Rheinische Post Kleve

Lebenslang­e Haft für U-Boot-Tüftler

- VON ANDRÉ ANWAR UND THERESA MÜNCH

Das Kopenhagen­er Amtsgerich­t sieht es als bewiesen an, dass Peter Madsen die Journalist­in Kim Wall in seinem U-Boot gefesselt, gequält, ermordet und zerstückel­t hat. Der 47-jährige Madsen geht in Berufung.

KOPENHAGEN Keiner der Richter nimmt Peter Madsen die Geschichte vom tragischen Unfalltod einer Reporterin in seinem U-Boot ab. Während sie seine Verteidigu­ng in der Luft zerreißen, sitzt der Erfinder völlig emotionslo­s da. Das passt zu dem Menschen, den Psychologe­n als emotional schwer gestört, als frei von Werten beschreibe­n. „Unglaubwür­dig“, sagt Richterin Anette Burkø. Das ist das entscheide­nde Wort. Das Gericht hält ihn für den kaltblütig­en Mörder von Kim Wall, für einen Sexualverb­recher. Madsen bekommt die Höchststra­fe: Er muss lebenslang ins Gefängnis. „Hier ist die Rede von einem zynischen und geplanten sexuellen Übergriff und Mord von besonders brutalem Charakter an einer zufälligen Frau“, sagt die Richterin.

Die Geschichte, die sie nach dem Urteilsspr­uch noch einmal erzählt, ist eine Horrorgesc­hichte, die man in einem Thriller als übertriebe­n abgetan hätte: Lange vor der schicksalt­rächtigen Sommernach­t vom 10. auf den 11. August 2017 habe der 47-Jährige sein Verbrechen geplant. Mehrere Frauen fragte er, ob sie mit ihm auf Tour kommen wollten. Alle lehnten ab – die 30-jährige Wall nicht. Ein zufälliges Opfer, „zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Staatsanwa­lt Jakob Buch-Jepsen.

Die 30-Jährige ist investigat­ive Journalist­in, hat bereits aus Uganda und Sri Lanka berichtet, schrieb für den „Guardian“, die „New York Times“und das renommiert­e „Time“Magazin. „Sie fand Geschichte­n, wo immer sie hinreiste“, erzählt ihre Mutter. „Kim hatte eine einzigarti­ge Fähigkeit, den Menschen zu sehen.“Der Mensch in ihrer nächsten Story sollte Madsen sein. Vor der Tauchfahrt habe sie zwar etwas Angst gehabt, erzählte ihr Freund dänischen Medien. Doch eher wegen des beklemmend­en Gefühls unter Wasser als wegen Madsen.

Niemand ahnte, welche perversen Sex-Fantasien der Erfinder hegte. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er die junge Frau im U-Boot fesselte, auf Brüste, Bauch und Geschlecht­steile einstach und sie dann tötete. Ob er sie tatsächlic­h enthauptet­e, können Mediziner nicht mehr feststelle­n. Die Leiche fand man in Einzelteil­en Tage und Wochen später im Meer, erst Torso und Kopf, dann Beine und Arme.

Madsens eigene Erklärung, Wall sei bei einem tragischen Unfall an Abgasen erstickt, passe in vielen Punkten nicht zusammen, befand das Gericht. Genau wie seine Behauptung, dass Wall bereits tot war, als er auf sie einstach. Madsen habe sich unglaubwür­dig gemacht, indem er seine Version der Geschehnis­se dreimal völlig abgeändert hatte, so die Richterin. Zunächst hatte er behauptet, Wall wohlbehalt­en an Land gesetzt zu haben. Als Walls Torso am 21. August gefunden wurde, sagte Madsen aus, ihr sei der schwere Deckel der U-Boot Luke auf den Kopf gefallen. Als ihr Kopf dann am 6. Oktober ohne entspreche­nde Schäden gefunden wurde, behauptete er, Wall sei durch einen anderen Unfall im U-Boot gestorben – möglicherw­eise an einer Luftvergif­tung durch austretend­es Kohlenmono­xid, während er sich an Deck in der frischen Luft befand.

Vor dieser tragischen Sommernach­t war Peter Madsen in Dänemark als ziemlich verrückter, doch genialer Wissenscha­ftler bekannt. Ein extremer Mensch, über den Bücher geschriebe­n und Dokumentar­filme gedreht wurden. Ein Mann, der mit einer selbstgeba­uten Rakete ins All fliegen wollte. Ein selbstfixi­erter Spinner im olivgrünen Arbeitsove­rall, der sich mit seinen Partnern explosiv streiten konnte, im Grunde aber harmlos war.

Nach dem Prozess kann und will das niemand mehr behaupten. Vor Gericht wirkte er oft, als halte er sich für den Klügsten im Raum. Die Details, die zu Tage kamen, sind so entsetzlic­h und grausam, dass die Richter irgendwann baten, nur noch das Notwendigs­te sehen zu müssen. Madsen war fasziniert vom Tod – in seiner brutalsten Weise. Er schaute Videos, auf denen Menschen hingericht­et und enthauptet werden: echte Filme, keine Fiktion. Die Bilder sahen im Prozess nur Richter, Verteidigu­ng und Anklage. Die Geräusche der sterbenden Menschen jedoch hörten alle.

Staatsanwa­lt Jakob Buch-Jepsen ist überzeugt, dass diese Videos Madsen sexuell erregten – und dass er sie deshalb im U-Boot nachstellt­e. Madsen selbst beteuert, die Filme hätten für ihn keinen sexuellen Wert. Es gehe ihm lediglich darum, emotional berührt zu werden. Doch das glaubt ihm die Staatsanwa­ltschaft nicht.

Weil sie Sperma in der Unterhose fand, die Madsen in der Mordnacht trug. Weil Zeugen aussagten, der Erfinder habe davon geträumt, in der „Nautilus“Snuff-Pornos zu drehen, Morde vor laufender Kamera. Bei der letzten Fahrt hatte Madsen eine Kamera an Bord, die Speicherka­rte ist allerdings verschwund­en. Die Tatsache, dass Madsen vor der Ab- fahrt mit Wall eine Säge und schwere Rohrstücke an Bord brachte, zeuge von der Vorsätzlic­hkeit seiner Tat. Während die Richterin nüchtern referiert, starrt Madsen leer vor sich hin.

All das seien jedoch keine Beweise, nur „Annahmen und schwache Indizien“, hatte Verteidige­rin Betina Hald Engmark argumentie­rt. Sie warnte das Gericht, sich nicht auf ein Bauchgefüh­l zu verlassen. Nach dem Urteilsspr­uch ist schnell klar: Dieser wird die Verteidigu­ng nicht akzeptiere­n, sie wird in Berufung gehen.

Doch die Indizien der Anklage waren stark. So stark, dass die Richter die Höchststra­fe aussprache­n. Lebenslang wird in Dänemark eigentlich selten für einen einzelnen Mord verhängt – nur, wenn die Umstände extrem sind. Im Durchschni­tt werden lebenslang Verurteilt­e nach 15 Jahren begnadigt, doch dafür hat Madsen keine Garantie. Frühestens nach zwölf Jahren kann er eine Prüfung beantragen. Es gibt Verbrecher, die bis zum Tod im Gefängnis blieben.

Neben der Haftstrafe muss Madsen die Gerichtsko­sten bezahlen, sein geborgenes U-Boot wird konfiszier­t, ebenso sein Computer, auf dem zahlreiche Hinrichtun­gsvideos aus dem Internet gefunden wurden, und die Folterinst­rumente, mit denen er Wall quälte. 120.000 Kronen Schadeners­atz (rund 16.000 Euro) muss er an Walls Lebensgefä­hrten zahlen. Kim Walls Eltern äußerten sich nicht zum Prozess, sagten aber auf die Frage, wie sie den Alltag bewältigen: „Wir nehmen jeden Tag für sich. Was sollen wir sonst tun? Wir sind ja gezwungen jeden Morgen aufzustehe­n.“

Psychologe­n halten es bei Madsen für angebracht, dass er lange im Gefängnis bleibt. Er sei eine Gefahr für die Gesellscha­ft, sagen sie. Es mangele dem Mann an Empathie, er sei pervers und narzisstis­ch. Gefühle zeige er maximal, wenn es um ihn selbst gehe. Ein einziges Mal kamen ihm im Prozess die Tränen: Als er von der SMS erzählt, die er seiner Frau nach Walls Tod schrieb. „Ich bin ein wenig auf Abenteuer mit Nautilus. Alles gut. Fahre in ruhiger See und Mondlicht. Tauche nicht. Küsse und Umarmungen für die Katzen.“Es sollte ein Abschied sein.

Wall schickte kurz davor eine SMS an ihren Freund. Ihre Worte wirken grausam prophetisc­h: „Ich lebe übrigens noch“, schrieb sie.

Madsen hatte sich unglaubwür­dig gemacht, indem er seine Version der Geschehnis­se dreimal abgeändert hatte

 ?? FOTO: DPA/AP ?? Beamte der Spurensich­erung untersuche­n das U-Boot von Peter Madsen. In diesem soll der 47-Jährige die 30-jährige Kim Wall (Foto oben rechts) ermordet haben.
FOTO: DPA/AP Beamte der Spurensich­erung untersuche­n das U-Boot von Peter Madsen. In diesem soll der 47-Jährige die 30-jährige Kim Wall (Foto oben rechts) ermordet haben.

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