Rheinische Post Kleve

Die Macht der Bilder

- VON JAN DREBES

Das Foto vom G7-Gipfel ging um die Welt. Experten glauben, dass es zur Ikone werden könnte. Doch was gehört eigentlich dazu?

BERLIN Als Jesco Denzel auf den Auslöser drückt, ahnt der offizielle Fotograf der Bundesregi­erung wohl noch nicht, welche Wucht sein Bild wenig später entwickeln wird. Als es dann aber Regierungs­sprecher Steffen Seibert in einen Tweet verpackt, ist das Foto binnen kürzester Zeit überall. Wirklich überall. Nicht nur bei Twitter, auch bei Facebook und Instagram teilen es die Menschen, es wird auf Titelseite­n der Tageszeitu­ngen gedruckt und in Fernsehsen­dungen gezeigt. Jesco Denzel hat eines dieser Bilder geschossen, die sich einbrennen, die für etwas Größeres stehen und es ohne Worte perfekt umschreibe­n. Im digitalen Zeitalter herrscht eine Sintflut der Bilder, ikonenhaft­e Aufnahmen ragen daraus hervor.

Aber ist sein Foto schon eine Ikone? Michael Ebert sieht jedenfalls reichlich Potential dafür. Der ausgebilde­te Fotograf unterricht­et an den Hochschule­n in Magdeburg und Hannover Fotojourna­lismus. Jahrelang arbeitete er für verschiede­ne Tageszeitu­ngen als Fotograf, auch in der früheren Bundeshaup­tstadt Bonn. Er ist von der Aufnahme begeistert. „Angela Merkel wirkt auf dem Bild wie die Mutti mit dem bockigen Jungen, der die Suppe partout nicht auslöffeln will und wild um sich haut“, sagt Ebert. Es zeige die deutsche Bundeskanz­lerin als Wortführer­in Europas, als entscheide­nde Größe in der westlichen Welt. „Dass US-Präsident Donald Trump jedoch sitzt, während alle anderen stehen, versinnbil­dlicht seine herausgeho­bene Machtposit­ion“, so Ebert. „Er ist der Boss, hat seine Arme verschränk­t, in seinen Augen erkennt man viel Trotz.“

Drei bestimmte Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Bild wirklich als Ikone bezeichnet werden kann, meint Ebert. Erstens, wenn es sehr schnell von klassische­n Medien wie Tageszeitu­ngen und Fernsehen verwendet und parallel in sozialen Netzwerken geteilt wird. Das erfüllt Denzels Aufnahme allemal. Zweitens, wenn es Nachahmung­en gibt. Wenn also Menschen das Bild abändern und diese Motive dann auch bei Twitter und Facebook verschicke­n. Auch das geschah sofort. So war Trump tatsächlic­h wie ein kleiner Junge mit einem umgekippte­n Teller Nudeln auf dem Kopf zu se- hen, sitzend in einem Babystuhl. Auch das „letzte Abendmahl“wurde mit den Staatschef­s umgedeutet. Viele andere bekannte Aufnahmen, wie die vom russischen Präsidente­n Putin, der mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd sitzt, wurden auf ähnliche Weise durch den Kakao gezogen. Putin auf einem riesigen Hai, Putin auf einem Adler in der Luft, Putin mit Trump auf dem Pferd.

Eine dritte Voraussetz­ung ist nach Ebert erfüllt, wenn das Foto in unseren allgemeine­n Bilderkano­n übergeht. Wenn wir es also nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Das Napalm-Mädchen ist so ein Fall, stellvertr­etend für das Grauen des Viet- namkrieges, oder der Mann, der sich mutig den chinesisch­en Panzern auf dem Platz des Himmlische­n Friedens entgegenst­ellte. Ein Symbolbild für die Niederschl­agung der chinesisch­en Demokratie­bewegung durch das Militär. „Das aktuelle Bild könnte zum Symbolfoto für die zunehmend isolierten USA und ein Zusammenrü­cken Europas stehen. Wenn es denn so kommt“, sagt Ebert. Und wenn dann noch die Industrie das Foto für sich entdeckt und Produkte damit bedruckt, ist das Bild endgültig im Olymp berühmter Aufnahmen angelangt. Etwa das Foto vom kubanische­n Revolution­sführer Che Guevara, das Alberto Díaz Gutiérrez schoss, und das heute auf zahllosen T-Shirts, Postkarten, Aufklebern und Feuerzeuge­n prangt.

Doch es gibt die politische Dimension von Bildern, die auch bei der Entstehung einer ikonenhaft­en Aufnahme nicht vergessen werden darf. Regierungs­fotografen arbeiten, anders als Fotojourna­listen, für die Regierung. Ihre Aufgabe ist es, Staatschef­s in möglichst vorteilhaf­ten Situatione­n abzulichte­n. Auch in Demokratie­n ist das so, es geht also nicht immer um Propaganda. Wer sich die Bilder von Pete Souza vor Augen ruft, Fotograf des früheren US-Präsidente­n Barack Obama, erkennt die Bedeutung schnell. Als Obama im „Situation Room“des Weißen Hauses Zeuge der Tötung von Osama Bin Laden wird, ist Souza dabei. Das Bild wird berühmt. Obama beim Basketball, Obama mit Kindern im Oval Office, Souza perfektion­ierte die Arbeit des Regierungs­fotografen. Auch Jesco Denzel, ausgezeich­net mit dem World Press Photo Award, gehört zu den Großen. Er selbst darf über sein Bild nicht sprechen, teilte er auf Anfrage mit. Das ist so geregelt mit der Bundesregi­erung. Er und seine Kollegen müssen Merkel abbilden und sie gut aussehen lassen. Gleichzeit­ig ist von ihr bekannt, dass sie es den Fotografen nicht leicht macht. Es heißt, sie sei oft genervt, Sonderwüns­che erfülle sie nicht. Für Ebert ist jedoch klar, dass ein solches Bild wie vom G7-Gipfel Fortune braucht, nicht Glück. Fortune ermögliche man aktiv, sagt er. Fotografen müssten vorbereite­t zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. „Erst dann kommen Glück und Talent hinzu“, so Ebert.

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FOTO: GETTY Jesco Denzels Foto von der Schlussrun­de der G-7-Verhandlun­g am Wochenende.
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FOTO: DPA Barack Obama und Hillary Clinton sehen im Mai 2011 der Ergreifung Osama Bin Ladens zu.
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FOTO: AP Die neun Jahre alte Kim Phuc nach einem Napalm-Angriff in Vietnam 1972.
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FOTO: ULLSTEIN Student auf dem Platz des himmlische­n Friedens 1989.

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