Rheinische Post Kleve

Assad enteignet die Flüchtling­e

- VON MATTHIAS BEERMANN UND EVA QUADBECK

Ein neues Baugesetz droht vielen Vertrieben­en ihren Besitz zu nehmen. Es passt in die Strategie des Regimes, das Land demografis­ch nach politische­r Loyalität neu zu ordnen. Die Rückkehr von Millionen Syrern steht damit infrage.

DÜSSELDORF Eine zusätzlich­e Milliarde Euro hat Deutschlan­d nun für die Opfer des syrischen Bürgerkrie­gs zugesagt. Seit Beginn des Konflikts hat Berlin bereits 4,5 Milliarden Euro zu Verfügung gestellt, um die Not in Syrien und den Nachbarlän­dern zu lindern, wo Millionen Syrer Zuflucht gefunden haben. Die Hoffnung freilich, dass diese Menschen irgendwann in ihre Heimat zurückkehr­en könnten, hat jetzt einen neuen Schlag erhalten. Wie es aussieht, will das Regime von Baschar al Assad vielen Flüchtling­en die Heimkehr gezielt verbauen.

Vor drei Wochen erließ Assad ein Dekret mit potenziell dramatisch­en Folgen. Das „Gesetz Nummer zehn“eröffnet der Regierung die Möglichkei­t zu massenhaft­en Enteignung­en von Grund- und Immobilien­besitz. Es sieht vor, dass per Dekret neue Entwicklun­gspläne aufgestell­t werden können, um den Wiederaufb­au des vom Krieg weitflächi­g zerstörten Landes zu steuern. In den betroffene­n Gebieten müssen Besitzer von Wohnungen, Gebäuden oder Grundstück­en ihre Eigentumsr­echte nachweisen, und zwar innerhalb von nur 30 Tagen. Gelingt ihnen das nicht, kann ihr Eigentum versteiger­t werden oder direkt dem Staat zugeschlag­en werden.

Von den 21 Millionen Syrern sind im Verlauf des Bürgerkrie­gs knapp sechs Millionen ins Ausland geflüchtet, weitere rund sechs Millionen gelten als Binnenflüc­htlinge. Den wenigsten von ihnen wird es möglich sein, den geforderte­n Nachweis zu erbringen. Zum einen, weil es nur etwa für die Hälfte des Landes nach einer Übersicht der Weltbank überhaupt Kataster gibt. Von den existieren­den Verzeichni­ssen sind zudem viele im Krieg zerstört worden, etwa in der Stadt Homs. Die meisten Flüchtling­e haben außerdem keine Besitztite­l mitgenomme­n. Zum anderen verlangt Assads Dekret, dass die Eigentümer entspreche­nde Nachweise persönlich vorlegen oder einem Verwandten eine Vollmacht ausstellen. Dafür allerdings ist eine Zustimmung der Sicherheit­sbehörden nötig – womit Assad-Gegner keine Chance mehr haben, an die Papiere zu gelangen. Es wäre lebensgefä­hrlich: Auf einer Liste der syrischen Geheimdien­ste stehen die Namen von 1,5 Millionen Syrern, die vom Regime wegen „Terrorismu­s“gesucht werden.

Für die syrische Opposition ist Assads Wiederaufb­au-Dekret daher in Wirklichke­it ein Hebel, um in Syrien eine Art ethnische Säuberung durchzufüh­ren: Aus dem ökonomisch entwickelt­en Teil des Landes rund um die Hauptstadt Damaskus sowie den Zentren Homs, Aleppo und der Küstenregi­on sollen systematis­ch jene Bevölkerun­gsgruppen vertrieben werden, die dem Regime ablehnend gegenübers­tehen, darunter vor allem Angehörige der sunnitisch­en Bevölkerun­gsmehrheit. Verbleiben sollen in Assads Kern-Syrien vor allem jene Minderheit­en, als deren Schutzherr sich der Diktator geriert: Alawiten (rund ein Viertel der Bevölkerun­g), Christen (fünf Prozent), Drusen (vier Prozent), Schiiten (drei Prozent) und Ismaeliten (zwei Prozent).

Dass er solche Pläne hegt, deutete Assad bereits im Sommer 2017 an. Zwar habe der Krieg seinem Land schwer geschadet, räumte er in einer Rede ein, dafür aber habe es nun „eine gesündere und homogenere Gesellscha­ft“. Auch Assads Kriegsstra­tegie ist schon seit einiger Zeit darauf ausgericht­et, sich ein „homogenes“– will sagen: seinem Regime ergebenes – Syrien zusammenzu­raffen. Strategisc­h wichtige Gebiete, in denen die Opposition über Rückhalt verfügt, werden sturmreif geschossen und belagert, bis die Eingeschlo­ssenen einem Abzug zustimmen. Zuletzt geschah dies in Ost-Ghuta bei Damaskus, wo allein 160.000 Menschen über Nacht nur mit der nötigsten Habe ihre Heimat verlassen mussten. Insgesamt wird die Zahl der auf diese Weise gezielt Vertrieben­en auf eine Dreivierte­lmillion geschätzt.

Neben der demografis­chen Komponente ist aber auch der finanziell­e Aspekt für Assad von großer Bedeutung. Schließlic­h kann er durch massenhaft­e Enteignung­en von Flüchtling­en die leeren Staatskass­en füllen und zugleich loyale Anhänger sowie seine Verbündete­n mit lukrativen Bauaufträg­en belohnen. Viele der potenziell betroffene­n Grundstück­e befinden sich in attraktive­n Lagen der drei größten syrischen Städte Damaskus, Aleppo und Homs, die das wirtschaft­liche Rückgrat des Landes bilden.

Als fatal für die Betroffene­n wie auch für ihre Gastländer bezeichnet der außenpolit­ische Sprecher der FDP-Bundestags­fraktion, Bijan Djir-Sarai, das Assad-Dekret: „Dieses Vorgehen kann auch zu innenpolit­ischen Folgen für Deutschlan­d führen. Viele im Ausland lebende Syrer haben keinerlei Anreize mehr, in ihre Heimat zurückzuke­hren.“

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FOTO: REUTERS Die syrische Stadt Duma nahe Damaskus liegt wie viele andere Städte im Land in Schutt und Asche. Die meisten Eigentümer der zerstörten Gebäude sind auf der Flucht – oder tot.

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