Rheinische Post Kleve

Eine „Zweite Haut“aus Pappe

- VON MATTHIAS GRASS

Mit „#moydress“animiert Moylands Museumspäd­agogin Nina Schulze die Besucher der großen Ausstellun­g in der Vorburg zum Mitmachen. Es wird in einer eigens gebauten Kabine spontan gebastelt, fotografie­rt und gepostet.

BEDBURG-HAU-MOYLAND Mit viel Tesakrepp-Band wird aus dem störrische­n Packpapier eine figurbeton­te Korsage, andere verhüllen sich im langen Gewand oder knäueln das Material zu witzigen Hüten. Auch Schuhe mit drei Streifen lassen sich aus dem hellbraune­n Papier machen. Die Streifen mit TesakreppB­and, versteht sich. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Mann oder Frau muss sich nur in die luftige Kabine von Tailor’s zurückzieh­en, den Vorhang vorziehen und das Packpapier von der Rolle abziehen. Und ab geht die kreative Post in Richtung Haute Couture. Es ist die „Zweiten Haut“, die die große Ausstellun­g in der Vorburg von Museum Schloss Moyland in allen Formen und Farben und Gattungen so wunderbar durchdekli­niert. Die anregt, über diese zweite Haut nachzudenk­en, warum Mensch sie trägt, dass sie Schutz sein kann, Rückzug oder Mord, weil Tiere dafür sterben müssen. Oder dass die erste Haut als zweite Haut so irritiert, weil sie nackt ist. All die Themen finden sich irgendwie im Tailor’s, werden auf „Gala“drapiert, die schöne Graue, die Schaufenst­erpuppe in Tailor’s.

Wie schon bei der Mäkipää-Ausstellun­g geht auch bei „Die zweite Haut“die interaktiv­e Aktion zwischen Besucher und Museum auf, die Museumspäd­agogin Nina Schulze so listig in die Ausstellun­g gesetzt hat. Denn was so harmlos als Angebot daherkommt, zieht mitten in die Auseinande­rsetzung mit der Ausstellun­g hinein. Das geht auf: Bei Mäkipää hing die Wand voller Collagen, die die Besucher machten. Angeregt nur durch einen Tisch, eine Schere, viele Zeitungen und geschickt verteiltes Spot-Lichter. „Wir haben damit eine intime Nähe erreicht – so wie jetzt mit der Kabine von Tailor’s“, sagt Schulze. Mit „#moydress“, wie die „Modeli- nie“im Tailor’s heißt, gelingt es ihr sogar, das digitale Selfie und dessen Posting in Soziale Netzwerke, die still-spannende Ausstellun­g und die spontane Kreativitä­t der Besucher zu bündeln. Denn die Besucher werden nicht nur angeregt, das Kleid, die Schuhe, die Korsage oder den Hut zu basteln, sie sollten sich auch damit fotografie­ren und das nicht nur in ihren eigenen sozialen Netzwerker­n teilen, sondern auch gleich mit dem Museum unter „#moydress“. Moyland-Sprecherin Sophie Tuchard wartet an ihrem Computer und antwortet prompt, kann den Dialog mit den Besuchern noch in der Ausstellun­g führen. „Das ist spannend und intensiver, direkter, als die Eintragung ins Besucherbu­ch“, sagt Tuchard. Ihre WhatsApp-Nummer und der Hashtag sind auf die Wand geschriebe­n.

Das alles geschieht intuitiv. „Die Besucher entscheide­n sich spontan, unser Angebot anzunehmen“, sagt Nina Schulze nicht ohne Stolz. Schließlic­h geht ihr Konzept auf, wird das, was mit „Beuys-digital“und der „Summer-School“begonnen wurde, fortgesetz­t: Der Weg in die digitalen Netzwerke und wieder zurück in die analoge Auseinande­rsetzung mit dem Thema, dem Stoff und seiner Haptik: Das Papier hat eine glatte Seite, eine raue, es lässt sich knicken, es raschelt – alles Erfahrunge­n, die die digitale Welt nicht bieten kann.

Dafür ist die Anordnung von „#moydress“niederschw­ellig, die Farben sind einfach, die Materialie­n einheitlic­h, die Atmosphäre einladend. So, dass die Besucher angezogen werden, sich setzen und beginnen, sich eine zweite Haut zu machen. Bilder zitieren, indem sie den Hut knicken oder Siebenmeil­enstiefel bauen. „Man sieht, dass sich die meisten mit den Bildern und dem Thema auseinande­rgesetzt haben“, sagt Alexander Grönert, der die Ausstellun­g kuratiert hat. Und manche, schwärmt Tuchard, manche stolzieren sogar mit ihrer neuen Haut durch die Ausstellun­g. In voller Montur.

Inzwischen haben die Besucher der Ausstellun­g schon ein kleines Einfamilie­nhaus in zweite Häute verarbeite­t – 150 Quadratmet­er Papier sind weggegange­n. Am 13. Mai gibt es auch einen Workshop mit Ilka Sulten, der ins Tailor’s führt. Und nicht nur dann heißt es: in die luftige Kabine von Tailor’s zurückzieh­en, den Vorhang vorziehen und das Packpapier von der Rolle abziehen. Und zuletzt das Bild an „#moydress“nicht vergessen. . .

Infos: Tel. 02824 951064

 ?? RP-FOTO: MVO ?? Museumspäd­agogin Nina Schulze mit „Gala“in der Installati­on „Il Sarto Immortale“von Alba D’Urbano, die Models in „nackten“Kleidern (mit Fotos der Künstlerin bedruckt) über den Laufsteg schickte.
RP-FOTO: MVO Museumspäd­agogin Nina Schulze mit „Gala“in der Installati­on „Il Sarto Immortale“von Alba D’Urbano, die Models in „nackten“Kleidern (mit Fotos der Künstlerin bedruckt) über den Laufsteg schickte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany