Rheinische Post Kleve

Der Populisten­professor

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Giuseppe Conte heißt der Favorit auf das Amt des Regierungs­chefs in Italien – ein politisch Unbekannte­r, dessen Lebenslauf Fragen aufwirft.

ROM Wie ein Revolution­är sieht Giuseppe Conte nicht gerade aus. Der Juraprofes­sor, der auf dem besten Weg ist, italienisc­her Ministerpr­äsident einer von Populisten geführten Regierung zu werden, tritt ausgesproc­hen distinguie­rt auf. Stets erscheint er im Anzug, er liebt Anzugweste­n, Manschette­nknöpfe und Einstecktü­cher. Nicht ein graues Haar ist auf dem Kopf des 53-jährigen Süditalien­ers zu erkennen.

Conte ist erkennbar kein Gewächs der erst 2009 vom Satiriker Beppe Grillo gegründete­n Fünf-Sterne-Bewegung, steht ihr aber seit einigen Jahren nahe. Politisch ist er ein weitgehend Unbekannte­r. Im Wahlkampf hatte Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio Conte als Ministerka­ndidat für Öffentlich­e Verwaltung und „Entbürokra­tisierung“präsentier­t. Jetzt soll er die Regierung führen – die Fünf Sterne waren im März stärkste Einzelpart­ei geworden.

Mit Di Maio verbinden Conte die süditalien­ische Herkunft – der Parteichef kommt aus Neapel, der Jurist aus Volturara Appula bei Foggia – und die Verehrung von Volksheili­gen. Bei Di Maio ist es Neapels Stadtpatro­n San Gennaro, bei Conte Padre Pio. Contes Geburtsort in Apulien befindet sich eine Autostunde vom Grab des Kapuzinerm­önchs entfernt, der 2002 heiliggesp­rochen wurde.

Seit 2013 ist der Zivilrecht­sprofessor Mitglied des Präsidents­chaftsrats, des Selbstverw­altungsorg­ans der italienisc­hen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit. Der hemmenden und förderlich­en Wirkung von Gesetzen widmete sich Conte in seinen Studien, die ihn zuletzt als Professor an die Universitä­t Florenz sowie an die renommiert­e Privatuni Luiss in Rom führten. Offenbar hat der Hochschull­ehrer und Anwalt aber auch die Gabe, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Obwohl Conte zugibt, früher links gewählt zu haben, genießt er das große Vertrauen der Fünf-Sterne-Bewegung. Außerdem kann er sich offenbar einflussre­icher Freundscha­ften rühmen. Zu seinen engeren Kontakten sollen die Ex-Ministerin Elena Maria Boschi sowie verschiede­ne Prälaten im Vatikan zählen.

Es ist nicht unbedingt das Profil, das man vom Führer einer Populisten-Regierung erwartet. Während die Fünf-Sterne-Bewegung ideologisc­h kaum in feste Schemata zu fassen ist, hat der Regierungs­partner Lega ein klar nationalis­tisches und fremdenfei­ndliches Profil. Ur- sprünglich forderten Lega-Chef Matteo Salvini und Di Maio selbst das Amt des Ministerpr­äsidenten für sich, blockierte­n sich aber gegenseiti­g. Ein Kompromiss­kandidat musste gefunden werden.

Am Montagaben­d teilten Di Maio und Salvini dann Staatspräs­ident Sergio Mattarella mit, dass Conte ihr Kandidat sei. In Italien erteilt der Präsident dem Ministerpr­äsidenten das Mandat zur Regierungs­bildung, er ernennt auch die Minister. Dass Mattarella elf Wochen nach der Wahl Conte grünes Licht gibt, gilt als wahrschein­lich. Allerdings soll das Staatsober­haupt auch Zweifel angemeldet haben. In erster Linie harrt die Frage einer Antwort, wie Conte ohne jede politische Erfahrung eine Exekutive mit sehr unterschie­dlichen Partnern führen soll, die 2300 Milliarden Euro Staatsschu­lden verwaltet und die Neuverhand­lungen einiger EU-Grundregel­n fordert. Hinter diesen Zweifeln verbirgt sich die Sorge, der künftige italienisc­he Premier könnte von Di Maio und Salvini ferngesteu­ert werden.

Nicht gerade vertrauens­fördernd wirken die Ungenauigk­eiten im Lebenslauf des Universitä­tsprofesso­rs. Conte gibt als Stationen seines Jurastudiu­ms unter anderem die Universitä­t Yale, die Pariser Sorbonne, Cambridge, Wien sowie die New York University an. Das Internatio­nale Kulturinst­itut in Wien, das in Contes Lebenslauf auftaucht, ist allerdings eine Sprachschu­le.

Eine Nachfrage der „New York Times“ergab zudem, dass in der Universitä­tsdatenban­k der New York University kein Student oder Fakultätsm­itglied seines Namens verzeichne­t ist. Conte will dort seinem Lebenslauf zufolge aber zwischen 2008 und 2012 jährlich mindestens einen Monat studiert haben. Die Fünf Sterne stellten daraufhin gestern klar: Conte habe an keiner Stelle geschriebe­n, Kurse oder einen Master an der Universitä­t absolviert zu haben. Er habe lediglich sein Studium der Rechtswiss­enschaften „perfektion­iert und aufgefrisc­ht“.

An Fleiß und wissenscha­ftlicher Produktivi­tät Contes scheint es immerhin keine Zweifel zu geben. „Ich habe mein ganzes Leben mit Büchern verbracht“, sagt der Jurist, der geschieden ist und einen zehnjährig­en Sohn hat. Seine Einstellun­g zur Herausford­erung als Ministerpr­äsident fasst ein Spruch zusammen, den Conte am Wochenende für sein Profilbild beim Kurznachri­chtendiens­t Whatsapp wählte: „Jede Leistung fängt mit der Entscheidu­ng an, es zu versuchen.“

Streitpunk­t ist auch die Besetzung des Wirtschaft­s- und Finanzmini­steriums. Als Kandidat gilt der Euround Deutschlan­d-Kritiker Paolo Savona. Der Wirtschaft­swissensch­aftler soll der Wunschkand­idat der Lega sein. Der 1936 geborene Savona hält den Euro für ein „deutsches Gefängnis“. Die Zeitung „La Stampa“zitierte weiter aus seiner Autobiogra­fie: „Deutschlan­d hat seine Vision für seine Rolle in Europa nach dem Nationalso­zialismus nicht geändert, obwohl es sich von der Vorstellun­g verabschie­det hat, dies mit Waffengewa­lt durchzuset­zen.“Es gilt aber als unwahrsche­inlich, dass Mattarella einen solchen Kandidaten für den Schlüsselp­osten durchgehen lässt. (mit dpa)

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