Rheinische Post Kleve

Ausgezeich­netes Forscherpa­ar

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s geht an Aleida und Jan Assmann.

FRANKFURT Man sollte sich Aleida und Jan Assmann als ein glückliche­s Paar vorstellen. Doch besser nicht im sisyphossc­hen Sinne, also nicht im Zeichen eines vergeblich­en Tuns, sondern in einer gemeinsame­n Forschertä­tigkeit, deren Nutzen bis heute fraglos wichtig geblieben ist. Auf eine Kurzformel gebracht lautet ihr kulturpoli­tischer Imperativ: Erinnere dich!

Nun werden beide mit dem Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s geehrt – traditione­ll im Oktober in der Paulskirch­e zu Frankfurt. Sie, die 71-jährige Anglistin aus Konstanz, er, der Heidelberg­er Ägyptologe (79). Natürlich ist die Ehrung auch ein Kommentar zur Zeit, zur Lage unserer Gesellscha­ft und was sie derzeit umtreibt und irritiert. Immer schon reagierte der Friedenspr­eis auf die Gegenwart und seine Erforderni­sse. Auch darum wird nach „Vogelschis­s“-Statements und Verharmlos­ungen der Shoah mit den Assmanns die Frage nach dem kulturelle­n Gedächtnis einer Nation wieder lauter gestellt.

„Sich erinnern“ist ein reflexives Verb. Es spiegelt immer den, der zurückblic­kt. Dadurch wird Gewese- nes gegenwärti­g; die Vergangenh­eit hat – in Anlehnung an Aleida Assmanns bekanntes Buch von 2006 – einen langen Schatten, der bis ins Jetzt reicht. Jede Rückschau ist darum auch politisch; das Erinnern wird dann zu einem Prozess, der aufzeigen kann, wie sich Einstellun­gen verändern können. Sie unterliege­n der Zeit und bedürfen so der Vergewisse­rung. Wenn etwa rechtspopu­listische Bewegungen an Kraft gewinnen und zunehmend Menschen nach Deutschlan­d kommen, die mit dem Holocaust nichts verbinden. Man dürfe aber, so Aleida Assmann, die Erinnerung­skultur „nicht ethnisiere­n“. Wenn die Erin- nerung an die Shoah in Deutschlan­d mit einem ethischen Imperativ verbunden ist, wenn es also zum Fundament unserer Gesellscha­ft gehört, dass so etwas nie passieren dürfe, dann muss es auch so etwas wie eine positive Integratio­n in die deutsche Erinnerung­skultur geben.

Eine gesellscha­ftliche Identität ist nie einfach so vorhanden. Sie muss immer erst hergestell­t werden, und ihr Fundus ist die Erinnerung. Dabei, so Aleida Assmann, sei es für eine Nation immer leichter, sich an Siege als an Niederlage­n zu erinnern. Und was nicht ins heroische Bild passt, wird oftmals der Vergangenh­eit preisgegeb­en. Noch schwerer ist, wie in Deutschlan­d, der Umgang mit Schuld und Scham. Ein positives kollektive­s Selbstbild lässt sich daraus kaum gewinnen.

Aleida und Jan Assmann sind ein großes Gelehrtenp­aar unserer Zeit, die sich in Fragen der Zeit einmischen und sich auch in der Flüchtling­sdebatte zu Wort melden. Nun werden sie in der Paulskirch­e ausgezeich­net, an der Wiege des deutschen Parlamenta­rismus. Dieser Gedächtnis­ort wird mit den Preisträge­rn zu einer Stätte, an der sich die Gesellscha­ft ihrer Verantwort­ung bewusst werden kann.

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FOTO: EPD Neue Friedenspr­eisträger: Aleida und Jan Assmann.

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