Als Karten den Schwanenturm retteten
Mit dem Erlös von selbstbedruckten Postkarten finanzierten die Klever nach 1945 den Wiederaufbau ihrer Burg. Noch heute besitzt die 95-jährige Ilselotte Wahl, Tochter des Klever Heimatdichters Willy Richrath, die Originale.
KLEVE/GOCH Für Oktober sei es ziemlich warm gewesen. Zumindest habe sie sich luftig gekleidet, als sie das Elternhaus in der Großen Straße verließ, erinnert sich Ilselotte Wahl an den 1. Oktober 1950. Die damals 27-Jährige war auf dem Weg zum Bleichenberg. Dort, an der Ecke zur Schloßstraße, fand das Richtfest der Schwanenburg statt. „Sehr viele Klever waren gekommen, alle haben gesungen“, sagt die heute 95-Jährige. „Es war ein unvergessliches Fest.“
Ein denkwürdiger Moment für eine ganze Stadt, schließlich bekamen die Klever an diesem Tag ihr Wahrzeichen zurück. Und damit auch ein Stück Hoffnung, nachdem der Bombenhagel von 1944 so wenig stehen gelassen hatte. „Als die Stadt komplett zerstört wurde, war auch der Schwanenturm zertrümmert. Es war grausam“, sagt Wahl. Die Burg sollte schnell wieder aufgebaut werden, darin waren die Klever sich einig. Der Rechtsanwalt und Heimatfreund Heinz Will gründete die „Bauhütte Schwanenburg“und widmete sich dieser Aufgabe. Doch zum Wiederaufbau musste auch das nötige Geld her.
Eine ganze Stadt sammelte, damit sie ihre geliebte Schwanenburg wiederbekam. So erhoben Sportvereine bei Veranstaltungen den „Schwanenburg Groschen“, auch das Skala-Theater führte für Besucher zugunsten der Bauhütte eine zusätzliche Gebühr von zehn Pfennig ein. Rechtsanwalt Will hatte noch eine andere Idee, um die Baukasse zu füllen: Man druckte Klever Heimatlieder auf Postkarten und verkaufte diese für 50 Pfennig. Ilselotte Wahl hat noch eine Handvoll Originale in einer Kiste in ihrem Haus in Goch. Denn die Liedtexte, die auf die Postkarten gedruckt sind, stammen aus ihrer Familie. Ihr Vater Willy Richrath hat die Lieder geschrieben.
„Mein Vater war ein heimatverbundener Dichter und Liedermacher“, berichtet Wahl. „Er ist auf der Schloßstraße großgeworden und damit auch mit der Schwanenburg.“Willy Richrath war Friseurmeister. Wenn er von der Arbeit kam und genug vom Haareschneiden hatte, setzte er sich an sein Klavier im ersten Stock und komponierte Heimatlieder. Dabei war es ihm sehr wichtig, Plattdeutsch als Sprache zu bewahren. „Wenn du richtig Platt lernst, bekommst du ein neues Fahrrad“, schmunzelt Wahl über die Worte ihres Vaters.
Nachdem Richrath 1944 im Krieg gefallen war, folgte für Mutter und Tochter eine schwere Zeit. Um die Familie zu ernähren, eröffnete die Witwe die Parfümerie „WRi“. Ilselotte Wahl sollte das Geschäft ihrer Mutter im Anschluss übernehmen und die Handelsschule besuchen, dabei wollte sie doch eigentlich Abitur machen und Medizin studieren. „Damals gab es keine Diskussion mit den Eltern“, sagt Wahl. „Aber im Nachhinein war alles richtig so, ich habe es geliebt, das Geschäft meiner Mutter zu führen.“
Nebenbei hätte sie dann vielleicht auch nicht ihren Ehemann Johan- nes Wahl kennengelernt. Dann hätten die beiden aus der Wohnungsnot heraus auch nicht ihr erstes Haus gemeinsam gebaut. 24 Quadratmeter Wohnfläche – davon zwölf für das erste Steuerberaterbüro des Mannes – für damals 3000 Mark.
Heute wohnt die 95-jährige Rentnerin in einem Haus mit viel Grün in Gochs kleinem Ort Hommersum. Sie liebe ihren Garten, vermisse aber auch hin und wieder den Blick auf den Turm. So wie es die Zeilen ihres Vaters beschreiben: „Meine Heimat hat ein Geheimnis, das zwingt dich stets zur Wiederkehr, und das Geheimnis ist – der Schwanenturm, der lässt dich niemals, niemals mehr!“