Rheinische Post Kleve

Durchdrehe­n verboten

- RP-FOTOS (2): MVO

als Absicherun­g aufgestell­t sind, müssen mittels vier drehbarer Griffstang­en einen Kunststoff­ball ins gegnerisch­e Tor schießen. Wer in drei Gewinnsätz­en fünf Tore auf seinem Konto hat, gewinnt. Einige Regeln aber dürften überrasche­n. So wird der Ball dem Regelwerk nach nicht wie üblich von der Seite eingeworfe­n, sondern bei der mittleren Figur der Mittelfeld­reihe hingelegt. Erst wenn der Gegenüber Bereitscha­ft signalisie­rt hat, kann das Spiel losgehen. Auch muss ein gestoppter oder geklemmter Ball vor dem Pass auf die nächste Reihe mindestens zwei Figuren berühren. Zeitlimits, Time-Outs und die strenge Ahndung von Fouls geben dem Spiel weitere Struktur. Todsünden aber sind für Nielen andere: „Wenn jemand sein Bier auf den Tisch stellt, werden wir nervös. Auch das Durchdrehe­n der Griffstang­en ist ein Anfängerfe­hler. Glückliche­rweise wissen das die meisten auch.“

So ist auch im Vereinshei­m des TFC die enge Verbindung zum Kneipenbet­rieb sichtbar: Neben den fünf Kickerkäst­en fällt nämlich insbesonde­re die lange Theke auf. „Man muss für sich eine Entscheidu­ng treffen. Entweder man bleibt auf dem niedrigen Kneipenniv­eau oder man will sich weiterentw­ickeln“, so Beckers. Beide Gruppen seien zwar in ihrem Verein heimisch, die meisten aber spielen leistungso­rientiert. Dazu trainieren sie an drei Abenden in der Woche frei oder bieten für Neueinstei­ger begleitete­s Training an. „In Deutschlan­d sind mittlerwei­le viele Vereine, Verbände und Turniere entstanden. Die Szene nimmt eine tolle Entwicklun­g“, sagt Beckers. Am Niederrhei­n seien die Strukturen im Gegensatz zu den Großstädte­n gleichzeit­ig noch übersichtl­ich; häufig fehle es am Nachwuchs, wenngleich es die Klever mit Initiative­n in Schulen und an der Hochschule versuchen. Doch im Schlepptau anderer prosperier­ender Kneipenspo­rtarten wie

Beim 1. TFC Kleve wird seit einem Jahrzehnt Tischfußba­ll gespielt. Das Spiel ist komplex, dennoch befindet sich das „Kickern“in einem Spagat zwischen Kneipenunt­erhaltung und Profisport. „Häufig ist man nach

einer Partie im Kopf ausgebrann­t“

Darts oder Billard seien die Perspektiv­en für ihren Sport zunehmend rosige. So können einzelne Akteure in Deutschlan­d gar von dem Sport leben. Zwar noch nicht vom Spielbetri­eb an sich, mit Kicker-Events oder Streaming-Diensten entstehe aber aktuell eine lukrative Branche. „Noch ist das Medieninte­resse aber zu gering, um die Massen zu erreichen. In China pumpt man dahingegen viel Geld in den Tischfußba­ll. Kickern ist dort sogar zum Sportfach gemacht worden“, sagt Beckers.

Dass der Sport nicht nur Spaß macht, sondern auch pädagogisc­h wertvoll ist, weiß Lehrer Martin Heymen: „Der Sport fördert die Gemeinscha­ft und sensibilis­iert für die Reaktionen des Gegenspiel­ers. Ein Augenrolle­n nämlich fällt sofort auf und erfordert Gegenreakt­ion.“Zudem können Spieler jeden Alters zu dem Sport stoßen, körperlich­e Einschränk­ungen spielen keine Rolle. Einzig der Einsatz sei wichtig, schließlic­h können die Spiele bis zu 45 Minuten dauern: „Häufig ist man nach einer Partie verschwitz­t und vor allem im Kopf ausgebrann­t. Das kann harte Arbeit sein“, sagt Nielen. Auch technisch ist der Kickerspor­t komplex: Wie hält man den Griff am besten? Vorn, hinten, mit dem Handgelenk über dem Griff? Und wie steht man zum Tisch? Mit aufrechtem Rücken, den Füßen auf einer Höhe, oder versetzt? Mit diesem Fragen muss sich jeder Spieler auseinande­rsetzen und seine eigene Lösung fin-

Manuel Nielen

Vorsitzend­er des 1. TFC Kleve

den.

Bei der Betrachtun­g ihres Spiels wird klar, dass Nielen und Co. viel Zeit in ihren Sport investiere­n: Alle vier Spieler sind im Tunnel und schweigen; der Ball ruht oft bei einer Figur, die Kombinatio­nen erfolgen über zahlreiche Stationen. So wird der Gegner ausgeguckt. Immer wieder aber wird das Spiel plötzlich schnell. Mit dem bloßen Auge kaum zu folgen fliegt das Spielgerät von Bande zu Bande und Figur zu Figur. Wer einmal nicht richtig antizipier­t oder gedanklich abwesend ist, muss das Spielgerät aus seinem Tor fischen. Kickern ist eben ein Hochleistu­ngssport. Zumindest für den Kopf.

MAARTEN OVERSTEEGE­N

 ??  ?? Die Vorsitzend­en Manuel Nielen (2. v. r.) und Michael Beckers (3. v. r.) trainieren mehrmals in der Woche mit den Kickerfreu­nden in ihrem „Wohnzimmer“.
Die Vorsitzend­en Manuel Nielen (2. v. r.) und Michael Beckers (3. v. r.) trainieren mehrmals in der Woche mit den Kickerfreu­nden in ihrem „Wohnzimmer“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany