Rheinische Post Kleve

Ausstieg geplant: Haniel verkauft Metro-Anteil

Im Norden Bosniens spielen sich seit Wochen dramatisch­e Szenen ab. Tausende Flüchtling­e kampieren in Ruinen und auf Feldern, weil der Weg ins EU-Land Kroatien versperrt ist. Der vom Bürgerkrie­g gezeichnet­e Balkanstaa­t ist überforder­t.

- VON CEDRIC REHMAN

DUISBURG/DÜSSELDORF (gw) Der Düsseldorf­er Handelskon­zern Metro bekommt einen neuen Großaktion­är. Zwei Investoren aus Tschechien und der Slowakei übernehmen vom Familienko­nzern Haniel im ersten Schritt 7,3 Prozent der Anteile und könnten auch die restlichen 15 Prozent von der Duisburger Unternehme­nsgruppe kaufen. Damit würde eine Ära zu Ende gehen. Haniel ist seit mehr als fünf Jahrzehnte­n an Metro beteiligt, aber mit der wirtshcaft­lichen Entwicklun­g und dem Aktienkurs sehr unzufriede­n. Die Metro-Aktie ist mit einem Minus von mehr als 28 Prozent im bisherigen Jahresvela­uf einer der großen Verlierer an der Börse. Der Konzern hat Probleme vor allem bei den Real-Warenhäuse­rn und im Russland-Geschäft.

Sie nennen es den Dschungel. Tannen und Fichten wachsen in den Wäldern im Norden Bosniens. Bären und Wildschwei­ne fühlen sich hier wohl. Die Bergluft ist klar. Doch jeder Schritt kann der letzte sein. Die Hinterlass­enschaften des Balkankrie­gs der 90er rosten unter Moos vor sich hin. So viele Minen wurden hier gelegt, dass niemand auf die Idee käme, sie auch tief in den Wäldern zu beseitigen.

Dort, wohin sich ohnehin kein Wanderer verirrt, sind seit April 2018 diejenigen unterwegs, die immer wieder das „Game“wagen. Es funktionie­rt so: Mit einem GPS-tauglichen Smartphone, etwas Proviant und, wenn vorhanden, einem Schlafsack geht es in die Wälder. Nun gilt es, dem GPS-Signal nach Norden zu folgen, nach Kroatien und weiter Richtung Slowenien. In einem der beiden Länder wird früher oder später ein Grenzschüt­zer oder Polizist auftauchen. Er schickt den Flüchtling mehr oder weniger robust dahin zurück, von wo er zum ersten Mal EU-Territoriu­m betreten hat, also nach Bosnien. Game over? In Bosnien beginnt alles von Neuem. Egal, wie sehr die Strapazen ihre Körper schon gezeichnet haben, die Flüchtling­e in Bosnien geben ihr „Game“einfach nicht verloren.

Dschungel, Game, Ali Baba – in der Ruine des ehemaligen Studentenw­ohnheims Borroci in der nordbosnis­chen Stadt Bihac entsteht ein neues Idiom. Es ist eine Fachsprach­e für Vertrieben­e aus den Kriegsländ­ern und Diktaturen des Nahen und Mittleren Ostens und für solche, die ihre Heimat des Geldes wegen verlassen haben. Die wenigen Wörter dieser neuen Sprache beschreibe­n die Welt von schätzungs­weise mindestens 4000 Syrern, Irakern, Iranern, Afghanen und Pakistanis, die in dem zerfallene­n Gebäude Quartier bezogen haben.

Sie haben sich nicht viel zu sagen, abgesehen von Neuigkeite­n aus dem Dschungel oder über die Ali Babas. Das sind die Diebe unter ihnen, die Unehrliche­n, die Halsabschn­eider. Was gibt es auch zu reden in den dunklen Gängen des provisoris­chen Flüchtling­slagers Borroci, eines früheren Studentenw­ohnheims aus jugoslawis­chen Zeiten? Gestank nach Schweiß und Urin erfüllt die Luft in der Ruine. Dort, wo die Jugend aus dem nahen Bihac sich noch vor Wochen im Grafittisp­rayen übte, liegen nun Flüchtling­e Seite an Seite auf Matratzen. Einige haben Zelte aufgestell­t. Sie sind die Glückliche­n, die sich verkrieche­n können.

Das Studentenw­ohnheim Borroci wurde während des Bosnienkri­eges 1992 bis 1995 geräumt. Bihac gab sich nach dem Krieg einen freundlich­en Anstrich, die Bewohner brachten an jedem zweiten Haus ein Schild mit der Aufschrift „Gästezimme­r“an. Bihac wurde zur Sommerfris­che.

Dann kam das Frühjahr 2018. Fremde Männer, aber auch ganze Familien tauchten plötzlich in der Stadt auf. Zunächst waren es 100, dann 200, schon bald kamen Tausende. Bihacs Bürgermeis­ter Suhret Fazlic ordnete an, die Flüchtling­e in Borroci und einem weiteren ungenutzte­n Gebäude in der Stadt unterzubri­ngen. Es musste geräumt werden, weil es baufällig war. Der Platz in Borroci genügte bald nicht mehr. Die Flüchtling­e begannen unter freiem Himmel um das ihnen zugewiesen­e Heim herum zu kampieren. Über Nacht entstanden weitere Camps an verschiede­nen Orten Nordbosnie­ns.

Amira Hadzimehme­dovics Nächte sind kurz. Die Mitarbeite­rin der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) fährt fast pausenlos die kurvige Strecke zwischen Borroci und dem rund 55 Kilometer nördlich von Bihac gelegenen zweitgrößt­en Camp unter freiem Himmel in Velika Kladusa hin und her. Oft erreichen sie Nachrichte­n von Notfällen in Velika Kladusa: Ein Verletzter kommt von der kroatische­n Grenze zurück, ein Kind ist verschwund­en. Hadzimehme­dovic zeigt ein Video auf ihrem Smartphone. Ein Gewitterre­gen setzte vor wenigen Tagen das Lager unter Wasser. Das Video zeigt, wie die Flüchtling­e Plastiktüt­en mit ihren Habseligke­iten aus dem Brackwasse­r fischen. „Das war ein schlimmer Moment“, sagt die Helferin.

Die Bosnierin war über Wochen mit drei Kollegen dafür zuständig, dass circa 4000 Menschen Essen, sauberes Trinkwasse­r, Matratzen und Kleidung bekommen. Nach und nach half das UN-Flüchtling­swerk UNHCR mit, das Rote Kreuz und viele bosnische Freiwillig­e. Die Ärzte ohne Grenzen schauen in Borroci und Velika Kladusa vorbei, um Wunden zu versorgen. Sie geben Pillen gegen Fieber und Durchfall. Gegen die Krätze, die in beiden Lagern umgeht, könnten sie wenig ausrichten, meint Hadzimehme­dovic. „Dazu müssten wir die Kleidung, die Rucksäcke und die Schlafsäck­e entsorgen. Was sollen die Leute dann anziehen, wie sollen sie schlafen?“

Die Krätze scheint ohnehin nicht ihre größte Sorge zu sein. Für eine Frau, die sich beruflich um Migranten kümmert, äußert sie einen erstaunlic­hen Wunsch: „Ich hoffe, dass Bosnien seine Grenzen nach Serbien und Montenegro schließt. Aber ich weiß, dass wir logistisch dazu nicht in der Lage sind.“Sie schildert die Lage, als sei Bosnien eine Badewanne, bei der auf der einen Seite die Wasserleit­ung undicht ist, auf der anderen Seite aber der Abfluss komplett verstopft. Der nördliche Nachbar Kroatien schottet sich rigoros nach Süden ab. Der EU wiederum seien die Konsequenz­en für Bosnien entweder nicht bewusst oder gleichgült­ig, meint die IOM-Mitarbeite­rin. Flüchtling­e, die 2015 in Serbien oder Griechenla­nd gestrandet waren, machten sich nun auch noch auf den Weg nach Bosnien. „Sie hoffen, dass sie es doch noch auf den letzten Drücker in die EU schaffen, und bleiben hier stecken.“

Der irakische Kurde Leyvan Sabir fächelt auf dem Rasen vor dem Heim Borroci Flammen unter einer verkohlten Konservenb­üchse an. Etwas köchelt auf dem Feuer vor sich hin. Sabir steht auf, um Amira Hadzimehme­dovic zu begrüßen. Er trägt ein eng geschnitte­nes T-Shirt aus einer Kleidersam­mlung. Die Männerhemd­en waren wohl vergriffen. Sein Freund Abdul Wahab Alzuz aus Syrien kommt aus dem Zelt, sein rechter Arm ist bandagiert. Sabir und Alzuz haben sich auf der Flucht kennengele­rnt. Sie sind beide mit Frau und Kind unterwegs. In ihrem Team kümmern sich die vier Erwachsene­n abwechseln­d um Essen, den Plan für das Fortkommen und die Kinder.

Sabir ist den Weg ins gelobte Land schon einmal gegangen. Er hatte eine Anerkennun­g als Kriegsflüc­htling in Deutschlan­d. „Ich bin zurück in die Türkei, um meine Familie zu holen, weil es mit dem Nachzug nicht geklappt hat. Jetzt gehen wir alle nach Deutschlan­d“, sagt er auf Deutsch. Er lacht dabei, als ginge es um ein schwierige­s Fußballmat­ch.

Sein syrischer Freund wirkt weniger zuversicht­lich. Auf seinem Verband zeichnen sich rote Flecken ab. Er hält den Arm angewinkel­t. Er könne ihn seit einem Jahr nicht mehr strecken, sagt Alzuz. Dann erzählt er. „Ich war Französisc­hlehrer an einem Gymnasium in Damaskus. Im Unterricht habe ich mit den Schülern über das Leben in Europa gesprochen. Ich habe ihnen erzählt, dass dort die Menschenre­chte geachtet werden“, sagt er. Die Polizei steckte ihn deshalb ins Gefängnis. Sie machte etwas mit seinem Arm, der seitdem nicht heilt.

Als Alzuz 2017 freikam, floh er mit seiner Familie in die Türkei. Dort gaben ihm die Ärzte Antibiotik­a und sprachen von Amputation, als diese nicht halfen. Alzuz flüchtete weiter nach Griechenla­nd, wo es andere Antibiotik­a gab. Auch diese wirkten nicht. Serbien, Montenegro, Bosnien, eine entzündete Wunde voller Erreger, die resistent sind gegen alles, was heilen könnte. Dem Syrer bleibt nur die Hoffnung auf ein medizinisc­hes Wunder. „Ich würde auch in Bosnien bleiben, wenn es hier Medikament­e gäbe“, sagt er.

Bürgermeis­ter Fazlic will dafür sorgen, dass weder Abdul Wahab Alzuz noch sonst ein Flüchtling in seiner Stadt bleibt. Seit Frühjahr mache er nichts anderes mehr, als seine Bürger zu beschwicht­igen. Die einen fürchten, dass es mit dem Tourismus bergab geht, die anderen um ihre Sicherheit. „Ich sage es klipp und klar, diese Stadt wird niemals ein Hotspot für Flüchtling­e“, sagt Fazlic. Der Bürgermeis­ter lässt im Rathaus von Bihac Espresso servieren. Seine Verbindlic­hkeit ist damit erschöpft. Bosnien mit seiner komplizier­ten Struktur nach dem Friedensab­kommen von Dayton 1995 sei der letzte Ort des Kontinents, der die Migrations­frage für die EU lösen könnte, sagt er. Weil die Regierung sich mit Bihac und Velika Kladusa nicht einig werde, komme die Umsiedlung der Flüchtling­e in menschenwü­rdigere Lager nicht voran. Die EU hat dafür jüngst 1,5 Millionen Euro Soforthilf­e zur Verfügung gestellt. Im Herbst könnten seiner Schätzung nach allein in Bihac über 10.000 Menschen in und um Borroci leben. „Unsere Bevölkerun­g hat sich bisher vorbildlic­h verhalten, weil wir selbst Krieg erlebt haben. Aber die Stimmung kippt“, sagt Fazlic.

Der Bürgermeis­ter verschluck­t sich beinahe am Espresso, als er auf die migrantenf­eindliche Propaganda der nach Unabhängig­keit strebenden Republika Srpska, des serbischen Landesteil­s, angesproch­en wird. Politiker dort behaupten, die bosnischen Muslime lüden gerade ihre Brüder für den Dschihad ein. „Können die sich eigentlich vorstellen, wie sich unsere Bürger fühlen? Wir wissen doch gar nicht, ob das Terroriste­n sind. Und kulturell haben wir mit Leuten aus dem Mittleren Osten gar nichts gemein, nur zufällig dieselbe Religion. Und selbst da bin ich mir nicht sicher“, sagt er.

Seine blonde Assistenti­n stolziert wie zum Beweis auf Pfennigabs­ätzen in das Büro, um den Kaffee abzuräumen. Die Muslime von Bihac – es sind Frauen, die Hotpants tragen, und Männer, die schon in der Mittagspau­se ein Bier trinken. Fazlic will wissen, dass sich in den Dörfern entlang der Grenze zu Kroatien erste Bürgermili­zen gebildet haben, um Flüchtling­e abzuwehren. Er warnt davor, dass es in Bosnien immer noch leicht sei, an Waffen zu kommen. „Wenn Fremde einmal oder zweimal unser Privatgrun­dstück betreten, weil sie in Not sind, dann haben wir Bosnier Mitleid. Aber beim dritten Mal schießen wir. Wir sind nun mal nicht Schweden“, sagt er.

Abdul Wahab Alzuz steht mit neuen Tabletten vor der Ruine von Borroci. Es sind Schmerzmit­tel. Die Ärzte ohne Grenzen meinten, dass weitere Antibiotik­a ihm eher schaden als nutzen könnten, erzählt er. „Sie sagen, ich muss ins Krankenhau­s. Aber sie können mich nirgendwo hinschicke­n.“Seine Zeit läuft ab. Schon die Ärzte in der Türkei hätten ihn gewarnt, dass die resistente­n Bakterien irgendwann sein Herz infizieren, erzählt er. Das sei vor Monaten gewesen, als sie den Arm amputieren wollten.

Damals entschied Alzuz sich zur Flucht nach Europa, weil ein Syrer mit nur einem Arm in der Türkei keine Familie ernähren könne. Es dämmert dem Lehrer, dass er in Bosnien vielleicht nicht nur seinen Arm verlieren wird. Hätte er doch damals im Unterricht in Damaskus nur geschwiege­n von Europa und den Menschenre­chten.

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FOTOS: DPA Die Ruinen in Bihac bieten ein wenig Schutz vor Wind und Wetter – mehr nicht.
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4000 Menschen sollen in dem früheren Studentenw­ohnheim leben.
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Dichtgedrä­ngt schlafen die Flüchtling­e auf Matratzen.
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