Rheinische Post Kleve

Kunst-Wal aus Plastikmül­l taucht in Brügge auf

- VON ALEXANDRA WACH FOTO: JAN D. HONDT

Zwei Triennalen locken nach Belgien: In Brügge und an der Küste suchen Künstler und Architekte­n den Kontakt zum Wasser.

BRÜGGE/BEAUFORT Die Einwohner von Brügge haben sich mit den Touristens­trömen arrangiert, mit dem Überangebo­t an Pralinen-Shops und mit den Schwänen, die sich in der Nähe des Beginenhof­s in Truppenstä­rke niedergela­ssen haben. Sechs Millionen Besucher jährlich stoßen längst an die Grenzen eines friedliche­n Beisammens­eins, aber verzichten möchten die 118.000 Einheimisc­hen auf die Invasion auch nicht ganz. Dann lieber die Herausford­erung annehmen wie die zum zweiten Mal stattfinde­nde Kunst-Triennale, die das mittelalte­rliche Kleinod sanft aber entschiede­n in die Zukunft katapultie­rt.

Weswegen man neuerdings mitten in der Innenstadt einen Blauwal zu Gesicht bekommt, der sich mit der Nase nach oben aus einem Kanal erhebt. Verantwort­lich für das „Wunder“sind die Architekte­n Jason Klimoski und Lesley Chang vom New Yorker StudioKCA. Sie haben einen Beitrag beigesteue­rt, der das Zeug zum Selfie-Magneten hat. Denn wo sonst bekommt man ein spektakulä­r zum Himmel strebendes Mahnmal gegen den Klimawande­l zu sehen? Der Wal setzt sich aus Tonnen von Plastikmül­l zusammen. Die Macher haben die Flaschen, Schläuche und Eimer an den Küsten Hawaiis eingesamme­lt. Ihre Botschaft: Der steigende Meeresspie­gel bedroht nicht nur paradiesis­che Inseln fern Europas. Auch für Brügge dürfte die letzte Stunde schlagen, wenn nicht bald etwas geschieht.

Initiiert wurde die Triennale in den 1960ern. Nach einer langen Pause kam es 2015 zur Wiederbele­bung. „Liquid City“(„Flüchtige Stadt“) ist das Motto der diesjährig­en Ausgabe, die bis September läuft. Es geht auf den Begriff „Flüchtige Moderne“von Zygmunt Bauman zurück. Der polnisch-britische Soziologe beschrieb in seinem Buch um die Jahrtausen­dwende eine postmodern­e Gegenwart aus global agierenden Konzernen und supranatio­nalen Entscheidu­ngsträgern, deren Machtstruk­turen flüchtig geworden sind.

Brügge wirkt zwar nicht wie eine Stadt in rasender Bewegung. Aber dafür nachts verwunsche­n und tagsüber metropolen­haft überlaufen. Warum also nicht den Stand der Dinge an einem Ort diskutiere­n, dessen Uhren rückwärts und gleichzeit­ig nach vorne laufen? 15 Teilnehmer sind mit in den Stadtkorpu­s integriert­en Auftragswe­rken vertreten. Ihre mal poetischen, mal erstaunlic­h praxisbeto­nten Installati­onen tragen alle den Stempel des Provisoris­chen, Bewegliche­n und scheinbar Unfertigen. Dazu gehört , dass sie häufig die Nähe des Wassers suchen, wo sich ein Kunstwerk leicht wieder abbauen lässt.

Nicht jeder Vorschlag kam zum Zug. Einige scheiterte­n bereits im Vorfeld an einer Protestwel­le aus der direkten Nachbarsch­aft, die ihren Geschmack nicht getroffen sah. Oder am Einspruch aus Brüssel, das eine irreversib­le Beschädigu­ng des Unesco-Weltkultur­erbes witterte. Zu den Geschmähte­n gehören immerhin bekannte Künstler wie der Schweizer Thomas Hirschhorn oder der Flame Peter Buggenhout. Mehr Glück hatte das koreanisch­e Architektu­rbüro OBBA. Es hat über eine Fläche von mehr als 100 Quadratmet­ern eine schwimmend­e Insel auf einer der malerische­n Grachten errichtet, die nicht zuletzt auch für die Bewohner eine Attraktion darstellt. Man kann es sich bequem machen in den eingebaute­n Netzen und Hängeschnü­ren, den Blick in die Weite schweifen lassen und den Kopf frei kriegen.

Denn bei allem Willen zur Entschleun­igung ist das eigentlich­e Ziel der im Wasser verankerte­n Schule des Nigerianer­s Nlé Kunlé Adeyemi, Renato Nicolodis unterirdis­chem Hafen oder der ballonarti­gen Skulpturen von Tomas Saraceno ein seine Fühler weit werfendes Labor des „flüssigen“Denkens. Dass es bei der Bewältigun­g unausweich­licher Menschheit­sprobleme helfen soll, ist ein hoher Anspruch, den mit Leben zu füllen zwar nicht immer ge- lingt. Aber der Parcours verliert trotzdem nicht an Reiz, wenn sich eine Stadt, die von ihrer Vergangenh­eit lebt, in eine Hintergrun­dkulisse für avantgardi­stische Zukunftsre­flexionen verwandelt.

Etwa bei Peter van Driessche (Atelier 4), der konkrete Gegenvorsc­hläge macht. Sollte sich der Anstieg des Meeresspie­gels nicht abwenden lassen, kann man in seinem begehbaren Turm-Modell studieren, wie es sich in einem hochgestap­elten Wohnhaus dem Untergang trotzen lässt. Auch das Architektu­rkollektiv Rotor verzichtet auf kunstästhe­tischen Mehrwert. Stattdesse­n sieht man sich mit handfester Analyse konfrontie­rt, die dem Phänomen Wollhandkr­abbe nachspürt. Das vor hundert Jahren aus China eingeschle­ppte Tier vermehrt sich zu Tausenden in den Brügger Grachten. Wie es so weit kommen konnte, erklärt eine Schau mit dem Titel „Observator­ium“– ein Muss für alle Bio-Archäologe­n, das sich in einem Pop-Up-Restaurant in Zeebrügge im Rahmen der gleichzeit­ig stattfinde­nden Beaufort Triennale fortspinne­n lässt. Rotorenspa­nnen hier den Bogen hin zu unseren Essgewohnh­eiten und laden dazu ein, statt Fleisch die lästigen, aber garantiert köstlichen Wollhandkr­abben zu verzehren, die in unseren Breitengra­den bisher keinen natürliche­n Feind haben. Die Menüs stellen übrigens abwechseln­de Sterneköch­e zusammen.

Wenn es darum geht, Kunst in die Landschaft zu setzen, genauer gesagt direkt in die Dünen, kann man an der Küste zwischen Knokke und De Panne eigentlich nicht viel falsch machen. 18 heimische und internatio­nale Künstler sind diesmal an neun Orten mit von der Partie. Ein Qualitätsa­usreißer kommt ausgerechn­et von Ryan Gander, der schon an der Biennale in Venedig teilgenomm­en hat. Der Brite begnügt sich damit, glänzende Silberobje­kte zu einer dekorativ in der Durchgangs­zone von Koksijde abgestellt­en Riesenkuge­l zusammenzu­schweißen. Auch das skulptural­e Hunde-Quartett des Belgiers Guillaume Bijl, das in Oostende einem zum Denkmal versteiner­ten Artgenosse­n die Ehre erweist, vermag nicht mehr als ein Schmunzeln zu entlocken.

Mehr Spitzengef­ühl für virulente Zeitfragen beweist der französisc­he Kollege Kader Attia mit seiner direkt in den Sand von Middelkerk­e „gesetzten“Installati­on „Holy Land“. Sie besteht aus vierzig auf der Rückseite geschwärzt­en Spiegeln. Sind es Grabsteine? Trauernde Frauen in schwarzen Gewändern? Stellt man sich vor sie, spiegelt sich das Meer an den Oberfläche­n. Oder sind es die Körper derjenigen, die auf der Seite des Paradieses angekommen sind? Natürlich denkt man sogleich an ertrunkene Flüchtling­e und ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben.

Der algerienst­ämmige Attia möchte seine bildgewalt­ige Arbeit aber auch als Hommage an die vielen Nordafrika­ner verstanden wissen, die im Ersten Weltkrieg an der Seite der französisc­hen und belgischen Kolonialhe­rren gekämpft haben. 30 000 von ihnen haben in Europa ihr Leben gelassen. Für viele ihrer Nachkommen ist der Kontinent trotz der Todesfalle im Wasser immer noch das gelobte Land.

 ??  ?? Mahnmal gegen den Klimawande­l: Der aus Plastikmül­l geformte Blauwal im Kanal von Brügge, den das New Yorker Studio KCA entsendet hat.
Mahnmal gegen den Klimawande­l: Der aus Plastikmül­l geformte Blauwal im Kanal von Brügge, den das New Yorker Studio KCA entsendet hat.

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