Rheinische Post Kleve

„Ich wäre gerne Vizekanzle­r geworden“

- VON KIRSTEN BIALDIGA FOTO: ANDREAS BRETZ

FDP-Chef Christian Lindner spricht beim Düsseldorf­er Ständehaus-Treff über seine Kritik an der Flüchtling­spolitik – und Privates.

DÜSSELDORF Die Bundestags­wahl liegt Monate zurück, doch FDPChef Christian Lindner scheint sie noch nicht ganz loszulasse­n. So blickt er beim Düsseldorf­er Ständehaus-Treff mit rund 500 Gästen gestern Abend zurück auf die Sondierung­sgespräche, seine Anfänge in der Politik und seine Kindheit – aber auch nach vorne: auf einen möglichen Untersuchu­ngsausschu­ss im Skandal um das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) und ein Einwanderu­ngsgesetz.

In der Bamf-Affäre, zu der beinahe täglich neue brisante Details bekanntwer­den hat der FDP-Chef eine rigorose Aufklärung gefordert: „Nur eine Aufarbeitu­ng der Flüchtling­spolitik der vergangene­n Jahre, der Fakten, der Prozesse, erlaubt uns, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen und Verschwöru­ngstheoret­ikern den Boden zu entziehen“, sagte Lindner im Gespräch mit RPChefreda­kteur Michael Bröcker. Es gehe dabei bei Weitem nicht nur um das Bamf. Der US-Kongress habe bei der Aufarbeitu­ng der Finanzkris­e mit einem solchen Vorgehen beste Erfahrunge­n gemacht. „Ich verstehe nicht, warum die Grünen sich gegen eine solche transparen­te Aufarbeitu­ng in einem Untersuchu­ngsausschu­ss stemmen“, so Lindner.

Jüngst hatte Lindner im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­spolitik Kritik mit einer Äußerung auf dem FDP-Parteitag ausgelöst: Beim Bäcker in der Schlange könnten Kunden nicht unterschei­den, ob einer, der in gebrochene­m Deutsch ein Brötchen bestelle, ein „hoch qualifizie­rter Entwickler“oder ein „sich bei uns illegal aufhaltend­er, höchstens geduldeter Ausländer“sei. Um die Gesellscha­ft zu befrieden, müssten sich aber alle in der Schlange sicher sein, dass sich jeder „legal bei uns aufhält“. FDP-Europapoli­tiker Chris Pyak, hatte daraufhin über die sozialen Netzwerke seinen Parteiaust­ritt verkündet, weil Lindner in seiner Rede „allen Nazis einen Vorwand geliefert“habe, „dunkelhäut­ige Menschen zu drangsalie­ren“. Umgehend twitterte Lindner zurück und entgegnete, wer aus seinen Äußerungen Rassismus oder Rechtspopu­lismus herauslese, der sei doch „etwas hysterisch unterwegs“. Beim Ständehaus-Treff erklärte Lindner, ein Zuwanderer habe ihm berichtet, dass er seit dem Sommer 2015, als sehr viele Flüchtling­e ins Land kamen, die Blicke der Menschen spüre. Dieser Mann habe zu ihm gesagt: „Herr Lindner, sorgen Sie dafür, dass sich die Menschen auf einen funktionie­renden Rechtsstaa­t verlassen können.“Im Übrigen sei das Bäcker-Beispiel später durch die sozialen Medien hochgespie­lt worden, sagte Lindner und bekräftigt­e seine Forderung nach einem Einwanderu­ngsgesetz.

Lindner hatte die FDP nach vierjährig­er Auszeit mit einem Ergebnis von 10,7 Prozent der Stimmen wie- der in den Bundestag zurückgefü­hrt. Noch drei Jahre zuvor hatte die Partei in Umfragen bei ein bis zwei Prozent gelegen – dann standen sie kurz vor einer gemeinsame­n Regierung mit CDU, CSU und den Grünen. Die Entscheidu­ng, nach wochenlang­en Sondierung­sgespräche­n aus den Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition auszusteig­en, habe sich aber als richtig erwiesen, sagte Lindner. In den 96 bis dahin verhandelt­en Seiten habe nichts gestanden, was auf eine politische Trendwende hingedeute­t hätte. „Als Elf-Prozent-Partei hat die FDP der Union und den Grünen ihre Vorstellun­gen nicht diktieren können, eigentlich hätte man schon nach zehn Tagen wissen können, dass es nicht geht“, so der FDP-Chef. „SchwarzGrü­n wollten zusammen ins Bett und die Gelben sollten darunter liegen – da war einfach keine Erotik“, scherzte er. Gleichwohl wäre er gern Finanzmini­ster und Vizekanzle­r geworden, gestand Lindner.

Auch Privates gab der FDP-Chef beim Ständehaus-Treff preis, bei dem als Mitglied von Borussia Dort- mund Gelb auch privat eine Rolle spielt, wie er verriet. Im ersten Schuljahr habe er als altklug gegolten, erzählte Lindner. Seine Mutter sei alleinerzi­ehend gewesen, er habe früh Verantwort­ung übernehmen müssen. Mit 14 habe er rund 100 Kilogramm gewogen, das mit Laufen und Knäckebrot in den Griff bekommen. „Es war ein gutes Gefühl, Kontrolle über sich haben zu können“, so Linder. Als 18-Jähriger habe er dann bereits für seinen eigenen Lebensunte­rhalt sorgen und ein eigenes Auto finanziere­n können. „Da bin ich stolz drauf“, sagte der heute 39-Jährige. Während des Bundestags­wahlkampfe­s hatte ein Video aus Jugendtage­n Spott hervorgeru­fen, in dem Lindner als Junguntern­ehmer über Erfolg und Misserfolg doziert. Erfolgreic­h zog er schließlic­h mit nur 21 Jahren in den Düsseldorf­er Landtag ein. Parteikoll­ege Jürgen Möllemann habe ihn damals Bambi genannt, gibt Lindner zu. „Aber nur einmal.“

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Christian Lindner (l.) gestern Abend beim Ständehaus­treff im Gespräch mit RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker.

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