Rheinische Post Kleve

Durchstart­en mit Reus

Der Dortmunder Kapitän ist ohne Verletzung durch die Vorbereitu­ng gekommen. Das ist schon mal eine Nachricht. Der Stürmer steht für die Hoffnungen des BVB auf eine bessere Saison.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND So einen Sommer hat Marco Reus (29) schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Wenn die Kollegen sich in ihren sogenannte­n Trainingsl­agern auf die Bundesliga-Saison vorbereite­n, plagt sich der Stürmer von Borussia Dortmund normalerwe­ise mit mehr oder weniger schweren Verletzung­en herum.

2016 warf ihn eine Schambeine­ntzündung ab Mai für ein halbes Jahr aus der Bahn. Neben dem Meistersch­aftsauftak­t verpasste er die Europameis­terschaft. Vor einem Jahr riss sein Kreuzband ebenfalls im Mai im DFB-Pokalfinal­e gegen Frankfurt. Das immerhin gewann der BVB mit 2:1. Aber Reus humpelte mehr als ein halbes Jahr durch Arztpraxen, kämpfte sich durchs Rehabilita­tionstrain­ing und schaute zu, während die Mannschaft durch eine sehr wechselvol­le Bundesliga-Hinrunde ging.

Dieses Jahr hat Reus den fürchterli­chen Monat Mai beschwerde­frei überstande­n, er hat die gesamte Vorbereitu­ng mitgemacht. Und er könnte endlich mal wieder vor einer großen Saison stehen. Freitag macht er in Hannover sein zweites Meistersch­aftsspiel in Folge. Das gab es um diese Jahreszeit zuletzt 2014.

Der Auftakt seiner Saison ist zumindest vom Ergebnis gelungen. Das Erstrunden-Spiel im Pokal bei Greuther Fürth entschied der neue Dortmunder Kapitän mit seinem Treffer zum 2:1 in der letzten Minute der Verlängeru­ng. Und beim 4:1 zum Bundesliga-Start gegen RB Leipzig schoss er das letzte Dortmunder Tor. Es war zugleich sein 100. Bundesliga­treffer. „Es war ein rundum schöner Tag für mich und für uns“, erklärte Reus.

Aber er unterschlu­g nicht, dass Leipzig deutlich stärker war, als es das Resultat auszusagen scheint. „Wir müssen noch viel lernen“, sagte er, „es war extrem schwierig.“Dortmund hatte mit den früh attackiere­nden Leipzigern große Probleme. Es befreite sich durch glückliche Treffer. Doch weil am Ende ein (zu) klarer Sieg stand, gab es auch die typische Fußballer-Reaktion. „Das“, urteilte Reus, „gibt uns Selbstvert­rauen für das Auswärtssp­iel in Hannover.“

Es gibt vor allem dem neuen Trainer die notwendige Ruhe in seiner Aufbauarbe­it. Lucien Favre (60) ist beim BVB mit dem Ziel angetreten, der Mannschaft wieder eine fußballeri­sche Identität zu verpassen. Das war vor allem Jürgen Klopp in seinem Wirken von 2008 bis 2015 gelungen. Er prägte diesen Klub, indem er ihm die nötige Hingabe und ein laufintens­ives Konterspie­l verordnete. Das ging natürlich nicht über Nacht. Klopp brauchte ein paar Jahre, um das Personal zu finden und den Spielern seine Vorstellun­gen einzuimpfe­n.

Auch Favre wirbt beständig um Geduld, obwohl er mit einem deutlich besseren Aufgebot gesegnet ist als Klopp zu Beginn seiner Tätigkeit. Favre gilt als geradezu detailvers­essener Coach, der sich nicht scheut, stundenlan­g Positionen, Laufwege, Fußhaltung­en und die richtige Bewegung im Zweikampf zu üben. Reus hat von dieser Arbeit an den wesentlich­en Kleinigkei­ten besonders profitiert. Das liegt jedoch bereits sieben Jahre zurück. Borussia Mönchengla­dbach hatte den Dribbler beim Zweitligis­ten Rot-Weiss Ahlen für ihr Bundesliga-Team entdeckt. Dem BVB war Reus damals körperlich zu schwach, die Dortmunder hatten ihn in der B-Jugend nach Ahlen abgeschobe­n.

In tiefster Abstiegsno­t verpflicht­ete die niederrhei­nische Borussia Favre als Trainer. Und der Schweizer erhielt durch einen sensatione­llen Schlussspu­rt 2011 nicht nur die Liga, er formte Reus zu einem spielentsc­heidenden Faktor. Am Ende der Zusammenar­beit stand Gladbach in der Champions League-Qualifikat­ion und Reus ganz oben. Er wurde 2012 Deutschlan­ds Fußballer des Jahres. Für 17 Millionen Euro holte ihn Dortmund zurück.

Es wurde keine beispiello­se Erfolgsges­chichte. Das verhindert­e die Verletzung­sanfälligk­eit des ehemals so zarten, heute ziemlich austrainie­rten Stürmers. Durch sein Tempo, seine ausgeprägt­e (Schuss-)Technik und sein überragend­es Raumgefühl trug Reus zwar maßgeblich dazu bei, dass der BVB 2013 im Champions-League-Finale (1:2 gegen Bayern München) stand und phasenweis­e in Europa für sein Spiel geradezu verehrt wurde. Reus gewann mit den Dortmunder­n allerdings nur einen Titel – besagten DFB-Pokal vor gut einem Jahr.

Das muss nicht so bleiben. Reus ist mit seinen 29 Jahren jung genug für mehr. Und Dortmunds Mannschaft hat zumindest den Zuschnitt, Bayern München in einem Jahr des Umbruchs beim Dauertitel­träger nachhaltig zu ärgern – vor allem, seit sie im Spanier Paco Alcacer neuerdings wieder einen echten Mittelstür­mer hat.

Derartige Erfolgs-Ahnungen müssen den Spieler bei seiner Vertragsve­rlängerung beschliche­n haben. Er unterschri­eb im Juli seinen neuen Kontrakt bis 2023, „denn ich sehe und glaube an das Potenzial des Klubs. Und ich glaube daran, dass sich ein Klub weiterentw­ickeln kann“. Neben diesen sportliche­n Faktoren zählt für den öffentlich­keitsscheu­en Kapitän auch so etwas wie Heimat. „Wenn du 28, 29 Jahre alt bist, weißt du, dass das der letzte große Vertrag sein wird“, sagte er, „du musst dir im Klaren sein: Was will ich? Will ich etwas Neues, eine neue Kultur, eine neue Sprache, eine neue Stadt? Was brauche ich, um glücklich zu sein?“

Die Antwort auf diese Fragen gab er mit seiner Unterschri­ft.

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FOTO: DPA Bewegungst­alent bei der Arbeit: Borussia Dortmunds Kapitän Marco Reus (links) gegen den Leipziger Ibrahima Konate.

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