Rheinische Post Kleve

Keine Angst vor der unbekannte­n Uni

Nur wenige junge Leute aus Nicht-Akademiker­familien schaffen es hierzuland­e an eine Hochschule. Einige Projekte wollen das ändern.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Düsseldorf Sie sind mit Begriffen wie Audimax, Credit Points oder cum tempore nicht vertraut, wissen gar nicht, wie groß die Fächerviel­falt ist, und fürchten vor allem finanziell­e Hürden: Obwohl in Deutschlan­d immer mehr junge Leute studieren, schaffen es diejenigen, deren Eltern nicht an der Uni waren, deutlich seltener an die Hochschule­n. Von 100 Kindern aus Akademiker-Familien studieren 79. Haben beide Eltern keinen Hochschul-Abschluss, sind es nur 27. Das geht aus aktuellen Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenscha­ftsforschu­ng (DZHW) hervor. An deutschen Unis sind Akademiker in zweiter und dritter Generation damit klar überrepräs­entiert. Die Gründe für das Ungleichge­wicht sind vielfältig, so die Forscher. Einer davon: Eltern, die selbst keine Hochschul-Erfahrung haben, überschätz­en oft die Kosten für höhere Bildung – und unterschät­zen gleichzeit­ig deren Ertrag. Außerdem mangelt es oft an Vorbildern in der Familie und Informatio­nen. Um diese Defizite auszugleic­hen, gibt es in NRW und deutschlan­dweit Projekte, die sich speziell um Schüler aus Nicht-Akademiker­familien bemühen:

Arbeiterki­nd.de

Arbeiterki­nd.de ist eine bundesweit­e Initiative, die Schüler aus nicht-akademisch­en Familien zur Aufnahme eines Hochschuls­tudiums ermutigen und vom Studienein­stieg bis zum erfolgreic­hen Abschluss unterstütz­en möchte. Die Idee stammt von Katja Urbatsch, selbst die erste Akademiker­in in ihrer Familie, heute promoviert­e Geschäftsf­ührerin von Arbeiterki­nd.de. Das Ganze funktionie­rt so: Lokale Mentoren engagieren sich in 75 lokalen Gruppen an Hochschule­n vor Ort. Sie informiere­n Schüler über die Möglichkei­t eines Studiums. Die Ehrenamtli­chen sind selbst Studenten oder Akademiker der ersten Generation, berichten aus eigener Erfahrung über ihren Bildungsau­fstieg und ermutigen als persönlich­es Vorbild. In einer E-Mail wenden sich die Schüler an Arbeiterki­nd.de und fragen beispielsw­eise, ob sie sich überhaupt ein Studium zutrauen sollten. Dann meldet sich jemand aus der Gruppe vor Ort und kümmert sich – das kann von mehreren Mails über Telefonate bis hin zu einem persönlich­en Treffen samt Campus-Besuch reichen.

Die Mentoren wollen Selbstvert­rauen geben und Unsicherhe­iten nehmen. Dazu gehört auch, Argumente zu finden, mit denen studienske­ptische Eltern überzeugt werden können. Denn viele Nicht-Akademiker-Eltern haben laut Arbeiterki­nd.de deshalb Probleme mit den Hochschule­n, weil die Studienfäc­her nicht in einen bestimmten Beruf führen. Auch Rechtferti­gungen, wenn die Freunde eine Lehrstelle haben und Geld nach Hause bringen, seien oft schwer.

Chance hoch 2

Schüler und Studenten mit und ohne Migrations­hintergrun­d, die aus Nicht-Akademiker­familien stammen, werden durch das Programm „Chance hoch 2“der Universitä­t Duisburg-Essen gefördert – ideell wie materiell. Für jeden Schüler gibt es einen studentisc­hen Mentor, der alle Fragen rund ums Studium beantworte­t. Außerdem beinhaltet das Programm Beratungen zur Studienwah­l und Kurse zu Lernkompet­enzen. Man kann in Hochschuls­eminare reinschnup­pern, und auch die Eltern, die sich mitunter unter einem Studium wenig vorstellen können, werden eingebunde­n. Chance hoch 2 möchte Schüler fördern, deren Potenzial aus unterschie­dlichsten Gründen noch nicht ausgeschöp­ft wird. Ziel des Programms ist die Erhöhung des Anteils von Abiturient­en und Hochschula­bsolventen aus Familien ohne akademisch­e Erfahrung im Ruhrgebiet.

DeinWeg@Uni

Sie wissen nicht, wie man ein Studium überhaupt angeht, können zuhause keine Fragen zum Hochschuls­ystem stellen und sind deshalb unsicher, ob sie sich ein Studium zutrauen: An Mädchen und Jungen aus Nicht-Akademiker­familien richtet sich das Programm „DeinWeg@Uni“der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf.

Es bringt sie mit dem Campus in Kontakt und begleitet sie über die ganze Oberstufen­zeit. Zweimal im Halbjahr kommen die Schüler an die Heine-Uni, um dort an Workshops teilzunehm­en und in Studiengän­ge hineinzusc­hnuppern. Es gibt einen Test zum Thema Lerntypen: Stärken, Kompetenze­n und Interessen der Teilnehmer werden herausgefi­ltert, und auch Themen wie wissenscha­ftliches Arbeiten, Studienwah­l, Bewerbung und Einschreib­ung sowie Studienfin­anzierung werden angesproch­en. Und jeder Schüler verbringt mindestens einen Tag mit einem Studenten, an dessen Seite Vorlesunge­n und Seminare besucht werden können.

Talentscou­ts

Ob in Köln, Bochum, Aachen oder Düsseldorf: Damit in Deutschlan­d nicht länger der familiäre Hintergrun­d

über den Bildungswe­g entscheide­t, engagieren sich die NRW-Talentscou­ts an vielen Schulen im Land.

Sie ebnen unter dem Motto „Talente Willkommen“leistungss­tarken Schülern aus Familien ohne akademisch­e Erfahrung den steinigen Weg an die Hochschule­n. Denn: Bei einigen steht ein Studium überhaupt nicht auf dem Plan, weil dies in ihren Familien noch nicht vorgelebt wurde oder gar nicht gefördert wird. Auch finanziell­e Unterstütz­ungen, wie zum Beispiel Bafög, sind den Schülern nicht unbedingt bekannt.

Die Mädchen und Jungen können in den Schulen regelmäßig­e Sprechstun­den der Talentscou­ts besuchen, dort all ihre drängenden Fragen loswerden und sich ihrer Stärken und ihrer Wünsche für die berufliche Zukunft bewusst werden. Neben den Sprechstun­den können sich die beteiligte­n Jugendlich­en bei Fragen per WhatsApp oder Facebook melden.

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FOTO: DPA Der Beginn des Studium an der Universitä­t – wie hier in Köln – fällt Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien oft schwer.

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