Rheinische Post Kleve

„Die Welt wird einen Wandel erleben“

- VON M. DONHAUSER, D. GODDER, A. LANDWEHR UND C. SATOR

Der Singapur-Gipfel ist Geschichte. Kaum jemand lobt seine Ergebnisse so sehr wie US-Präsident Donald Trump. Und auch Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un gibt sich ziemlich zufrieden. Eindrücke von einem historisch­en Tag.

SENTOSA (dpa) Der Tisch im „Capella“steht bereit, die beiden Stühle auch. Dann kommt noch ein Helfer mit weißen Handschuhe­n in den großen Saal des Singapurer FünfSterne-Hotels und legt neben dem Blumengede­ck zwei Stifte zurecht. Und schließlic­h setzen Donald Trump und Kim Jong Un beim ersten Gipfeltref­fen in der Geschichte ihrer beiden Nationen ihre Unterschri­ften unter zwei Seiten Papier.

Die Situation ist feierlich, pompös geradezu. Ganz wie der US-Präsident das gerne hat, und Nordkoreas Machthaber offenbar auch. Ob das nun gespielt ist oder echt: So wie die beiden nebeneinan­der sitzen, strahlen sie doch eine ziemliche Zufriedenh­eit aus. Auf jeden Fall merken Trump und Kim, dass sie gerade Geschichte machen – und sie lassen das die Welt durchaus spüren.

Nach vielen Jahrzehnte­n erbitterte­r Feindschaf­t treffen sich an diesem 12. Juni ein amtierende­r USPräsiden­t und der aktuelle Chef von Nordkoreas kommunisti­scher Herrscherf­amilie erstmals persönlich. Und neben jeder Menge Freundlich­keiten und Schulterkl­opfen reicht es nach fünf Stunden tatsächlic­h auch zur Unterzeich­nung eines gemeinsame­n Dokuments.

Trump, am Donnerstag 72, hat erstmals in eineinhalb Amtsjahren internatio­nal etwas konstrukti­v zustande gebracht. Das kostet er aus. „Aus Gegnern können Freunde werden“, sagt er. Und wendet sich dabei an nichts weniger als „an die Welt“. Kim, mit mutmaßlich 34 Jahren nicht einmal halb so alt, stellt das Ganze ebenfalls in den globalen Zusammenha­ng. „Wir haben beschlosse­n, die Vergangenh­eit hinter uns zu lassen. Die Welt wird einen großen Wandel erleben.“

Das ist es aber auch schon fast. Die Vereinbaru­ng, die nach wochenlang­en Verhandlun­gen im Hintergrun­d erreicht wurde, ist dünn. Das Dokument liest sich an vielen Stellen wie das, was man in der Geschäftsw­elt, aus der Trump kommt, eine „Absichtser­klärung“nennt – und keinesfall­s wie ein Vertrag der internatio­nalen Diplomatie.

Ob trotzdem daraus etwas wird, muss sich noch zeigen, schließlic­h ist es nicht das erste Stück Papier, das zwischen beiden Ländern unterzeich­net worden ist. Auch in früheren Jahren gab es schon einige Versuche, Nordkorea ins internatio­nale System der Rüstungsko­ntrolle einzubinde­n. Manchmal war man sogar schon einigermaß­en weit, aber nie wurde etwas daraus.

Der Nordkorea-Kenner Andrej Lankow, Professor an der südkoreani­schen Kookmin-Universitä­t, meint dann auch zu der jetzigen Vereinbaru­ng: „Sie hat keinerlei praktische­n Wert. Die USA hätten ernsthafte Zugeständn­isse gewinnen können. Aber es wurde nicht getan. Nordkorea wird ermutigt sein, und die USA haben nichts bekommen.“Der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, weist auf die simple Tatsache hin, dass Vereinbaru­ngen auch eingehalte­n werden müssen.

Auf die atomare Abrüstung der koreanisch­en Halbinsel, den Kernpunkt, will Kim „hinarbeite­n“. Wie lange er dafür brauchen darf? Dazu gibt es keine konkrete Festlegung, auch keinerlei Fahrplan. „Ich glaube, er will es hinkriegen“, sagt Trump voller Zuversicht. Die Worte „überprüfba­r“, „unumkehrba­r“und „vollständi­g“, von den USA in den vergangene­n Tagen gebetsmühl­enartig in die Welt hinausposa­unt, feh- len allerdings. Trump benutzt die Formulieru­ng „baldmöglic­hst“.

Auch bei einer Friedenslö­sung bleiben beide Seiten vage. Einen robusten Frieden wolle man erreichen – 65 Jahre nach dem Koreakrieg, der völkerrech­tlich immer noch nicht beendet ist. Wie das gehen soll, welche Rolle Nordkoreas Schutzmach­t China dabei spielt – die Antworten blieben Trump und Kim schuldig. Wer auf so etwas wie die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n gehofft hatte, sieht sich enttäuscht.

Die USA mussten offenbar sogar Kröten von ansehnlich­er Größe schlucken. So deutete Trump an, dass die gemeinsame­n Militärman­över mit dem Verbündete­n Südkorea beendet werden sollen – schon lange ein Dorn im Auge der Nordkorean­er. Die Manöver seien ohnehin „Kriegsspie­le“, die viel zu viel Geld kosteten. Auch die Antwort, wie er jetzt noch andere Länder wie China und Russland bewegen will, das Sanktionsr­egime gegen Nordkorea durchzuset­zen, bleibt er schuldig.

Dennoch war Singapur für die beiden Hauptakteu­re ein Erfolg. Für den Nordkorean­er vielleicht sogar noch mehr. Kim schien sich bei einem nächtliche­n Spaziergan­g in der Glitzerwel­t des boomenden Stadtstaat­es pudelwohl zu fühlen. Zu Beginn des Gipfels war er noch sichtlich nervös. Dann bekam er aber, was sich die Nordkorean­er schon immer gewünscht hatten: ein Treffen mit der Supermacht USA von gleich zu gleich. Trump nennt ihn „talentiert“, einen verlässlic­hen Verhandler. Für einen aus Nordkorea ist das fast ein Ritterschl­ag.

Bislang wollte sich kein einziger US-Präsident darauf einlassen, die diktatoris­che Herrscherf­amilie des kommunisti­schen Staats dermaßen aufzuwerte­n. Kim hat das mit seinen Atomtests erzwungen. Die Strategie des totalitäre­n Regimes scheint aufzugehen. Kim will den Wandel, da ist sich Trump sicher. Er will sich aber auch nicht stürzen lassen. Diesem Ziel kam er in Singapur ein Stück näher. Die Amerikaner mussten starke Sicherheit­sgarantien ausspreche­n, um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen.

Die Kulisse in Singapur sorgte dafür, dass Trump, früher einmal Quotenbrin­ger für eine Show im RealityTV, und sein neuer „Freund“, Sohn einer Schauspiel­erin, den Gipfel auch als Abfolge von großen Fotogelege­nheiten inszeniere­n konnten: der historisch­e erste Handschlag vor dem „Capella“, das Kennenlern­en zu zweit in der Bibliothek (gestoppt auf 38 Minuten), die gemeinsame Stunde beim Mittagesse­n, der Gang durch den tropischen Garten des Hotels.

Kurz vor Schluss ließ Trump seinen neuen Partner sogar noch einen Blick in seine schwarze Limousine werfen. Das gepanzerte „Beast“hatte er wie üblich eigens aus den USA einfliegen lassen. Manchmal schien Kim das alles nicht einmal selbst zu glauben. „Viele Leute in der Welt werden das für eine Art Fantasie halten, aus einem Science-FictionFil­m“, meinte er. Der Mann, dem der Westen Morde in der eigenen Familie vorwirft, der Zehntausen­de in Arbeitslag­ern schindet - plötzlich ist er salonfähig.

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FOTO: REUTERS Donald Trump und Kim Jong Un im tropischen Garten des Hotels „Capella“auf der Insel Sentosa.

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