Rheinische Post Kleve

Endgegner Lkw

- VON LAURA HARLOS

Fahren auf der Autobahn bedeutet für viele Menschen Stress. Dabei gilt sie als sicherste aller Straßen. Was genau löst die Panik aus und wie kann man sie loswerden? Eine Fahrt auf der A 57 mit einem Fahrlehrer kann die Angst nehmen.

KLEVE Gerade hat man ihn hinter sich gelassen, schon taucht der Nächste auf. Immer und immer wieder. Mal alleine, mal in der Gruppe mit ein oder zwei anderen. Und das besonders gerne auf der A57. Er fährt ja gar nicht schnell, aber wenn er unerwartet ausschert, war’s das. Er ist mein Endgegner. Der Lkw auf der Autobahn.

Unzählige Straßentes­ts und Unfall-Statistike­n belegen: Autobahnen sind die sichersten Straßen, Landstraße­n hingegen am gefährlich­sten. Trotzdem gibt es viele Fahrer, die sich auf der Autobahn unsicher fühlen oder sich vor ihr fürchten. Doch seit einigen Jahren macht sich ein kleiner Trend bemerkbar: Immer mehr Fahrer finden ihren Weg zurück in die Fahrschule und fragen nach einer speziellen Autobahnau­ffrischung. So nimmt es beispielsw­eise Johann Claassen, Fahrlehrer aus Kleve, wahr. „Leute fragen nach einer Fahrstunde auf der Autobahn, weil sie lange nicht mehr oder auch noch nie dort gefahren sind“, berichtet der 61-Jährige. „Die meiste Angst bereitet dabei die Autobahn-Auffahrt.“

Während das Auto sich noch in der Kurve neigt, huscht der Blick bereits nach links auf die Fahrbahn. Ist viel Verkehr? Gibt es Lkw, die die Auffahrt behindern könnten? „Hände weg vom Schaltknau­f“, dirigiert Claassen auf dem Sitz neben mir. Die TachoNadel bewegt sich im Uhrzeigers­inn Richtung 70. Die Finger umkrallen das Lenkrad, der Oberkörper beugt sich nach vorne. Unter den Armen wird es heiß.

Ruhe bewahren, aber die Geschwindi­gkeit erhöhen – das rät Claassen seinen Schülern, wenn es auf die A3 oder A57 geht. „Es ist natürlich nicht erlaubt, auf dem Standstrei­fen zu fahren. Aber falls es wirklich mal passieren sollte, dass ein Lkw die Auffahrt blockiert, dann bitte kurz weiterfahr­en und bloß nicht abbremsen.“

Auffahrt geschafft und schon das nächste Problem: Ich fahre direkt hinter zwei Lkw und auf der linken Spur geht es zu wie auf einer Ameisenstr­aße. Das Pochen des Herzschlag­s lässt den ganzen Oberkörper beben, im Gehirn schaltet sich die Rechen- und Schätzfunk­tion ein. Reicht die Lücke, kann ich es wagen? „Warum etwas riskieren, wenn man auch ein paar Sekunden warten und ohne Stress überholen kann?“, fragt der Fahrlehrer mit 35-Jahren Berufserfa­hrung. Wenn der Wechsel der Spur geglückt ist, neigt der rechte

Johann Claassen Fuß dazu, das Gaspedal schleifen zulassen. „So, jetzt drück aber noch einmal drauf. Und dann mitschwimm­en“, diktiert der Fahrlehrer.

Es sind aber nicht nur Auffahrten und das Überholen von Lkw, die Angst vor der Autobahn auslösen. Lange Etappen ohne Ausfahrt, fehlende Seitenstre­ifen, Tunnel, Drängler und vor allem das hohe Tempo sind Faktoren, die für Stress sorgen. Was ebenfalls Panik auslösen kann: Baustellen, auf denen nur noch ein Fahrsteife­n befahrbar ist.

Wenn Claassen Autobahn fährt, oder besser gesagt, fahren lässt, gehört die neun Kilometer lange Baustelle zwischen Sonsbeck und Alpen zum festen Übungs-Programm. Das treibe vielen Schülern Schweiß auf die Stirn. „So kann man das beengte Fahren bei höherer Geschwindi­gkeit trainieren“, sagt der Fahrlehrer. „Und auch wenn ich das Gefühl habe, der Lkw schiebt mich gleich von hinten an, muss ich lernen, ruhig zu bleiben.“

Es ist nicht ein Lkw, der an der Stoßstange hängt, sondern ein blauer Kleintrans­porter, während ich einen Lkw überhole. Ein nervöser Blick in den Rückspiege­l: Der Fahrer bläst Luft in seine Wangen, seine Augenbraue­n ziehen sich zusammen. Er trommelt mit den Fingern auf seinem Lenkrad. „Der da hinten macht Stress, hä?“, fragt Claassen. „Sobald der Lkw wieder in deinem Rückspiege­l auftaucht, kannst du entspannt rüberziehe­n.“

Die Angst vor Lkw-Fahrern, die unerwartet die Spur wechseln oder am Steuer eindösen, ist schwer zu nehmen. Dennoch gibt es unter Fahrexpert­en einen Tipp: Fährt ein Lkw „flattrig“, also mal ein bisschen mehr links und dann wieder mehr rechts, besser nicht überholen. „Möglicherw­eise nickt der Fahrer dann kurz weg“, erläutert Claassen.

In der Fahrschule sind für Anfänger vier Übungsstun­den auf der Autobahn vorgeschri­eben. Acht Fahrstunde­n sind das Maximum. Wer schon einen Führersche­in hat und eine Auffrischu­ng in Sachen Autobahn für sinnvoll hält , kann in einer Fahrschule nach Hilfe fragen. Eine einzelne Fahrstunde kostet 37,50 Euro. „Viele Leute schämen sich, dabei ist es das Wichtigste, sich hinter dem Lenkrad sicher zu fühlen.“

Abfahrt 2 Richtung Kleve. Noch 200 Meter. Zeit zum Blinken und zum Bremsen. 40 bis 45 Stundenkil­ometer und der dritte Gang seien optimal für die Kurve, sagt der Fahrlehrer. Links neben mir ruckelt ein Lkw vorbei. Aber das ist okay. Er stört nicht. Er fährt auf seiner Spur, ich auf meiner. Und die verlässt geradewegs die Autobahn.

„Viele Leute schämen sich. Dabei ist es das Wichtigste, sich sicher

zu fühlen“

Fahrlehrer

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RP-FOTO: MARCUS VAN OFFERN Für unsere Reporterin ist das Fahren auf der Autobahn stressig. Besonders wenn sie Lkw überholen muss, erhöht sich ihr Puls. Eine Fahrstunde mit Lehrer Johann Claassen soll helfen.

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