Ein digitaler Zwilling vom Fachwerkhaus
Die Werkstatt von Erasmus Drücker restauriert Gebäude nicht nur, sondern vermisst jede Ecke – mit modernster 3D-Technik.
RIETBERG Über das Handwerk gibt es so einige Vorurteile. Allen voran: Körperliche Anstrengung. Das sind richtige Knochenjobs, jeden Tag. Und meist lebt das Gewerbe von der Tradition. Die Baudenkmalpflege besonders. Das ist ja per Definition keine moderne Branche. Dort wird in uralten Bauten gesägt, geschraubt, gehämmert, in Kirchen werden Fenster und Türen ersetzt, die Dächer neu gedeckt – und das alles, damit es wieder so aussieht wie früher. Aber es gibt sie, die Betriebe, die an die Zukunft denken und mit der Technik von morgen arbeiten.
Etwa die Fachwerkstatt Drücker. Die Handwerker aus Rietberg restaurieren alte Gemäuer nicht bloß, sie scannen Raum für Raum und gießen die Daten am Computer in ein 3D-Modell. Das zeigt genau, wo saniert werden muss.
„Wir erstellen einen digitalen Zwilling der Gebäude“, sagt Birgit Kostner, Leiterin des Bereichs Digitale 3D Aufmaße der Werkstatt. Die 46-Jährige ist gelernte Holzbildhauermeisterin und Grafikdesignerin, neben einem Kurs an der Technischen Universität in München hat sie sich einen Großteil der Kenntnisse über die 3D-Messung selbst beigebracht. Das war vor vier Jahren. Damals entschied Erasmus Drücker, der die Werkstatt 1993 eröffnete, neue Wege zu gehen. „Bei unserer Arbeit haben wir es oft mit alten, verfallenen Fachwerkhäusern zu tun. Um Investoren zu finden, kamen wir auf die Idee, die Gebäude zu visualisieren, damit man sich die geplante Sanierung auch bildlich vorstellen kann“, sagt Kostner. Seitdem sei die Technik in der Branche massiv nachgefragt, die Aufträge bei Drücker stiegen enorm. Vielerorts sei gar nicht bekannt, dass eine solche 3D-Messung überhaupt möglich sei. „Mittlerweile bekommen wir sogar Anfragen aus der Industrie, Gebäude mit unserer Ausrüstung zu vermessen“, sagt Kostner. Vom Mausoleum bis zur Lagerhalle sei alles dabei.
Doch wie funktioniert die Technik überhaupt? „Grob gesagt haben wir zwei Möglichkeiten: ein Gebäude entweder von innen oder von außen zu messen“, sagt Kostner. Draußen kommt eine Drohne zum Einsatz, die um die Mauern kreist, in den Räumen ein Laserscanner, der so genannte Flexijet. „Der Vorteil: Die Geräte übertragen die Daten sofort in eine Datei am Laptop“, sagt Kostner. Digital wird dann ein dreidimensionales 360-Grad-Modell erzeugt, auch Möbel können anschließend hinzugefügt werden. „Das geht recht schnell. Für ein gewöhnliches Fachwerkhaus brauchen wir etwa einen Tag“, sagt Kostner. Große Sakralbauten wie die evangelische Landeskirche in Hannover, die Drücker saniert hat, benötigen aber schon mal bis zu sechs Wochen.
Und dann beginnt für die Handwerker aus Rietberg die eigentliche Arbeit. „Natürlich restaurieren wir die Bauten auch selbst, daran hat sich nichts geändert“, sagt Kostner. Und zwar alles aus einer Hand. Drücker beschäftigt im Unternehmen, das unter anderem auch Standorte in Basel und Stuttgart unterhält, insgesamt 45 Mitarbeiter. Tischler, Maurer, Dachdecker, Bildhauer, sogar ein eigenes Sägewerk gibt es. „Es gibt quasi nichts, was wir bei der Restaurierung nicht selbst durchführen können“, sagt Kostner.
Mittlerweile, so die Expertin, sei es sogar möglich, fast jedes Gebäude wieder instand zu setzen. „Natürlich gibt es auch Fälle, die wirtschaftlich keinen Sinn machen oder wo die Substanz einfach viel zu schlecht ist, aber das ist die Ausnahme.“Besonders in Nordrhein-Westfalen, wo in vielen Häusern Eichenholz steckt, gebe es kaum Probleme bei der Restaurierung. Dann können die Häuser auch mal sehr alt sein.
„Unser ältestes Objekt war ein Gebäude aus dem Jahr 1645, aber wir haben eigentlich keine Grenze nach unten“, sagt Kostner. Neben öffentlichen Aufträgen gibt es immer mehr
Privatkunden, die sich an Drückers Werkstatt wenden, weil sie einen verstaubten Bau wieder auf Vordermann bringen wollen – meist ist das genauso teuer wie ein Neubau, nur eben charmanter.
Der Wandel, den Drücker und seine Kollegen vor vier Jahren angestoßen haben, hat einiges verändert. Zum Beispiel die Sorgen um Nachwuchs. In der Branche sind Fachkräfte rar, gute ohnehin. „Wir haben es geschafft, junge Leute an uns zu binden“, sagt Kostner. Und sie bleiben. Vorurteile haben sie nicht.