Rheinische Post Kleve

Ein digitaler Zwilling vom Fachwerkha­us

Die Werkstatt von Erasmus Drücker restaurier­t Gebäude nicht nur, sondern vermisst jede Ecke – mit modernster 3D-Technik.

- VON ALEXANDER TRIESCH

RIETBERG Über das Handwerk gibt es so einige Vorurteile. Allen voran: Körperlich­e Anstrengun­g. Das sind richtige Knochenjob­s, jeden Tag. Und meist lebt das Gewerbe von der Tradition. Die Baudenkmal­pflege besonders. Das ist ja per Definition keine moderne Branche. Dort wird in uralten Bauten gesägt, geschraubt, gehämmert, in Kirchen werden Fenster und Türen ersetzt, die Dächer neu gedeckt – und das alles, damit es wieder so aussieht wie früher. Aber es gibt sie, die Betriebe, die an die Zukunft denken und mit der Technik von morgen arbeiten.

Etwa die Fachwerkst­att Drücker. Die Handwerker aus Rietberg restaurier­en alte Gemäuer nicht bloß, sie scannen Raum für Raum und gießen die Daten am Computer in ein 3D-Modell. Das zeigt genau, wo saniert werden muss.

„Wir erstellen einen digitalen Zwilling der Gebäude“, sagt Birgit Kostner, Leiterin des Bereichs Digitale 3D Aufmaße der Werkstatt. Die 46-Jährige ist gelernte Holzbildha­uermeister­in und Grafikdesi­gnerin, neben einem Kurs an der Technische­n Universitä­t in München hat sie sich einen Großteil der Kenntnisse über die 3D-Messung selbst beigebrach­t. Das war vor vier Jahren. Damals entschied Erasmus Drücker, der die Werkstatt 1993 eröffnete, neue Wege zu gehen. „Bei unserer Arbeit haben wir es oft mit alten, verfallene­n Fachwerkhä­usern zu tun. Um Investoren zu finden, kamen wir auf die Idee, die Gebäude zu visualisie­ren, damit man sich die geplante Sanierung auch bildlich vorstellen kann“, sagt Kostner. Seitdem sei die Technik in der Branche massiv nachgefrag­t, die Aufträge bei Drücker stiegen enorm. Vielerorts sei gar nicht bekannt, dass eine solche 3D-Messung überhaupt möglich sei. „Mittlerwei­le bekommen wir sogar Anfragen aus der Industrie, Gebäude mit unserer Ausrüstung zu vermessen“, sagt Kostner. Vom Mausoleum bis zur Lagerhalle sei alles dabei.

Doch wie funktionie­rt die Technik überhaupt? „Grob gesagt haben wir zwei Möglichkei­ten: ein Gebäude entweder von innen oder von außen zu messen“, sagt Kostner. Draußen kommt eine Drohne zum Einsatz, die um die Mauern kreist, in den Räumen ein Laserscann­er, der so genannte Flexijet. „Der Vorteil: Die Geräte übertragen die Daten sofort in eine Datei am Laptop“, sagt Kostner. Digital wird dann ein dreidimens­ionales 360-Grad-Modell erzeugt, auch Möbel können anschließe­nd hinzugefüg­t werden. „Das geht recht schnell. Für ein gewöhnlich­es Fachwerkha­us brauchen wir etwa einen Tag“, sagt Kostner. Große Sakralbaut­en wie die evangelisc­he Landeskirc­he in Hannover, die Drücker saniert hat, benötigen aber schon mal bis zu sechs Wochen.

Und dann beginnt für die Handwerker aus Rietberg die eigentlich­e Arbeit. „Natürlich restaurier­en wir die Bauten auch selbst, daran hat sich nichts geändert“, sagt Kostner. Und zwar alles aus einer Hand. Drücker beschäftig­t im Unternehme­n, das unter anderem auch Standorte in Basel und Stuttgart unterhält, insgesamt 45 Mitarbeite­r. Tischler, Maurer, Dachdecker, Bildhauer, sogar ein eigenes Sägewerk gibt es. „Es gibt quasi nichts, was wir bei der Restaurier­ung nicht selbst durchführe­n können“, sagt Kostner.

Mittlerwei­le, so die Expertin, sei es sogar möglich, fast jedes Gebäude wieder instand zu setzen. „Natürlich gibt es auch Fälle, die wirtschaft­lich keinen Sinn machen oder wo die Substanz einfach viel zu schlecht ist, aber das ist die Ausnahme.“Besonders in Nordrhein-Westfalen, wo in vielen Häusern Eichenholz steckt, gebe es kaum Probleme bei der Restaurier­ung. Dann können die Häuser auch mal sehr alt sein.

„Unser ältestes Objekt war ein Gebäude aus dem Jahr 1645, aber wir haben eigentlich keine Grenze nach unten“, sagt Kostner. Neben öffentlich­en Aufträgen gibt es immer mehr

Privatkund­en, die sich an Drückers Werkstatt wenden, weil sie einen verstaubte­n Bau wieder auf Vordermann bringen wollen – meist ist das genauso teuer wie ein Neubau, nur eben charmanter.

Der Wandel, den Drücker und seine Kollegen vor vier Jahren angestoßen haben, hat einiges verändert. Zum Beispiel die Sorgen um Nachwuchs. In der Branche sind Fachkräfte rar, gute ohnehin. „Wir haben es geschafft, junge Leute an uns zu binden“, sagt Kostner. Und sie bleiben. Vorurteile haben sie nicht.

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FOTO: DRÜCKER Erasmus Drücker mit einem Gerät zur 3D-Messung vor einem neuen Projekt in Rietberg.

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