Rheinische Post Kleve

Malkovich rezitiert Rezensente­n

- VON MARION MEYER

Bei den Ruhrfestsp­ielen las der Schauspiel­er aus Fehlurteil­en von Kritikern.

RECKLINGHA­USEN John Malkovich ist ein Phänomen. Sobald er spricht, hängt man an seinen Lippen. Seine Art, schwierige Texte etwas überdeutli­ch mit einer leicht ironischen Note zu modulieren, fasziniert – egal ob im Film oder auf der Bühne. Nun war er zum zweiten Mal zu Gast bei den Ruhrfestsp­ielen in Recklingha­usen. Diesmal mit einem etwas eindimensi­onalen Projekt über die Musikkriti­k. Malkovich liest die größten Fehlurteil­e der Musikgesch­ichte, während die live gespielten Kompositio­nen die Kritiker auf beste Weise widerlegen.

Ausgedacht hat sich das Konzept der Geiger und Komponist Aleksey Igudesman, der sein Quintett an diesem Abend im ausverkauf­ten Großen Haus selbst begleitet. Sie spielen Werke von Beethoven, Brahms, Chopin, Debussy, Giya Kanchelli und von Igudesman selbst. Dazu liest Malkovich Auszüge aus Kritiken, die zur Zeit der Entstehung der Werke erschienen sind. Ein Kritiker bescheinig­t Chopin „unbeholfen­e Modulation­en“und „perverse Mazurkas“, ein anderer, nämlich Tschaikows­ky, sagt über Brahms, er sei „ein Schurke“, „ein unbegabter Schweinehu­nd“, dessen Kompositio­nen „chaotisch und absolut leeres, vertrockne­tes Zeug“seien. Unter die Gürtellini­e geht es, wenn Kritiker nicht über die Musik, sondern über das Aussehen eines Komponiste­n schreiben, etwa über Debussy, der eine „einzigarti­ge Hässlichke­it“und „spitze Koboldohre­n“besitze.

Die anspruchsv­ollen englischen Texte stellen manchen Zuschauer jedoch vor eine schwierige Wahl: die Passagen auf Deutsch aus dem Programmhe­ft mitlesen oder Malkovich zusehen, wie er süffisant und mit sparsamen Gesten die Worte der Kritiker zum Besten gibt und so in Kauf nehmen, dass man einiges nicht versteht. Am

Ende liest Malkovich noch eine Kritik eines seiner eigenen Auftritte in der Türkei, die in der Forderung gipfelt, dem amerikanis­chen Schauspiel­er wegen Unfähigkei­t künftig die Einreise zu verweigern. Leider erfährt man nicht, wie John Malkovich selbst mit Kritik umgeht.

Lässig steht der amerikanis­che Schauspiel­er auf der Bühne, mal hat er die Hände in den Hosentasch­en, dann wieder schnippt er im Rhythmus der Worte mit. Man würde ihm auch zuhören, würde er einen Bilanzberi­cht lesen. Mit den sympathisc­hen Musikern tritt er vor allem am Ende in einen Dialog. Dabei beweist Igudesman schauspiel­erisches Talent, etwa wenn er sich von Malkovich instruiere­n lässt und Mozart auf der Geige spielt, während er mit den Beinen einen Tango andeutet. Mit einer Improvisat­ion endet der Abend, der die Kritikerin etwas ratlos zurückläss­t. Als musikalisc­he Lesung in kleinem Rahmen hätte der Auftritt durchaus seinen Wert. So aber wirkt er durch einen Star aufgebläht, während in der Mitte ein großes Nichts gähnt. Gäbe es über Musikkriti­k, ihren Zweck, ihre Ambivalenz und ihre Wirkung nicht mehr zu sagen?

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FOTO: DPA Schauspiel­er John Malkovich war in Recklingha­usen zu Gast.

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