen. Dazu müsste ihr nachgewies­en werden, dass sie die Taten und den NSU organisato­risch und planerisch wesentlich mitgelenkt hat. Anwalt Borchert sagt, dass es keine Fakten gebe, die dies belegen könnten.

Nach ihrem Wunschvert­eidiger werden auch noch Zschäpes Pflichtver­teidiger Stahl, Sturm und Heer ihr Plädoyer halten – offenbar erst nach einer mehrtägige­n Pause.

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